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"Ein Qualitätsproblem" "Ein Qualitätsproblem": Ex-Schiri Babak Rafati über Leistungsdruck und miese Ausbildung

09.09.2019, 09:33
Ex-Schiedsrichter Babak Rafati gestikuliert in einem Bundesliga-Spiel: Rafati kritisiert die neuen Regeländerungen.
Ex-Schiedsrichter Babak Rafati gestikuliert in einem Bundesliga-Spiel: Rafati kritisiert die neuen Regeländerungen. dpa

Halle (Saale) - Aufgrund der aktuell laufenden Qualifikationsspiele zur Fußball-Europameisterschaft im kommenden Jahr ruht der Ball im Ligabetrieb zwar gerade, genug Diskussionsstoff gibt es seit dem Beginn der neuen Saison jedoch genug. Im Interview mit Christoph Lesk spricht der ehemalige Fifa-Schiedsrichter Babak Rafati über den Umgang mit Leistungsdruck, die schlechte Schiedsrichterausbildung in Deutschland, den Mangel an Nachwuchs, die Regeländerungen und die Leistungen der Unparteiischen in der dritten Liga.

Sie arbeiten unter anderem als Mentalcoach, wie beurteilen Sie den Umgang mit Spielern und Funktionären im Fußball? Ist der Druck von Außen zu hoch?
Babak Rafati: Ich mache als Mentalcoach mit Profifußballern die Erfahrung, dass hinter den Kulissen ein desaströser Zustand herrscht und der Druck sehr groß ist. Ich habe es ja auch selbst erlebt und weiß, wovon ich spreche. Bundestrainer Joachim Löw hat neulich gesagt, dass es nicht mehr um weiter, höher und schneller geht, vielmehr zukünftig die kognitiven Fähigkeiten entscheidend sein werden. Die Zukunft heißt: Alles Kopfsache, der Schlüssel zum Erfolg.

Nach schockierenden Ereignissen entflammt immer wieder für kurze Zeit die Thematik, wie im Fußball mit Depressionen umgegangen wird. Wie sehen Sie das und welche Maßnahmen würden Sie sich wünschen?
Rafati: Die Themen Druck und Stress, die ja zu Depressionen führen können, werden im Fußball komplett unterschätzt. Das Ergebnis: Qualitätsabfall im deutschen Fußball, bei den Vereinen wie auch Schiedsrichtern. Um insbesondere international mithalten zu können, müssen wir an der Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen arbeiten und die Sinne stärken. Die Wirtschaft macht es schon vor. Da gibt es das Betriebliche Gesundheitsmanagement mit den Kernthemen Burnout-Prävention und Stressmanagement mit dem Ziel: Gesunde Unternehmen brauchen gesunde Mitarbeiter.

Reizt es Sie aktuell, wieder Spiele zu pfeifen?
Rafati: Ich pfeife gelegentlich noch Abschiedsspiele von Ex-Profis, und das macht mir auch Spaß.

Wie viel Fußball schauen Sie noch?
Rafati: Ich verfolge regelmäßig den Fußball, da ich Kolumnist für den Sportbuzzer bin und über die Bundesliga schreibe. Zudem muss ich am Ball bleiben, sollte sich das Thema TV-Experte mal konkretisieren.

Kommen wir zur dritten Liga: Oftmals werden die Schiedsrichterleistungen von Fans, aber auch Spielern und Trainern kritisiert. Teilen Sie den Eindruck, dass die Unparteiischen im Schnitt nicht gut genug sind für diese Liga?
Rafati: Wir haben ein Qualitätsproblem bei vielen Schiedsrichtern. Die Defizite liegen allerdings vorrangig im mentalen Bereich und diese führen folglich zu Fehlentscheidungen. Bei den vorliegenden Strukturen, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehen kann, wird sich allerdings auch nichts mehr verändern. Ich prophezeie, dass es bald in den Vereinen einen Schiedsrichter-Berater geben wird, der praxisrelevante Tipps wie zum Beispiel „Umgang mit Schiedsrichtern“ vermitteln wird.

Insgesamt 321 Spiele pfiff Babak Rafati als Schiedsrichter (Quelle: transfermarkt.de), davon 84 in der ersten Bundesliga. Seine Karriere als Unparteiischer nahm am 19. November 2011 ein abruptes Ende. Als der heute 49-Jährige nicht rechtzeitig zum Spiel zwischen dem 1. FC Köln und dem 1. FSV Mainz 05 erschien, wurde die Bundesliga-Partie abgesagt.

Laut Polizeiangaben war ein Suizidversuch die Ursache. Rafatis Schiedsrichter-Assistenten Patrick Ittrich, Holger Henschel und Frank Willenborg hatten diesen in seinem Kölner Hotel aufgefunden und noch vor Eintreffen des Notarztes Erste Hilfe leisten können. Als Auslöser für die versuchte Selbsttötung gab Rafati Depressionen an. Er begab sich daraufhin in therapeutische Behandlung.

Der gebürtige Hannoveraner pfiff kein Spiel mehr und gab am 24. Mai 2012 seinen Rücktritt bekannt. Heute arbeitet er als Business Speaker in der freien Wirtschaft und hält in Unternehmen Vorträge zu den Themen Stressmanagement, Persönlichkeitsentwicklung und Motivation am Arbeitsplatz. Zudem ist er als Mental-/Motivationscoach unter anderem für Fußballer und Manager tätig. Aktuell weitet er mit seiner Frau, der Managing Direktorin deren Agentur, die Tätigkeit in das Ausland aus, weil dort die Nachfrage sehr groß ist.

Die dritte Liga wird öfter als Versuchsliga für junge, unerfahrene Schiedsrichter angesehen. Sehen Sie dies genauso? Wünschen Sie sich in bestimmten Partien mehr erfahrene Schiedsrichter?
Rafati: Die jungen Leute müssen nur anders ausgebildet werden. Seit vielen Jahren werden bei der Schiedsrichter-Führung Themen wie Auftreten, Kommunikation, Konfliktmanagement und Professionalität stark vernachlässigt. Ich kann daher den Ärger der Fans und Vereine über uns Schiedsrichter durchaus verstehen. Ich habe damals die gleichen amateurhaften Fehler gemacht.

Gleichen sich nach Ihren Beobachtungen Entscheidungen zugunsten und gegen eine Mannschaft im Laufe einer Saison wirklich wie so oft gesagt aus?
Rafati: Das ist nur eine Phrase. Wenn Du am letzten Spieltag durch eine Fehlentscheidung absteigst oder nicht aufsteigst, verliert diese These ihren Charme.

Es kommt zu vielen strittigen Situationen, auch Tore wurden fälschlicherweise schon nicht anerkannt. Würden Sie sich den Videobeweis auch in der dritten Liga wünschen?
Rafati: Der Videobeweis ist in seiner Grundidee wirklich gut. Aber wenn er auch in der dritten Liga eingeführt wird, wäre die Erwartungshaltung der Beteiligten noch größer und der Ärger noch heftiger. Der Videobeweis wird in der Bundesliga falsch eingesetzt. Das hat viele Gründe und Bedarf einer kompletten Veränderung. Dann wäre er auch ein Thema in der dritten Liga.

Vor der Saison gab es einige neue Regeln. Empfanden Sie diese als notwendig und nach jetzt einigen absolvierten Spielen auch als sinnvoll?
Rafati: Einige Regeln sind okay. Aber wenn man beispielsweise die Gelben Karten gegen die Trainer sieht, ist das eine vollkommen schwachsinnige Regel. Wir machen Fehler und die Trainer sollen still halten. Wenn sie das nicht tun, kommt Farbe ins Spiel. Wir müssen aber Farbe bekennen. Kommunikation statt Konfrontation ist gefragt.

Ist die Aufregung über die Handspielregelung in Ihren Augen gelöst worden?
Rafati: Wir haben mit der neuen Regel in der recht jungen Saison jetzt schon mehr Theater als vorher. Hier müssten sich die Schiedsrichter von der viel zu theoretischen Anforderung lösen und Fußballsachverstand zeigen. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch im Kölner Keller.

Wie beurteilen Sie den Umgang mit Schiedsrichtern während des Spiels und auch danach durch Spieler, Trainer und Offizielle. Vermissen Sie den Respekt den Unparteiischen gegenüber?
Rafati: Glauben Sie mir. Wir Schiedsrichter sind zum größten Teil selbst schuld. Ich spreche nicht über Fehler auf dem Platz. Ich selbst war auf dem Platz ein Halbgott in Schwarz. Wir müssen ein anderes Führungs-Management an den Tag legen. Da ist viel Steigerungspotenzial drin.

Wundert es Sie aus Ihrer eigener Erfahrung heraus, dass es immer schwieriger wird, Schiedsrichter-Nachwuchs zu generieren?
Rafati: Ich glaube das Freizeitangebot ist heutzutage so groß, dass die jungen Leute lieber etwas anderes machen, als sich jede Woche beleidigen zu lassen. (mz)

Babak Rafati bei einem seiner Vorträge
Babak Rafati bei einem seiner Vorträge
Imago/Wedel