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Trauerfeier für Muhammad Ali Trauerfeier für Muhammad Ali: Wie ein Staatsbegräbnis - nur größer

Von Damir Fras 10.06.2016, 21:19
Der Leichenwagen auf seinem Weg über den Friedhof von Louisville.
Der Leichenwagen auf seinem Weg über den Friedhof von Louisville. X00264

Louisville - Als die Sache mit dem Fahrrad passierte, die schließlich irgendwie der Anfang der ganzen Geschichte ist, war Gene Courtney ein kleiner Junge von vier Jahren. Aber er habe sie nie vergessen, sagt der hochgewachsene Afroamerikaner. „Ich habe in der Nachbarschaft von Muhammad Ali gewohnt, mein älterer Bruder war mit ihm befreundet, also war er wie ein älterer Bruder für mich“, sagt der heute 68 Jahre alte Mann und erzählt, dass Ali, der damals noch Cassius Clay hieß, wie wild gewesen sei, dass ihm sein geliebtes, rotes Fahrrad gestohlen wurde.

Es war im Oktober 1954, und der zwölf Jahre alte Cassius ging zur Polizei, meldete den Diebstahl und ließ sich von einem Beamten überreden, mit dem Boxen zu beginnen, um den Frust abzubauen. Nur wenige Jahre später war aus dem wütenden Jungen ein wütender Superstar geworden. Aus Cassius Clay wurde Muhammad Ali, dreimaliger Weltmeister im Schwergewicht, der größte Boxer aller Zeiten, ein Kriegsdienstverweigerer, ein Großmaul und ein leidenschaftlicher Kämpfer für die Rechte der Afroamerikaner und der Muslime. „Er war einfach der Größte“, sagt Gene Courtney und tippt  auf sein T-Shirt,  auf dem Alis wohl berühmtester Satz steht:  „Float like a butterfly, sting like a bee“ – schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene.

Barack Obama meldet sich per Facebook

Zu Lebzeiten Alis mag der Satz nur eine Beschreibung seines tänzelnden Kampfstils gewesen sein. Seit seinem Tod am Freitag vor einer Woche sind die Worte auch Synonym für ein Lebensgefühl. Die Menschen in Alis Heimatstadt Louisville in Kentucky trauern, doch es wirkt, als tänzelten sie dabei durch die Stadt, schwerelos. „Es ist surreal“, sagt Otis Maher, Programmdirektor eines örtlichen Radiosenders, auf dem seit Tagen nur Geschichten über Muhammad Ali erzählt werden: „Wir trauern und feiern gleichzeitig.“ T-Shirt-Verkäufer machen das Geschäft ihres Lebens. In der kurzen Fußgängerzone in der Stadtmitte von Louisville sind Großbildschirme aufgestellt. Dort läuft der Kampf Ali gegen George Foreman 1974 in Kinshasa. Selbst kleine Kinder wurden damals geweckt, um die Rückkehr des Schwergewichtlers Ali in den Boxring im Fernsehen mitverfolgen zu können. Heute fragen sich die Leute in Louisville: „Wo warst du, als Ali und Foreman geboxt haben?“

In der Freedom Hall, wo Ali Anfang der 60er-Jahre einige Boxkämpfe absolvierte, nehmen etwa 14.000 Menschen an einer Trauerfeier nach muslimischem Ritual teil. Der Islam-Gelehrte Sherman Jackson sagt: „Etwas Großes, Wunderbares, Lebensbejahendes hat diese Welt verlassen.“ US-Präsident Barack Obama, der wegen der Schulabschlussfeier seiner Tochter Malia in Washington bleibt und nicht nach Louisville reist, schickt eine Grußbotschaft per Facebook. „Es ist selten, dass ein Mensch die Fantasie der ganzen Welt beflügelt“, heißt es darin. Und ein Foto ist zu sehen von den Boxhandschuhen, die Ali dem ersten schwarzen Präsidenten der USA geschenkt hat.

Ex-Präsident Bill Clinton hält Ansprache

Am Freitag schließlich nehmen mehr als 15.000 Menschen an der offiziellen Trauerfeier in einer Sportarena in Louisville teil. Ex-Präsident Bill Clinton hält eine Ansprache. Der Schauspieler Will Smith und der Boxer Lennox Lewis gehören zu den Sargträgern. Der jordanische König Abdullah hat sich angesagt. Es ist wie ein Staatsbegräbnis – nur größer, ein Weltereignis. 300 Würdenträger aus Politik, Unterhaltung, Sport sind angereist. Don King natürlich auch, der legendäre Boxveranstalter, ohne den es den Kampf in Kinshasa nicht gegeben hätte. Und der Musiker Yusuf Islam, der früher einmal Cat Stevens hieß. Und, und, und ...

Auch der türkische Staatspräsident Erdogan läuft mit seiner Frau Emine und einer Delegation durch das Ali-Museum von Louisville, vorbei an den Bildschirmen, auf denen Kampfszenen Alis laufen. Erdogan preise, so lässt sich in türkischen Medien lesen, den Boxer Ali als ein Vorbild, weil dieser immer selbstbewusst und furchtlos für den Islam eingetreten sei. Doch dann nimmt Erdogan nicht an der offiziellen Trauerfeier teil und reist ab. Erdogan wollte offenbar  bei der Trauerfeier ein Stück des mit Koranversen verzierten Stoffes aus der großen Moschee in Mekka auf Alis Sarg legen. Weil ihm dies nicht gestattet worden sei, sei er verärgert, heißt es.

Die Weißen nannten ihn trotzig weiter „Cassius Clay“

In Louisville wird nur ein Mann betrauert und gefeiert: Muhammad Ali, die „Louisville Lip“, wie sie ihn hier nennen, weil er immer eine dicke Lippe riskiert hat. Dabei hat die Stadt am Ohio-Fluss den Boxer nicht immer nett behandelt. Als er zum Islam übertrat, rümpften auch die weißen Leute von Louisville die Nasen und sagten trotzig weiter „Cassius Clay“. Als dann Ende der 70er-Jahre eine Straße zu Ehren Alis umbenannt werden sollte, stimmte der Stadtrat nur knapp dafür.

Gene Courtney, der sich an die Geschichte mit dem roten Fahrrad erinnert hat, sagt, in den 50er-Jahren sei Louisville eine typische Stadt des amerikanischen Südens gewesen. Weiße und Schwarze lebten nebeneinander, nicht miteinander. Und mehr als einmal wurden in weißen Stammtischrunden rassistische Übergriffe mit Bourbon begossen, der in Kentucky gebrannt wird.

Zeichen gegen Donald Trump

Das alles ist Vergangenheit in diesen Tagen der Trauer um Muhammad Ali. Der Autokorso, die Zeremonien, die Muhammad Ali selbst so geplant hat vor einigen Jahren schon, wirken wie ein Volksfest, das Menschen aller Kulturen, aller Hautfarben, aller Religionen besuchen. Die Afroamerikanerin Tawanna Jennings sagt, wenn das nicht gegen Donald Trump helfe, dann wisse sie auch nicht mehr. Der populistische Präsidentschaftsbewerber der US-Republikaner macht seit Monaten Schlagzeilen wegen seiner Parolen, die sich gegen Mexikaner und Muslime richten.

Vor dem Geburtshaus Alis in der Grand Avenue steht Tex Cobb, der früher auch einmal ein bekannter Boxer war. Der Mann mit der breiten Nase eines Faustkämpfers ist aus dem mehr als 1.000 Kilometer entfernten Philadelphia nach Louisville gekommen, um Ali die letzte Ehre zu erweisen. „Muhammad Ali war viel mehr als nur ein Boxer. Er war eine Kraft für das Gute“, sagt Cobb. Er denke noch heute oft an die Begegnung mit Ali zurück. Auf die Frage, ob er eine Chance gegen Ali im Ring gehabt hätte, sagt Cobb: „Wo denken Sie hin?“

Ali als Mann des Widerstands gepriesen

Für viele Menschen in Louisville ist Ali nicht nur der bekannteste Boxer, der jemals in der Stadt geboren wurde. Vor allem jene Männer, die heute an die siebzig sind, preisen ihn als Mann des Widerstands. Gene Courtney etwa sagt, er bewundere Ali, weil der sich getraut habe, den Einberufungsbefehl nach Vietnam zu ignorieren. Auf dem Höhepunkt seiner Schlagkraft als Boxsportler musste Ali Ende der 60er-Jahre  eine mehrjährige Zwangspause einlegen und entkam gerade so einer langen Haftstrafe, bevor ihm dann ein Comeback gelang.

„Ich hätte mich das wahrscheinlich nicht getraut“, sagt Courtney.  „Ich wurde auch eingezogen. Aber ich hatte das Glück, dass ich nicht nach Vietnam geschickt wurde.“ Dann verrät er, dass er sich mit Freunden getroffen und einen Plan ausgeheckt habe. Er wolle in Alis früherem Viertel ein Boxstudio aufmachen. Dazu müsse allerdings eine Kirche verlegt werden. Er werde den Pfarrer schon überreden können, sagt Courtney, lacht und macht tänzelnde Bewegungen.