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Pro und Contra Thomas Tuchel bei Borussia Dortmund: Sollte der Hans-Joachim Watzke am BVB-Coach festhalten?

29.05.2017, 13:58
Hans-Joachim Watzke und Thomas Tuchel im Gespräch.
Hans-Joachim Watzke und Thomas Tuchel im Gespräch. dpa

Dortmund - DFB-Pokalsieg, Champions-League-Viertelfinale und erneute Qualifikation für die Gruppenphase der Königsklasse: Der sportliche Umbruch ist Borussia Dortmund nach dem Weggang der drei Stützen Mats Hummels, Henrikh Mkhitaryan und Ilkay Gündogan gelungen.

Am Ende einer für den Verein unruhigen Saison steht der erste Titel seit 2012. Dennoch wird sich der Klub wohl in Kürze wegen interner Querelen von Trainer Thomas Tuchel trennen. Ist das die richtige Entscheidung? Oder sollten die Borussen weiter an ihrem Coach festhalten? Ein Pro und Contra.

Pro Tuchel: Erfolgreichster BVB-Trainer

Borussia Dortmund blickt sportlich auf die erfolgreichste Spielzeit seit dem Double-Gewinn 2012 zurück. Das ist auch der Verdienst von Trainer Tuchel, der nach dem Verkauf der drei Säulen Hummels, Mkhitaryan und Gündogan einen Umbruch zu stemmen hatte. Zwar verpflichtete der BVB mit  Mario Götze, Andre Schürrle, Sebastian Rode und Marc Bartra gestandene Spieler, die aber zum Teil über lange Zeit der Saison verletzungs- oder krankheitsbedingt nicht spielen konnten. Außerdem stellten die BVB-Verantwortlichen Tuchel mit Ousmane Dembele, Raphael Guerreiro, Emre Mor und Mikel Merino weltweit „gejagte“ Talente zur Verfügung.

Dennoch: Binnen kurzer Zeit gelang es dem Coach, eine neue Mannschaft zu formieren, die in der Spitzengruppe der Bundesliga mitspielt. Durch Platz 3 in der Bundesliga, dem Champions-League-Viertelfinale und dem Pokalsieg hat Tuchel in allen Wettbewerben die Erwartungen mindestens erfüllt – in einer Saison, die durch den Anschlag auf den Mannschaftsbus im April einen Knackpunkt erlitt.

Anschlag sorgt für „Klebstoff“

Tuchel, der sonst eher kühl wirkende Analytiker, der eine Nähe zur Fanszene nie zuließ, steigerte seine Sympathiewerte durch Statements direkt im Anschluss. Der 43-Jährige stellte sich vor die Mannschaft, kritisierte die Neuansetzung des Spiels auf den Folgetag des Anschlags und warb um Verständnis für eventuelle Leistungsschwankungen, die sich aus dem Anschlag hätten ergeben können. Tuchel punktete auch mit bis dato öffentlich nicht zur Schau gestellten Qualitäten und sprach wenig später vom „Klebstoff“, den das Attentat in das Verhältnis von Spielern untereinander und zum Trainer gebracht hätte. In der Bundesliga überholte der BVB im Anschluss an das Bus-Attentat  1899 Hoffenheim und gewann das DFB-Pokal-Halbfinale in München. 

Trainer werden in der Regel an sportlichen Erfolgen gemessen. Kein Trainer in der BVB-Historie hat im Durchschnitt mehr Punkte pro Spiel geholt als Tuchel. Die Nebengeräusche, die unter anderem durch den Kauf von Alexander Isak ohne Wissen des Trainers und das Interview von Hans-Joachim Watzke vor dem Hoffenheim-Spiel ausgelöst wurden, konnten Mannschaft und Trainer ausblenden.

Auch wenn die BVB-Führungsetage zu der Erkenntnis kommt, dass es mit Thomas Tuchel langfristig nicht weitergeht: Durch die sportlichen Erfolge hat er es zumindest verdient, seinen Vertrag bis 2018 erfüllen zu dürfen.

Contra Tuchel: Watzke muss antizyklisch handeln

Die Unstimmigkeiten zwischen Thomas Tuchel und der BVB-Chefetage sind seit langem bekannt. Öffentlich bekannt wurde der Zwist seit der Diskussion um BVB-Chefscout Sven Mislintat, mit dem Tuchel keine gemeinsame Basis fand und den er letztlich sogar vom Trainingsgelände verwiesen haben soll. Watzke beförderte Mislintat daraufhin Anfang des Jahres zum „Leiter Profifußball“.

Begonnen hat der „Dissens“, wie Watzke die Ausseinandersetzung in einem Interview mit der Funke Mediengruppe nennt, aber bereits früher. Entgegen anderslautender Versprechungen ließ Watzke Hummels, Gündogan und Mkhitaryan im Sommer 2016 ziehen. Tuchel sah den Weg, den er mit der Mannschaft in seinem ersten BVB-Jahr erfolgreich eingeschlagen hatte, gefährdet.

Im Winter verkaufte der BVB Stürmer Adrian Ramos und holte stattdessen den 17-jährigen Alexander Isak. Tuchel wurde in den Transfer offenbar erst sehr spät eingeweiht und äußerte seinen Unmut. Denn trotz der Verkäufe hielten Watzke und Co. an den sportlich ambitionierten Zielen fest. Tuchel setzte Isak in der Rückrunde nur einmal kurz  ein – beim Pokalspiel gegen Lotte in Osnabrück.

Watzke-Interview löst Sturm aus

Die Diskussion beruhigte sich in den vergangenen Wochen – bis Watzke genanntes Interview gab, das am Tag des vorentscheidenden Spiels um die direkte Champions-League-Qualifikation gegen Hoffenheim erschien.  

Hört man sich im Dortmunder Umfeld um, so ist von einem zerrütteten Verhältnis Tuchels zu Teilen der Mannschaft die Rede. Mit Vereinsmitarbeitern auf allen Ebenen soll es sich der Trainer verscherzt haben. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitierte in einem Bericht Spieler anonym, die sich über den Coach beschweren. Laut „Bild“ sollen sogar Spieler mit einem Weggang gedroht haben, sollte Tuchel im Amt bleiben. Die Frage, die bleibt: Wie ist solch ein sportlicher Erfolg möglich, wenn sich angeblich ein nicht unerheblicher Teil des Vereins gegen den Trainer stellt? So argumentiert auch Tuchel öffentlich.

Schon in den vergangenen Tagen richtete sich die Stimmung der Szene eher gegen Watzke als gegen Tuchel, weil nach außen so wenig bekannt. Das ist – vor allem im Vergleich zum Reviernachbarn aus Gelsenkirchen – eine der großen Stärken von Borussia Dortmund. In diesen Tagen macht es das aber zumindest für Watzke in der öffentlichen Wahrnehmung nicht leichter.

Wenn die BVB-Führungsetage der Meinung ist, dass durch das gestörte Innenverhältnis im Verein der sportliche Erfolg mittelfristig gefährdet ist, ist eine Trennung im Sommer unumgänglich. Untypisch und antizyklisch wäre es trotzdem: Noch nie in der Bundesliga wurde ein Trainer gefeuert, der sportlich alle Ziele erreicht oder sogar übertrumpft hat. Der Geschäftsführer wird sich erklären müssen, für die BVB-Anhänger wäre eine Trennung zunächst unverständlich.