Ägypten Ägypten: Im Wüstenschiff von achtern
Halle/MZ. - Das unaufhörliche Hupen der Autos, aus denen arabische Popmusik, religiöse Gesänge und Techno-Bässe dröhnen, mischen sich mit dem Singsang der Händler und dem Knattern der Bootsmotoren. Unter jedem Geräusch, das noch einzeln wahrnehmbar ist, liegt die zähe, unveränderliche Klangmasse des Millionenmolochs Kairo.
Halb fünf am Morgen wissen wir, dass die märchenhafte Aussicht des Zimmers eine akustische Schattenseite hat. Aus den Lautsprechern "unserer" Moschee ruft der Muezzin zum ersten der fünf täglichen Gebete. Nach wenigen Minuten Ruhe schallt es vom nächsten Gotteshaus. In der Nachbarschaft von Botschafts- und Regierungsgebäuden, ausländischen Firmensitzen und anderen Hotels befinden wir uns im Stadtviertel Zamalik auf dem Nil-Eiland Gezira, einem der wenigen grünen Flecken unter Kairos ewiger Dunstglocke. Am nördlichen Ufer reiht sich eine Gärtnerei an die andere. Neben Palmen und Gummibäumen verkauft man am Straßenrand glitzernd verpackte Sträuße aus blau gefärbten Blumen und Teddybären.
Im Süden der Insel erstrecken sich viele Parks und Gärten. Die größte Rasenfläche nimmt der Gazira Sport Club ein. Auch der Opernhaus-Komplex mit Kunstmuseen, Galerien und dem El Hangar Theater sind von üppig bepflanzten Anlagen umgeben. Der Besuch einer Vorstellung in der bedeutendsten Oper Afrikas bleibt uns mangels passender Garderobe (Sakko- und Krawattenpflicht für Herren) leider verwehrt. Für eine Visite des Fernsehturms Cairo Tower, der gleich nebenan als 187 Meter hohe Beton-Lotusblume in den grauen Himmel ragt, gibt es keinen Dresscode. Aus dem drehbaren Restaurant und von der Aussichtsplattform erblicken wir am Horizont, eingehüllt von nebligen Schleiern, zum ersten Mal die Pyramiden von Gizeh.
Stolz, einen so niedrigen Taxipreis erfeilscht zu haben, genießen wir die Fahrt durchs Chaos, in dem sich stets mehr Autos nebeneinander vorwärts schieben als eigentlich nebeneinander passen. Der geschäftstüchtige Chauffeur informiert derweil über unsere Absicht, touristisch zu investieren. Nach einem kurzem Telefonat steht zufällig "ein guter Freund" an der Straße und steigt zu, denn er muss auch gerade zu den Pyramiden und ist übrigens mit dem besten Touranbieter bekannt. Gespannt, wie es weitergeht, lassen wir uns darauf ein, fahren am Hauptportal des Pyramiden-Areals vorbei und landen einige Seitengassen weiter bei einer Kamelvermietung. Nach vier Glas Pfefferminztee steht der Preis fest. Erleichtert (auch finanziell) klettern wir auf die beiden Wüstenschiffe und lassen uns, begleitet von zwei Führern auf Pferd und Esel, in Richtung Sahara schaukeln. Hinter einer langen Sanddüne erheben sich die majestätischen Bauwerke. Gleißende Sonne und Wolken färben die drei kleinen Königinnen- und drei großen Pyramiden von Mykerinos, Chephren und Cheops abwechselnd grau-blau und weiß. In Ruhe können wir hier auf der Südseite, jenseits der vollen Busparkplätze, ihre magische Schönheit bewundern, bevor sich unsere Mini-Karawane in den allgemeinen Touristenrummel zu ihren Füßen einreiht. An der Sphinx bieten ägyptische Kinder auf Russisch Papyrusbilder und Götterfiguren feil.
Die Originale der teuren Billigimitationen finden wir im Ägyptischen Museum. Gleich einer Schatzkammer aus dem orientalischen Märchen platzt das mit Kunstschätzen und anderen kostbaren Exponaten überfüllte Haus schier aus den Nähten. Highlights der Sammlung sind der atemberaubende Goldschatz aus der Grabkammer des Tutanchamun sowie zwei Mumiensäle mit den sterblichen Überresten von Priesterkönigen und Pharaonen, darunter Ramses II, der von 1279 bis 1213 vor Christus regierte und 85-jährig starb.
Wie der 1900 von den Briten errichtete Museumsbau prägen weitere Prachtbauten europäischer Architektur die moderne Innenstadt Downtown, die im Osten ans islamische Kairo mit über 800 Baudenkmalen grenzt. Zu den berühmtesten gehören die 975 gegründete Azhar-Moschee, geistiges Zentrum des Islam und älteste noch arbeitende Universität der Welt, sowie die Zitadelle auf dem Berg Muqattam, deren Wahrzeichen die mehrstöckigen Kuppeln und Bleistiftminarette der Mohammed-Ali-Moschee sind. Der Vorplatz des im 19. Jahrhundert von einem bosnischen Architekten geschaffenen Sakralbaus bietet - in Augenhöhe zu vielen Minarettspitzen - einen wunderbaren Blick auf das alte Kairo. An glanzvolle Zeiten erinnert das Kaffeehaus Fishawi im Touristenmarkt Khan el Khalili. Von da ist es nicht weit bis zur Sharia Muski, einer Handelsstraße, in der sich die Atmosphäre eines ägyptischen Suq wohl noch am besten spüren lässt.