Terrence Boyd im Interview Terrence Boyd von RBL: Passt er von RB Leipzig in die Premier League

Lagos - Terrence Boyd hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Der RB-Leipzig-Kicker hat im Trainingslager in Lagos mit unseren Sportreportern Ullrich Kroemer und Martin Henkel gesprochen.
Terrence, bei unserem letzten Gespräch im Juni haben Sie sich gerade bei der U13 von RB Leipzig wieder an das Fußballspielen herangetastet. Wie fit sind Sie aktuell?
Terrence Boyd: Ich darf jetzt wieder mit ausgewachsenen Menschen Fußball spielen. Ich bin einfach froh, dass ich wieder ganz normal mit der ersten Mannschaft trainieren kann. In den ersten Wochen musste ich mich körperlich und von der Fitness her wieder heranarbeiten. Danach – und das dauerte deutlich länger – musste ich auch vom Kopf her wieder reinfinden, das ist ein mentales Ding. Du musst gedanklich wieder frisch sein, dich an die Handlungsschnelligkeit gewöhnen.
Inwiefern?
Boyd: Ich habe im Training gemerkt, dass ich nicht den Ton mitangeben kann, dass ich hinterherhänge. Aber es ging jetzt in den letzten Wochen immer besser, jetzt nach der Winterpause will ich endgültig wieder der Alte werden.
Wie ist das, physisch wieder da zu sein, aber im Kopf noch zu brauchen?
Boyd: Du musst in dieser Mannschaft schon wissen, was du mit dem Ball anstellen willst, bevor du ihn bekommst. Das wieder zu verinnerlichen, hat gedauert. Dann machst du einen Fehlpass oder verlierst den Ball. Um sich wieder komplett auf dem Platz zu orientieren und sich wieder richtig wohlzufühlen, braucht man Training und Spiele, Spiele, Spiele. Wir arbeiten da auch mit Methoden für Reaktionstraining wie Eye-Tracking, aber die Aktionsschnelligkeit im Kopf kann man sich nur in der Praxis holen.
Ralf Rangnick bezeichnete es als medizinisches Wunder, dass Sie überhaupt wieder spielen können. Können Sie das wertschätzen oder überwiegt die Ungeduld, dass der Wiedereinstieg so lange dauert.
Boyd: Als Leistungssportler gibt man sich nicht damit zufrieden, einfach nur dabei sein zu dürfen und nicht gebraucht zu werden. Das ist nicht mein Anspruch. Natürlich gehe ich auch mal unzufrieden nach Hause und denke, dass ich gern im Kader stünde oder gern mitgespielt hätte. Aber dann tut ein Realitätscheck gut. Meine Freundin erinnert mich dann manchmal daran, dass ich eigentlich hätte gar kein Fußball mehr spielen können. Und ich selbst weiß auch, mich gut einschätzen. Ich konnte im Training echt nicht vorangehen, sondern war eher im unteren Drittel. Aber das wird langsam besser.
Spüren Sie noch irgendwelche Nachwehen im Knie?
Boyd: Überhaupt nicht. Ich bin als Spieler einer, der muss gegen eine Laterne laufen – und das tue ich mit dem Knie. Seit Juni geht es wieder zu 100 Prozent. Ich habe da überhaupt keine Bedenken, ich muss überall reinbrettern. Das ist meine Spielweise. Ich habe mich ja nicht durch einen Zweikampf verletzt, sondern weil ich im Rasen hängen geblieben bin.
Haben Sie sich ein Ziel gesetzt, bis wann Sie wieder das Level der anderen erreicht haben wollen – etwa das Ende der Saison?
Boyd: Bis dahin sollte der Prozess aber wirklich abgeschlossen sein. Dann ist eine Saison vorbei. Ich fühle mich auf einem guten Weg, wäre meiner Meinung nach schon in der Verfassung, dass ich spielen könnte.
Wo stehen Sie in der Hierarchie?
Boyd: Wir haben eine perfekt harmonierende Mannschaft. Bei einem System mit einem Stürmer führt Yussuf Poulsen derzeit die Rangordnung an, dann kommt Davie Selke - und dann komme ich. Da kann man sich selbst ausrechnen, wie schwer das ist. Aber mein Anspruch ist jetzt, einfach Gas zu geben, bereit zu sein – was auch immer kommt. Wenn es hier nicht klappt, dann in Zukunft halt woanders. Ich will wieder auf ein hohes Level kommen.
Betrachten Sie sich eigentlich als Bundesligaspieler?
Boyd: Wenn ich noch keine Minute in der Bundesliga gespielt habe, kann ich auch nicht sagen, ich sei ein Bundesligaspieler. Ich bin irgendwas zwischen Zweitliga- und Erstligakicker.
Haben Sie in den vergangenen Wochen mit Ralph Hasenhüttl und Ralf Rangnick über Optionen für die Zukunft gesprochen?
Boyd: Da sind alle Parteien ganz gelassen. Diesen Klub macht auch aus, dass ganz offen und ehrlich miteinander geredet wird. Ich leiste meinen Teil im Training und auf dem Platz. Alles weitere regeln RB und mein Berater, das sind deren Jobs. Stand jetzt gehe ich hier meiner Arbeit nach, und dann schauen wir, was im Sommer geschieht. Es könnte auch sein, dass noch im Winter etwas passiert. Aber das weiß ich selbst noch nicht.
Wäre 2. Liga eine Option für Sie?
Boyd: Alles ist eine Option. Es ist ja viel spekuliert worden: auch über die Major League Soccer in den USA oder England. Bei einem Wechsel muss aber auch alles für alle Parteien stimmen.
Haben Sie keine bevorzugte Variante?
Boyd: Ganz ehrlich? Gedankenspiele gibt's viele – aber darüber will ich mich jetzt nicht auslassen (lacht).
Können Sie sich eine Leihe vorstellen?
Boyd: Nein, das muss nicht sein. Ich habe keine Lust umzuziehen, wenn ich das dann im Sommer wieder machen müsste. Wenn ich gehen sollte, dann würde ich am liebsten fest gehen.
Ist für Sie auch ein Wechsel in die 3. Liga vorstellbar? Etwa zum Halleschen FC?
Boyd: Eher nicht.
Wie wichtig ist die US-Nationalmannschaft für Sie?
Boyd: Vom Herzen her ist mir das US-Team wichtig. Aber meine momentane Priorität ist, erstmal im Verein Fuß zu fassen. Wenn du im Verein nichts bringst, braucht man auch über die Nationalmannschaft nicht zu reden. Wenn du dann im Klub überzeugst, Leistung bringst und Tore machst, bekommen die das schon mit.
Ihr Draht zu Jürgen Klinsmann war sehr gut. Hatten Sie schon Kontakt zum neuen Trainer Bruce Arena?
Boyd: Nein, bislang noch nicht. Ich kenne ihn nicht, wir haben noch nie miteinander geredet. Aber mein Nationalmannschafts-Kollege John Brooks von Hertha BSC hat mir gesagt, dass er sehr korrekt ist.
Wie wichtig war es für Sie, im Herbst für zwei Minuten gegen Neuseeland zu spielen?
Boyd: Das war ein toller Vertrauensbeweis von Klinsi. Es war für den Kopf unglaublich wichtig. Meine Highlights waren dieses Jahr, dass ich überhaupt wieder mit Fußball anfangen konnte und die Amateurspiele bestreiten konnte. Da war die Länderspielreise richtig cool – auch wenn ich nur ein paar Mal den Ball berührt habe.
Wie schwer war es für Sie, in der U23 in der Regionalliga zu spielen?
Boyd: Ich habe lange bei Hertha und Borussia Dortmund bei den Amateuren gespielt. Da habe ich mich auch wohlgefühlt und meine Tore gemacht – kein Problem. Aber wenn es eben nicht dein Team ist, mit dem du jeden Tag trainierst, sondern du nur zu den Spielen dabei bist, ist es echt verdammt schwer. Ich habe da auch Gas gegeben, um wieder oben angreifen zu können. Aber es ging einfach nicht so wie bei der ersten Mannschaft. Ich konnte mich nicht so entfalten und Power geben. Das hat mich auch selbst an mir gestört, dass das nicht so geklappt hat.
Zuletzt haben Sie gar keine Spiele bei der U23 mehr gemacht.
Boyd: Da waren ein paar Wehwehchen dabei. Oder bei einem Spiel hat es geschneit, dann muss ich auswärts ohne Rasenheizung mein Glück nicht herausfordern. Wenn mich die U23 braucht, bin ich da.
Und wie hat sich der Spirit im Bundesliga-Team in den vergangenen Jahren entwickelt?
Boyd: Egal, welchen Höhenflug wir gerade haben – es herrscht dieselbe Dynamik im Team, wie damals, als ich in der ersten Zweitliga-Saison gekommen bin. Hier trägt jeder die Leibchen und Hütchen zum Training, in der Kabine wird fast immer gescherzt, jeder ist frech und gleichzeitig auf dem Boden geblieben. Es gibt einfach keine Hierarchie. Das ist richtig geil.
Und das Trainingsniveau?
Boyd: Das hat sich stark verbessert. Das Niveau ist krass. Geprägt durch den Pressingstil läuft hier alles schneller ab als anderswo. Egal, wo ich später hinwechseln werde, das Training wird mir wahrscheinlich viel langsamer vorkommen als hier.
Hilft es Ihnen bei der Klubsuche, dass RB gerade so erfolgreich ist?
Boyd: Ich denke schon. Schaden wird es nicht. Besser, als würde ich bei einem Abstiegskandidat spielen. Schließlich hebt die Qualität im Kader auch das Niveau der Ersatzspieler.
Die Plätze für Stoßstürmer sind rar. Sehen Sie die Möglichkeit, Ihr Spiel etwas anzupassen, weiter hinten zu agieren?
Boyd: Ich fühle mich wohl, so wie ich bin, habe ich von meinem Spiel her gefunden. Die Rolle als bulliger Stoßstürmer im Angriffszentrum, der alles versucht wegzubrechen und Bälle zu halten, liegt mir. Wenn ich mich gut verkaufe, werde ich so auch erfolgreich sein.
Gibt es einen Stil, der Ihnen entgegenkommt?
Boyd: Mir reicht es, wenn ich Flanken bekomme und in der Box gefüttert werde. Dann weiß ich, dass ich gefährlich bin. Außerhalb des Strafraums bin ich ähnlich gefährlich wie meine sechs Monate alte Tochter (lacht). Aber sobald ich Bälle im Sechzehner bekomme, weiß ich schon, was ich kann.
Klingt nach Premier League.
Boyd: Barcelona klingt auch gut (lacht). Aber klar, England generell könnte passen.
Angenommen, Sie sollten gehen: Was bedeutet Ihnen die Zeit in Leipzig?
Boyd: Ich kann kein schlechtes Wort über RB verlieren. Das ist eine geile Truppe, nicht nur in der Mannschaft, sondern das gesamte Team. Das fängt ganz oben mit Oliver Mintzlaff und Ralf Rangnick an. Das sind Menschen, die richtig korrekt drauf sind. Als ich Anfang des Jahres kurz davor war aufzuhören, haben sie mir gesagt, dass sie mich nicht fallen lassen und hätten mir einen Job im Verein angeboten. Ich hatte nie das Gefühl, dass sie mich im Stich lassen. Dass ich lange verletzt war und sportlich nicht mehr konkurrenzfähig war, ist der Lauf der Dinge, aber menschlich werde ich immer noch so geschätzt wie zuvor. (mz)