Sein Ziel war Olympia Sein Ziel war Olympia: Warum Luca Wieland heute Musik statt Sport macht

Halle (Saale) - Der Fernseher bleibt aus. Wenn dieser Tage in Doha die Leichtathleten weltweit ihre Besten ermitteln, dann fiebert Luca Wieland bei diesem Sport-Höhepunkt in der Heimat nicht mit. Der eine oder andere wehmütige Gedanke holt ihn aber trotzdem ein. Denn ursprünglich hatte der Mehrkämpfer des SV Halle bei dieser Weltmeisterschaft dabei sein wollen. Das war eines seiner sportlichen Lebensziele.
Es ist aber ganz anders gekommen: Das Kapitel Leistungssport ist für den 25-Jährigen beendet. Nie mehr wird der so vielseitige Sportler über die Tartanbahn spurten, mit oder auch ohne Stab hoch- oder weitspringen sowie mit Diskus, Speer und Kugel auf Weitenjagd gehen. Sein großes Ziel von einem perfekten Zehnkampf bei einer internationalen Meisterschaft wie jetzt der WM, das weiß der einst so leidenschaftliche Leichtathlet nun, wird er nicht erreichen. „Jetzt habe ich einen Punkt erreicht“, sagt Luca Wieland, „an dem ich sagen muss: Das war’s.“
Luca Wieland wechselte 2017 nach Halle
Im besten Sportleralter muss er sich geschlagen geben. Und das aus schlechtem Grund. „Ich habe gespürt, das ist nicht mehr mein Körper, der er mal war“, erklärt er seine Entscheidung.
2017 war der gebürtige Saarländer zum Bundesstützpunkt an die Saale gekommen - voller Tatendrang und mit Visionen im Kopf. Nach vier Jahren Wirtschaftsstudium und Trainingsaufenthalt in den USA sollte sich nun alles nur noch um seinen Sport drehen. „Ich habe ganz rational überlegt, wo ich in drei Jahren sein will und wie ich da hinkomme“, hatte das Kraftpaket damals erklärt. Über Doha wollte er 2020 nach Tokio zum Wettkampf im Zeichen der Olympischen Ringe.
Mit 8201 Punkten wird Luca Wieland in den Bestenlisten geführt - bei 8000 Zählern trennt sich die Spreu vom Weizen. Erzielt hatte er diese Bestmarke im Cougar Stadium in Azusa in der Nähe von Los Angeles, Kalifornien (USA) im April 2017 kurz vor seinem Wechsel nach Halle.
Mit seinem Hausrekord hätte er bei der WM jetzt in Doha Platz acht belegt. „Solche Vergleiche verbieten sich aber“, sagt Luca Wieland. Da hätte alles passen müssen. Und es komme immer auch auf die Bedingungen an, unter denen der Wettkampf stattfindet. Ob er mit den schwierigen Verhältnissen in der Wüstenstadt klar gekommen wäre, sei völlig offen. Mit dem 21-jährigen Niklas Kaul, der Freitagnacht mit 8 691 Punkten überraschend die Königsdisziplin in der Leichtathletik gewonnen hat, hatte der Wahl-Hallenser eine Zeit lang trainiert.
Die Voraussetzungen schienen in Halle ideal mit den Vizeweltmeistern Rico Freimuth und Michael Schrader als Partner und Trainerfuchs Wolfgang Kühne an seiner Seite. „Er hat mir nichts vom Pferd erzählt und auch nicht versprochen, ,du wirst Olympiasieger‘“, schwärmte der Neu-Hallenser seinerzeit von seinem Coach. Die Aussicht, Teil eines starken Teams zu sein und zugleich seinen eigenen Weg zu finden, das klang wie Musik in seinen Ohren.
Luca Wieland hatte sein Leben auf den Sport ausgerichtet
Die Bundeswehr förderte ihn als Sportsoldat und hielt ihm finanziell den Rücken frei. Bis zu zehn Mal trainierte der Ehrgeizling in der Woche. „Und sonntags bin ich noch für mich allein laufen gegangen, um meine Ausdauer zu verbessern.“ Das ganze Leben war auf den Sport ausgerichtet: Physiotherapie, Yoga und Dehnübungen, gesunde Ernährung, der Versuch, in Ruhephasen abzuschalten. „Zehnkämpfer bist du 24 Stunden am Tag und das sieben Tage in der Woche“, sagt Luca Wieland heute. Ganz oder gar nicht, etwas anderes gibt es da nicht.
Zu Wielands stärksten Einzelleistungen zählen die 7,91 Meter im Weitsprung sowie seine 10,52 Sekunden im Sprint über 100 Meter. Beim Hochsprung sind seine 2,20 Meter bemerkenswert.
Luca Wielands größter sportlicher Erfolg ist die deutsche U-20-Vizemeisterschaft 2012 im Zehnkampf. Drei Jahre später dominierte er die US-College-Meisterschaften im Siebenkampf in der Halle.
Aufs Podest hat er es trotzdem nie geschafft. Ja, nicht einen einzigen Mehrkampf vermochte das Talent in seiner Halle-Zeit zu Ende zu bringen. Die hohen Trainingsbelastungen forderten ihren Tribut. Immer, wenn der Kaderathlet angreifen wollte, streikte sein Körper. Muskelbündelrisse zwangen ihn, mit dem Training auszusetzen. Vor allem aber das linke Knie schmerzte extrem.
Eine Operation im Sommer 2018 sollte für immer Abhilfe schaffen. Die Sportärzte ersetzten seinen abgenutzten Knorpel durch körperfremdes Material. Nach monatelanger Reha schließlich folgte mit einem Hürdenlauf die Probe aufs Exempel. „Das hat sich einfach nur fremd angefühlt“, erinnert sich der Lockenkopf an diese schweren Stunden. Schon damals schwante ihm, dass es wohl nichts mehr wird mit einer großen Sportlerkarriere. Die Monate danach brauchte er, um das Unausweichliche zu verinnerlichen. Wer verliert schon gern.
Operation am Knie: Luca Wieland muss Karriere beenden
Sein „Selbstfindungsprozess“, das sagt der Ex-Sportler beinahe spöttisch, sei nun voll im Gange. Ende September hat er den Dienst bei der Bundeswehr quittiert. Nun stürzt er sich in sein neues, ziviles Leben. Wohin ihn dieses führt, das weiß der so vielseitig Veranlagte noch nicht. Von einem weiteren Studium in Richtung Medizin oder Biologie und Chemie redet er.
Doch der nunmehr Ex-Leistungssportler weiß auch: „Ich hätte öfter in der Schule sein müssen.“ Für seinen zeitintensiven Sport hatte er vieles schleifen lassen. „Ehrlich, ich war viel mehr daran interessiert, im Kreis zu laufen als auf der Schulbank zu sitzen.“ Bei der Suche nach seinem Platz im Leben kann er das nicht einfach ignorieren.
Um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, wird er nach den Herbstferien im heimatlichen Saarbrücken seine Erfahrungen als Übungsleiter an den Nachwuchs weitergeben. Im Augenblick lebt der kreative Kopf seine zweite Leidenschaft aus: die Musik.
Luca Wielands zweite Leidenschaft ist die Musik
„Als ich noch Sportler war, da habe ich gemerkt, wenn ich zu viel über Musik nachdenke, dann komme ich damit nicht klar“, sagt er. Sich auf zwei Sachen fokussieren, das ging nicht. In den Stunden der Ungewissheit jedoch hat die Musik geholfen, nicht in ein Loch zu fallen.
Die viele Freizeit während der Reha hat Luca Wieland dazu genutzt, Songs zu schreiben und zu produzieren. Text und Noten sind von ihm. Bei der Festveranstaltung „60 Jahre SV Halle“ vor einem Jahr hatte er sich schon einmal zu einem Auftritt überreden lassen und den Zuschauern in der Leopoldina mit einem melancholischen Lied einen Einblick in sein Seelenleben gestattet.
Der Beifall zeigte: Den Leuten gefällt’s. Seine Selbstzweifel konnte das Lob nicht gänzlich ausräumen: „Man ist unsagbar selbstkritisch“, sagt Luca Wieland allgemein und bezieht es doch auf sich: „Die Perspektive, die man selber hat, ist verzerrt, das muss man lernen, einzuordnen. “
Luca Wieland hat erste Single veröffentlicht
Die große Frage, die er sich stellt: Was ist möglich im Showgeschäft? „Ich bin schließlich erst am Anfang, was Musikerfahrung und Fähigkeiten betrifft“, sagt der junge Künstler. Seine ersten Arbeiten im Studio sind nun fertig. Wie denkt Luca Wieland darüber? „Die Musik, die ich im Kopf hatte, hört sich dann doch ganz anders an. Ich habe gebraucht, um das Lied so zu akzeptieren, wie es letztlich geworden ist.“
Seine Ausrichtung fasst der experimentierfreudige Musiker nicht zu eng, spricht von Pop. Seine Lieder will er künftig noch mehr mit elektronischen Szenen mischen. Auf YouTube und Instagram hat er bereits eine Single veröffentlicht, in dieser verarbeitet er auf englisch eine schmerzhafte Trennung.
Auch wenn Luca Wieland heute tatsächlich noch nicht weiß, wohin ihn seine Suche nach Selbstbestätigung führt, so hat er doch nun erkannt: Die Musik macht ihm Spaß. Und sollte sich daraus eine neue Chance ergeben, dann wird er versuchen, diese zu nutzen. Mit genauso viel Herzblut wie damals. Als Zehnkämpfer. (mz)


