Ägypten Ägypten: Im Land der toten Könige
Halle/MZ. - Anders etwa als in der einst vom Vesuv verschütteten und nun zu großen Teilen wieder freigelegten Stadt Pompeji, finden sich in Misr, wie Ägypten in der Landessprache heißt, kaum Alltagsspuren der einstigen Bewohner. Wohin, zum Beispiel, hat sich Ramses II. mit seiner Hauptfrau Nefertari zurückgezogen, vielleicht um über einen Tempelneubau zu reden. Oder um mit ihr über die Erziehung der lieben Kleinen zu sprechen, falls ihn derart Profanes überhaupt interessiert hat? Und wo hat Hatschepsut geschlafen? Ägyptens weiblicher Pharao, von dem, Pardon!, von der es heißt, sie sei in ihrer Machtgier - im metaphorischen Sinn - sogar über Leichen gegangen.
Aber: War es auch so? Gästeführer Motaz el Adly, ein ansonsten bestens informierter und stets eloquenter Mann, hebt in einer hilflos wirkenden Geste die Schultern, um schließlich, ganz diplomatisch, zu erklären: "Man erzählt sich viel über Hatschepsut."
Motaz ist am Morgen des dritten Tages zu unserer Gruppe gestoßen, nachdem wir eine Nacht in Hurghada logiert hatten, um dann aus Sicherheitsgründen (nach mehreren Anschlägen auf touristische Ziele reagiert die ägyptische Administration mit allerhöchster Vorsicht) im Konvoi die fast fünfstündige Fahrt im Minibus durch die gewaltige Wüste nach Luxor hinter uns bringen. Wieder ist es dunkel bei unserer Ankunft, in diesen Breiten gibt es keine Dämmerung. Natürlich kann man direkt nach Luxor fliegen, wenn man eine Nil-Kreuzfahrt vorhat. Aber zum Akklimatisieren war der kurze Stopp am Roten Meer gar nicht mal so übel.
Unser Schiff heißt "König von Ägypten" und lässt, was Komfort und Service betrifft, keine Wünsche offen. Alle Kabinen gehen nach außen und sind überraschend geräumig. Die Bordküche ist in Internationalität geübt. Auf dem Sonnendeck gibt es Pool und Bar - und, kein Witz, ein Maschinengewehr an der Reling. Die beiden Soldaten, die es bewachen, sind freundlich und erklären, dass nach einem Befehl der Regierung seit 1997, als bei einem Terroranschlag am Hatschepsut-Tempel 58 ausländische Touristen und vier Ägypter starben, jeder Nildampfer so ein Gerät mit sich führen müsse.
Seither musste auch der Tourismus, der neben Erdölindustrie, Landwirtschaft und den Einnahmen aus dem Suez-Kanal zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen des Landes zählt, einige Einbrüche verkraften. Eine Folge scheint zu sein, dass die Basarhändler von Luxor selbst für orientalische Verhältnisse ungewöhnlich hartnäckig sind. Ähnlich verhält es sich mit den Droschkenbesitzern. Da kämpft schon mal eine ganze Armada um die Gunst der Touristen, die in den Morgenstunden von ihren Nilschiffen zum Karnak-Tempel aufbrechen. Weil sie dabei allenfalls ein, zwei Kilometer zurücklegen müssen, erledigen viele das zu Fuß.
Karnak ist dann auch einer der Höhepunkte der Reise. Die Dimensionen der Tempelanlage sind phänomenal; bereits beim Passieren der Widderallee und der ersten Pylone kann einem der Atem stocken. Von Motaz gibt es nicht nur allgemeine Informationen zu dem Wunderwerk aus Stein, an dem gleich mehrere Dynastien des neuen Reichs - von Thutmosis III. bis hin zu Ramses II. - gebaut haben. Er lenkt den Blick auch auf Dinge, die einem normalerweise verborgen bleiben. Etwa auf die Markierung an einer von 134 Säulen in 2,50 Meter Höhe. "Bis hier stand 1887 das Flutwasser des Nils", sagt er.
Seit der Fertigstellung des zweiten Staudamms bei Assuan im Jahr 1970 sind die Menschen des Niltals, in dem die Mehrzahl der 70 Millionen Ägypter lebt, nicht mehr von den saisonalen Überflutungen abhängig, sondern können, wie Motaz nicht ohne Stolz berichtet, ihre Felder das ganze Jahr über bewässern. Zu den Kehrseiten dieses Eingriffs in die Natur gehört indes das Ausbleiben des fruchtbaren Nilschlamms, der zu früheren Zeiten den Einsatz von Düngemitteln beinahe überflüssig machte.
Zwischen den Ausflügen etwa zu den Kolossen von Memnon, dem Horus-Tempel oder dem Besuch einer Papyrus-Manufaktur in Luxor ist der Nil immer wieder unser Dreh- und Angelpunkt. Die Fahrten auf dem längsten Fluss der Erde halten sich entfernungsmäßig stets in Grenzen, was sie nur umso schöner macht. Man muss auch kein hoffnungsloser Romantiker sein, um in der untergehenden Sonne ertrinken zu wollen. In einem kurzen Flirt taucht sie die malerisch geschwungene Uferlinie mit ihren Palmen, Äckern und Minaretten im Hintergrund in rotgoldenes weiches Licht. Bei einem Drink kann man jetzt gut entspannen. Oder lesen. Zum Beispiel darüber, wie denn nun die Gottkönige auf Erden gelebt haben. Ob Ramses II., dessen 67-jährige Regentschaft von Experten als Abfolge von Superlativen bezeichnet wird, sich an Erziehungsfragen beteiligt hat, lässt sich zwar nicht ermitteln. Realistisch betrachtet ist das auch nicht zu erwarten, bedenkt man, dass der Supermann des Alten Ägypten nicht nur mit seinen acht Hauptfrauen, sondern auch mit Damen des Harems Kinder zeugte.
In späteren Jahren soll er mit über hundert Söhnen und Töchtern geprahlt haben. Na ja, wenn er selbst es schon nicht präzisieren konnte, dann müssen wir das heute auch nicht, sondern genießen lieber die Zeugnisse ägyptischer Hochkultur.