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Karriere-Aus vor Olympia Karriere-Aus vor Olympia: Halles Ruder-Star Julia Lier erklärt Rücktritt

Von Petra Szag 09.01.2020, 09:52
Julia Lier beim Training in Halle.
Julia Lier beim Training in Halle. www.imago-images.de

Halle (Saale) - Bedrückt. Traurig. Doch irgendwie auch erleichtert - als Julia Lier am Mittwoch im Ruderhaus über die Zukunft spricht, da ist der Olympiasiegerin von 2016 ihre Gefühlslage anzusehen. „Ich höre auf“, verkündet die 28-Jährige mit belegter Stimme.

Nach 15 Jahren Leistungssport und gerade einmal 197 Tage vor den nächsten Sommerspielen in Tokio tritt Halles bisher größte Medaillenhoffnung den Rückzug an. Ihr Körper, so erklärt sie, lässt die extrem hohen Trainingsbelastungen einfach nicht mehr zu. „Ich achte auf meine Gesundheit“, sagt sie, „ich bin nicht bereit, mich kaputt machen zu lassen.“

Seit letztem Sommer plagt sich die Ruderin vom HRV Böllberg-Nelson mit einer folgenschweren Verletzung herum. Die Stressfraktur an der sechsten Rippe hat bis heute ein kontinuierliches Training nicht zugelassen. Zwar habe sie auch schon wieder im Boot gesessen, „aber 20 Kilometer runterschrubben ist immer noch nicht möglich“.

Ruderin Julia Lier aus Halle tritt zurück

Deshalb rennt ihr die Zeit davon. Der Fahrplan, den die Verbandsverantwortlichen für Tokio festgezurrt haben, sieht vor, dass die Kandidaten schon Ende Februar Top-Form vorweisen müssen. Nach einem Test im Trainingslager in Portugal soll festgelegt werden, wer in welchem Boot sitzt. Das, sagt Julia Lier, ist nicht zu schaffen. So werde sie das nun auch dem Verband mitteilen.

Dabei hatte sich die Hallenserin zwischenzeitlich auf dem richtigen Weg gewähnt. Nach ihrem spektakulären Sieg vor dreieinhalb Jahren in Rio de Janeiro hatte sich Julia Lier mit Absprache des Verbandes auf ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin konzentriert. Im Oktober 2017 war sie voller Enthusiasmus ins Boot zurückgekehrt.

Der Ärger begann, als im November 2018 die besten deutschen Skullerinnen zum gemeinsamen Training an den Nationalmannschaftsstützpunkt nach Berlin beordert wurden. Dort wurde so hart trainiert, dass Liers Körper streikte. Nach dem Gewinn des EM-Titels vor sieben Monaten zeigten sich bei ihr die ersten Symptome der Stressfraktur. Ihr behandelnder Arzt in Halles Uniklinik führte die Verletzung auf Überbelastung zurück. Die WM war damit für die Weltmeisterin von 2014 und WM-Dritte 2015 gelaufen, der Frust groß. Eine Rückkehr nach Berlin, ohne dass sich trainingsmethodisch etwas ändert, schloss sie im Juli aus.

Damals hatten Lier und ihr Heimtrainer Frank Köhler unter anderem bemängelt, dass das Verhältnis zwischen Belastung und Erholung nicht stimme. Auch auf individuelle Besonderheiten wie das Alter oder die Tagesform der Athletinnen wurde ihrer Meinung nach zu wenig eingegangen. Damit seien Verletzungen programmiert gewesen.

Julia Lier: „Ich habe nicht das Gefühl, gebraucht zu werden“

Geändert hat sich am Stützpunkt tatsächlich nichts. Die Hinweise aus Halle blieben offenbar ungehört. „Ich habe nicht das Gefühl, gebraucht zu werden“, sagte Julia Lier. Ihr Vorschlag, sich in der Heimat dann eben individuell auf den Einer vorzubereiten und mit Beginn der Weltcups im April international anzugreifen, durfte nicht umgesetzt werden. Im Verband beharrte man auf Berlin als Trainingsort und den Test-Termin Ende Februar.

Deshalb nun zieht Julia Lier die Reißleine. „Was mir schwerfällt, auch wegen der vielen Förderer in Halle, die mich so gut unterstützt haben wie die Ärzte in der Uniklinik oder meine Physiotherapeutin Ines Walther.“ Das gelte auch für die Bundeswehr. Ihren Arbeitgeber hat sie bereits über das Karriereende informiert. Er wird sie auch während der Phase des Abtrainierens finanziell unterstützen und ermöglicht ihr weiterhin die berufsbegleitende Zusatzausbildung zur Heilpraktikerin in Leipzig.

Übrigens: Nicht nur für Julia Lier geht mit dem Tokio-Aus eine Erfolgsgeschichte zu Ende. Erstmals seit der Wende wird bei Olympischen Spielen kein Ruderer aus Halle dabei sein. (mz)

Julia Lier (2. v.r.) feiert mit ihren Teamkolleginnen Carina Bär, Annekatrin Thiele und Lisa Schmidla (v.l.) in Rio ihre Goldmedaille im Doppelvierer.
Julia Lier (2. v.r.) feiert mit ihren Teamkolleginnen Carina Bär, Annekatrin Thiele und Lisa Schmidla (v.l.) in Rio ihre Goldmedaille im Doppelvierer.
imago/symbol
Julia Lier und ihr Heimtrainer Frank Köhler beim Training an Land
Julia Lier und ihr Heimtrainer Frank Köhler beim Training an Land
Holger John