Bayern München Bayern München: Ernüchterung an der Säbener Straße
München/dpa. - Seit 31 Jahren hat es beim erfolgsverwöhntenFC Bayern München so einen Negativstart in der Bundesliga nicht mehrgegeben. Beim deutschen Fußball-Rekordmeister kriselt es, doch JürgenKlinsmann lächelt seine schwache Ausbeute einfach weg. «Das ist einProzess» beschwichtigt der Trainer, der an diesem Dienstag 100 Tageim Amt ist. Die Bayern-Bosse trotzen der Enttäuschung in seltenerEinigkeit. Präsident Franz Beckenbauer mahnte in seiner «Bild»-Kolumne (Montag) zur Geduld, Vorstandschef Karl-Heinz Rummeniggesprach Klinsmann das «volle Vertrauen aus», und Manager Uli Hoeneßreagiert nur genervt auf die K-Frage: «Die Bilanz sage ich Ihnen am30. Juni, da ist unser Geschäftsjahr zu Ende.»
Ein erstes Resümee von Klinsmanns Probezeit zog dagegen OliverKahn. «Es ist nicht ungefährlich. Jeder Verein hat eine eigenePhilosophie, an der man ein bisschen drehen kann, aber die man nichtvöllig über den Haufen werfen kann», übte der Ex-Kapitän versteckteKritik an Klinsmann Reformkurs. Mittelfeldspieler Zé Roberto stellteim Fachmagazin «kicker» (Montag) die ständigen Personalrochaden inder Abwehr infrage: «Hinten spielten immer wieder andere Partner. Imvorigen Jahr haben wir mit zwei festen Innenverteidigern gespielt,mit Lucio und Demichelis.»
Nach dem Stotterauftakt in der Liga und den wenig glanzvollenAuftritten in der Champions-League, in der die Bayern mit vierPunkten aber immerhin im Soll sind, ist für die Fans längst das Maßvoll. «Ami go home», forderten sie Klinsmann unlängst zur Rückkehr inseine kalifornische Wahlheimat auf. Beckenbauer registriert, dass«der Mythos, dass am Ende doch (fast) immer die Bayern gewinnen,Pause macht» und stellt besorgt fest: «Die Liga spürt, dass wir imMoment verwundbar sind.» Klinsmann, vor 100 Tagen als Wohltäter inder schönen, neuen Bayern-Welt begeistert empfangen, steckt in derSackgasse.
Er spürt, dass ihm ein stürmischer Herbst bevorsteht, aber er gehtoffen mit der für ihn heiklen Situation um und sagt: «Letztendlichmuss der Trainer seinen Kopf hinhalten, wenn die Dinge nicht soumgesetzt werden, wie man sie den Spielern aufgibt.» Die Spielerscheinen mit der Umsetzung von Klinsmanns Fußball-Einmaleinsüberfordert zu sein. In beinahe wildem Aktionismus will der 44-Jährige seine Visionen vom perfekten Fußball den Bayern einimpfen,doch heraus kamen bisher bittere Lektionen für den früherenBundestrainer, der in München erstmals als Vereinscoach tätig ist.
Klinsmann will in München seine Reformen mit aller Machtdurchsetzen. Im Millionen Euro teuren Leistungszentrum, wo er seineSchützlinge mit Hilfe eines elfköpfigen Trainerstabs in Acht-Stunden-Tagen zu rundum gebildeten Menschen formen will, hat er so vielumgekrempelt, dass Rummenigge von einer «neuen Kultur in derBundesliga» schwärmt. Auf dem Platz aber hinterließen Klinsmannslöbliche Absichten bisher viel Ratlosigkeit und einen konfusenGesamteindruck.
Klinsmann baute Buddhas auf und wieder ab, experimentierteerfolglos mit diversen Spielsystemen, rotierte ohne Rücksicht aufNamen und Positionen in die Krise und schuf mit der Demontage vonKapitän Mark van Bommel offenbar ohne Not einen Konfliktherd. «EinKapitän, der auf der Bank sitzt, kann nicht die Rolle ausfüllen, dieer sollte. Mark ist in seiner Funktion geschwächt», äußerte KahnUnverständnis. Der Niederländer dürfte die kommenden Tage bei seinemNationalteam genießen. Klinsmann, in München so kritisch wie kaumeiner seiner Vorgänger beäugt, und der FC Bayern können dieLänderspielpause für ausführliche Analysen nutzen.
Die von Beckenbauer angesprochenen Schwachpunkte wiemangelndesZweikampfverhalten oder seine leise Kritik an TorwartMichael Rensing, bei dem er sich eine «ähnliche Ruhe wie bei OliverKahn» erhofft, sind für Klinsmann nichts Neues. «Dass es uns ärgertund wurmt, darüber brauchen wir nicht zu reden», meinte der Coach,«jetzt müssen wir damit umgehen, und ich glaube, dass es dieMannschaft ein Stück stärker machen wird.»