"Fakten zählen nicht" Zuschauer-Ausschluss: Profi-Sport kann Corona-Beschlüsse nicht nachvollziehen

Berlin/München - Die Reaktionen reichten von „Schlag ins Kontor“ bis hin zu „Frustration“ - doch am Tag nach dem Corona-Gipfel von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Bundesländer herrschten im deutschen Profisport vor allem: Unverständnis und große Angst.
Unverständnis darüber, dass es mindestens im November in der Fußball-Bundesliga und in ihren kleinen Geschwistern Handball, Eishockey oder Basketball nur Geisterspiele geben darf. Angst, weil der finanzielle Kollaps damit für viele wieder ein wenig nähergerückt ist.
Corona-Regelungen: Handball-Chef sieht Geschäftsmodell zerstört
„Das zerstört natürlich völlig die Geschäftsmodelle der Sportarten hinter dem Fußball“, sagte Frank Bohmann, Chef der Handball-Bundesliga (HBL), dem SID. Ja, auch der Fußball leide „sehr darunter“, aber Sportarten „wie Handball, Basketball und Eishockey wird jede Geschäftsgrundlage geraubt“.
Man müsse nun zunächst mal „nachrechnen, wie lange können wir das überhaupt aushalten. Wir spielen erstmal bis Weihnachten weiter, zur Not auch ohne Zuschauer. Ob es auch alle Vereine durchhalten, steht auf einem anderen Blatt Papier.“
Vereinen und Verbänden mag vor allem nicht in den Sinn, dass die Politik zunächst Hygienekonzepte einforderte, diese dann absegnete - und nun einfach ignoriert. Ein „Schlag ins Kontor“ sei dies, sagte Bohmann.
Geisterspiele trotz Hygienekonzepten: Sport versteht die Politik nicht mehr
Etwas diplomatischer betonte auch die Deutsche Fußball Liga (DFL), Fans und Klubs seien doch bisher ihrer Verantwortung „gerecht geworden“. Auch Bohmanns Kollege Stefan Holz von der Basketball-Bundesliga (BBL) ist doch arg verwundert: „Der Testbetrieb hat funktioniert - und trotzdem dreht man einfach die Zuschauer ab“, sagte er dem SID.
Holz zeigt „Verständnis für die Gesamtsituation“. Doch die Vorgaben der Politik bringen ihn nun zu der Schlussfolgerung, die Entscheidungen basierten in erster Linie auf „übergeordnete politische Gründen“. Auch Bohmann behauptet, dass der Zuschauerausschluss „mit Sicherheit nicht auf Basis von Fakten getroffen worden“ sei.
Und Borussia Dortmund schrieb an seine Anhänger: „Der Profifußball ist nachweislich kein Treiber der Pandemie. Gerade vor diesem Hintergrund ist es schwierig zu akzeptieren, dass Fakten nicht zählen.“
Sportveranstaltungen waren bislang kein Corona-Superspreader
Die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag kann die Verwunderung nachvollziehen. Dagmar Freitag (SPD) bestätigte auf SID-Anfrage: „Eines ist ja bislang unbestritten: Sportveranstaltungen unter Einhaltung stringenter Hygienekonzepte sind weder im Profi- noch im Breitensport als Superspreader aufgefallen“.
Freitag verteidigte zugleich die getroffenen Maßnahmen, sie betonte jedoch auch: „Die verantwortungslosen Corona-Leugner und Partygänger haben den Vereinssportlern wirklich einen Bärendienst erwiesen.“
„Bärendienst“ heißt für alle: finanzielle Einbußen. Diese treffen auch die Fußball-Bundesliga. Sie wird weiter etwa 23 Millionen Euro an jedem Geisterspieltag verlieren. Allerdings machen die Zuschauereinnahmen dort durchschnittlich nur knapp 13 Prozent des Umsatzes aus.
Eishockey, Handball und Basketball brauchen staatliche Finanzhilfen
Viel mehr sind es vor allem wegen der geringeren TV-Einnahmen in den anderen Ligen. So hoffen Handball- und Basketball-Bundesliga, erst mal bis Weihnachten durchzuhalten, die Deutsche Eishockey Liga (DEL) befindet sich ohnehin noch im Stand-by-Modus.
BBL-Geschäftsführer Holz hat deshalb schon ein Auge auf die für November geplante außerordentliche Wirtschaftshilfe der Bundesregierung geworfen. Der Bund will nicht zuletzt Vereinen 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahresmonats zahlen, wenn sie von temporären Schließungen betroffen sind.
Ob das auch für Profiklubs gilt, ist bisher unklar. „Wir brauchen jeden Euro, der bereit gestellt wird“, sagte Holz. Allerdings müsse auch erst mal geprüft werden, ob dies mit der Corona-Hilfe pro Klub von maximal 800.000 zu vereinbaren ist.
Corona-Pandemie: Deutschlands Sport steht vor einem harten Winter
Die Lage ist kritisch - und sie wird sich wohl auch nicht entscheidend ändern. Der deutsche Sport steht nach Ansicht von Prof. Dr. Wilhelm Bloch, Leiter der Abteilung für molekulare und zelluläre Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln, vor einem harten Winter.
„Jetzt haben wir erstmal in den nächsten vier Wochen so ziemlich alles dicht. Danach brauchen wir nicht zu denken, dass wir 'business as usual' haben, und wir alles wieder machen können“, sagte er dem SID. Sport mit großen Zuschauermengen sei erst mal nicht zu machen. (sid)