Hintergrund Hintergrund: Thomas Bach im Porträt

Buenos Aires/dpa - Buenos Aires war für Thomas Bach schon einmal eine magische Stadt. Bei der Fecht-WM 1977 hatte er mit dem deutschen Florett-Team nach einem 1:7-Rückstand im Finale gegen Italien doch noch WM-Gold gewonnen. Bachs Lebensmotto: Alles ist möglich. Auch der Sprung an die Spitze einer Weltorganisation für einen Strategen aus der fränkischen Provinz. An diesem Dienstag will der 59 Jahre alte Wirtschaftsanwalt aus Tauberbischofsheim in der argentinischen Hauptstadt als erster Deutscher IOC-Präsident werden.
Die letzten Stunden vor dem Wahlfinale waren zäh. Die Rituale wiederholten sich. Händeschütteln, Nettigkeiten, Schulterklopfen, freundlich sein - der Nächste bitte. Mit einer bemerkenswerten Beharrlichkeit arbeitete er sich durch die Hotel-Lobby, von einem stimmberechtigten IOC-Kollegen zum nächsten. Bach kann das im Schlaf. Zielorientierter Funktionärs-Small-Talk. Körperlich präsent, mit den Gedanken zwischendurch weit weg. Heute Buenos Aires, morgen Acapulco - und übermorgen Traunstein.
Der Multi-Funktionär ist aus Erfahrung vorsichtig. Zu viel Offenheit ist gefährlich, zu viel Zurückhaltung auch. In diesem Spannungsfeld bewegt er sich, seit er als Fünfjähriger mit dem Fechten begann. Den richtigen Moment zu erwischen, zwischen Deckung und Attacke. Die Angriffe seiner Gegner, er habe aus seinen Ehrenämtern berufliche Vorteile gezogen, parierte Bach fast schon routiniert.
Im Rahmen der Siemens-Bestechungsaffäre wurde sein lukrativer Beratervertrag mit dem Münchner Weltkonzern durchleuchtet. Anschuldigungen, es gebe einen Interessenkonflikt, wurden laut. Der Präsident der deutsch-arabischen Industrie- und Handelskammer vermische Beruf und Ehrenamt. Bach verlor schließlich sein hoch dotiertes Siemens-Mandat, weitere Konsequenzen gab es nicht. Die Compliance-Abteilung von Siemens teilte mit, eine Überprüfung habe zu „keinerlei Beanstandungen“ geführt, an Bachs Integrität bestünden „keine Zweifel“. Der Konzern war damals für die technische Infrastruktur an zahlreichen Wettkampfstätten der Peking-Spiele 2008 verantwortlich.
Sein Freund Sebastian Coe nennt den IOC-Vize „Professor“. Dr. jur. Bach wägt sehr genau ab, bevor er handelt. Mal ist er Bauchmensch, mal Kopfmensch, manchmal auch beides gleichzeitig, gibt er zu. In den Tagen von Buenos Aires wirkte er vor allem zuversichtlich, irgendwie angekommen in seinem persönlichen Koordinatensystem des vermeintlich planbaren Erfolgs. Seine Unterstützer sagen: Der Strippenzieher spiele kein Spiel, das er nicht gewinnt.
Dabei waren es gerade die schmerzhaften Erfahrungen, die ihn entscheidend prägten. Der Tod seines herzkranken Vaters, als er 14 war. Bach Jr. musste im elterlichen Textilhandel aushelfen, der Tauberbischofsheimer Fechtpapst Emil Beck kümmerte sich um den strebsamen Teenager. Bach holte 1976 Olympia-Gold mit der Florett-Mannschaft.
Oder der Boykott der Moskau-Spiele 1980, den er als Athletensprecher nicht verhindern konnte. Bundeskanzler Helmut Schmidt bügelte ihn einfach ab. Bach hat seine Ohnmacht bis heute nicht vergessen. Oder die gescheiterten deutschen Olympia-Bewerbungen mit Leipzig, Berlin und München - alle mit ihm verbunden. Sport sei persönlichkeitsbildend, sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Bach hat viele Facetten. Schwache Nerven gehören nicht dazu.
Der ambitionierte Advokat konnte schon früh in großen Linien denken. Das gefiel auch seinen weiteren Förderern. Der inzwischen gestorbene IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch berief ihn nach dem Olympischen Kongress 1981 in Baden-Baden in die neu geschaffene Athleten-Kommission. Adidas-Chef Horst Dassler stellte ihn 1985 als Direktor für Internationale Beziehungen ein. Und Willi Daume machte 1991 sogar seinen Platz im IOC für Bach frei. Eine bessere Nachhilfe in Sachen Machtpolitik und Kommerzdenken konnte sich der pragmatische Franke nicht wünschen. „Jeder hat mir auf seine Weise für mein Leben und meine Laufbahn Impulse gegeben“, betonte Bach. Von seinen bisher 22 Jahren im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) hat er bereits 15 Jahre in der Exekutive hinter sich und in bisher 14 Kommissionen gearbeitet, Seit zehn Jahren ist er Vizepräsident.
Bach beherrscht das strategische Winkelspiel in der olympischen Familie wie kaum ein Zweiter. Egal ob als Vorsitzender der Juristischen Kommission oder als Chef der Disziplinarkammer bei Olympischen Spielen. Auch Vorsitzender der Berufungskammer des Internationalen Sportgerichtshofs CAS war er schon; die europäischen TV-Rechte für Olympia hat er ebenfalls verhandelt. Bach ist ehrgeizig und hält das nicht für negativ. Er war früher Messdiener und verkauft sich inzwischen gern als bodenständiger Bewahrer und weltoffener Reformer. Er habe zwei linke Hände, gesteht Bach, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der Michael Weinig AG - Weltmarktführer für Holzverarbeitungsmaschinen - ist.
Seit Mai 2006 ist er zudem Gründungspräsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) - vielleicht nicht mehr lange. Bach beherrscht viele Rollen und er kann auch mühelos zwischen ihnen hin- und herwechseln. Der Netzwerker legt nach eigener Aussage großen Wert auf Authentizität und Verbindlichkeit. Bach ist analytisch, fintenreich und berechnend, aber vor allem eines: schwer greifbar.