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Nach EM-Aus der DFB-Elf Nach EM-Aus der DFB-Elf: Sehnsucht nach Mittelstürmern

08.07.2016, 16:58
Mario Gomez (r.) musste die EM vorzeitig abbrechen, Thomas Müller konnte nicht seine gewohnte Treffsicherheit vorweisen.
Mario Gomez (r.) musste die EM vorzeitig abbrechen, Thomas Müller konnte nicht seine gewohnte Treffsicherheit vorweisen. dpa

Marseille - Der Fußball ist wohl nicht das angemessene Umfeld für Worte wie Hass oder Liebe, daher offenbarte Mario Gomez am Donnerstagabend eine gewisse Begriffsscheu, als er zu seinen EM-Schlussworten ansetzte. „Auch wenn es jetzt vorbei ist“, hob der Mittelstürmer an, „wir hatten hier einen wahnsinnigen Zusammenhalt in dieser Mannschaft. Ich bin in solchen emotionalen Dingen immer vorsichtig, aber ich denke, ich kann sagen: Das ist fast Liebe.“

Mario Gomez hat eine der Geschichten dieser EM geschrieben. Nach fürchterlichen Jahren und der verpassten WM 2014 hatte er sich in der vergangenen Saison zu Besiktas Istanbul gewagt, und es wäre nichts Außergewöhnliches gewesen, wäre seine Karriere dort endgültig ausgerollt. Doch er brachte sich in eine großartige körperliche Form – und schoss Tor um Tor. Kein Spieler hatte die Nominierung wohl derart verdient wie Gomez, den sie im eigenen Land immer wieder verschmäht hatten.

Gomez war ein Ungeliebter, seine Position eigentlich abgeschafft im deutschen Spiel. Der hochgewachsene Mittelstürmer galt als nicht mehr zeitgemäß in der Welt der Passmaschinen. Doch irgendwann war aufgefallen, dass den Deutschen einer fehlte, der den Ball ins Tor schießt, der Überlegenheit umwandelt in Resultate. Gomez hatte gegen Nordirland und die Slowakei getroffen und das deutsche 1:0 gegen Italien eingeleitet. Er hatte sich als Antwort auf alle Fragen erwiesen. Und war dann verletzt aus der Elf gestürzt.

Offensive war nicht titelreif

Das deutsche Team hat bei dieser EM in sechs Spielen nur drei Tore kassiert, zwei davon durch kuriose Handelfmeter. Mit einer solchen Gegentorbilanz darf ein Weltmeister eigentlich nicht im Halbfinale aus dem Turnier gehen. Doch die Offensive war eben nicht titelreif. Mario Götze wurde kaum gefährlich, Julian Draxler schaffte nur gegen überforderte Slowaken ein herausragendes Spiel. André Schürrle war kein Faktor, Lukas Podolski, der sich selbst „voll im Saft sieht“ und – vorerst jedenfalls – nicht aus der DFB-Elf zurücktreten will, ebenso wenig. Und Leroy Sané, dem Hochbegabten, wollte man nicht die Last auferlegen, die Hoffnung der Nation zu sein.

Die größte Enttäuschung war wohl Thomas Müller. Der unerschütterliche Münchner sah Donnerstagnacht auf dem Weg zum Mannschaftsbus plötzlich sehr alt aus, hager und müde. Keine Minute dieser EM hat der 26-Jährige verpasst, doch in 570 Spielminuten gelang ihm kein Treffer. Eine absurde Bilanz des Torschützenkönigs der WM 2010. Insgesamt spielte er nie wirklich schlecht. Doch ihm war das Schussglück abhandengekommen.

Abhaken, Müllers Spezialität

Irgendwann konnte selbst ein Thomas Müller nicht mehr beiseiteschieben, was ihm da alles missglückte. „Wir haben uns als Mannschaft und den deutschen Fußball gut präsentiert“, sagte er noch. Fußball sei aber ein „Erfolgssport. Es geht darum, Titel zu gewinnen. Ob man dann im Halbfinale ausscheidet oder schon vorher, ist dann nicht sehr entscheidend. Wir müssen das Ding jetzt abhaken.“ Abhaken, Müllers Spezialität. Doch so einfach wird das nicht sein. Seine Bilanz der vergangenen sieben Wochen war eine bittere: „Die ganze Arbeit, die wir reingesteckt haben, war umsonst.“

Joachim Löw hatte rasch begriffen, dass er mit dieser Offensive nicht weit kommen würde; hatte Gomez gegen Polen für 20 Minuten gebracht, um zu schauen, ob sich doch noch etwas bewegt, gegen Nordirland hatte sich die Hoffnung erfüllt. Doch mit der Gewissheit, dass ein klassischer Mittelstürmer die Lösung des deutschen Offensivproblems sein würde, trat die Unwucht des deutschen Kaders zum Vorschein: Die Mittelstürmer-Position war nicht doppelt besetzt. Gegen Frankreich musste Löw also wieder improvisieren, am Ende gingen ihm schlicht die Möglichkeiten aus.

Die Bestellung bei DFB-Sportdirektor Hansi Flick ist längst eingegangen. Der deutsche Fußball wird nun Mittelstürmer ausbilden. In drei, vier Jahren werden die ersten jungen Superstürmer aus den Leistungszentren kommen, wie derzeit ein Kombinations-Star nach dem anderen vom Band zu laufen scheint. Doch noch ist keiner in Sicht, der den Mangel heilen könnte.

Dabei wäre dringend einer nötig. Denn mit all ihrem Ballbesitz spielt die deutsche Elf zeitweise zwar wie der FC Barcelona. Nur eben ohne Lionel Messi. Und ohne Neymar. Und ohne Luis Suárez. Spieler wie Mario Gomez können helfen, dieses Problem zu beheben. Auch wenn die Lösung mit einem echten Mittelstürmer natürlich nicht alternativlos ist – nicht zufällig wurde ja Antoine Griezmann, der schmächtige Offensivstar der Franzosen, im Halbfinale zum entscheidenden Mann. Denn einer wie Griezmann ist ein riesiger Faktor im Fußball: Einer, der nicht nur Überlegenheit in Tore umsetzen kann. Sondern sogar Unterlegenheit.