1. MZ.de
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. Christoph Harting: Christoph Harting: "Ich bin nun unsterblich"

Christoph Harting Christoph Harting: "Ich bin nun unsterblich"

Von Christoph Karpe 26.05.2017, 10:11
Aufgeräumt und selbstbewusst: Christoph Harting beim Termin in Dessau.
Aufgeräumt und selbstbewusst: Christoph Harting beim Termin in Dessau. Oliver Harloff

Halle (Saale) - Der Mann ist in Plauderlaune. Schon vor dem offiziellen Teil, der sich dann so einzigartig entwickeln wird. Christoph Harting steht also mit seiner ganzen Baumeslänge im Raum und berichtet, dass er just am letzten Wochenende Opfer von Dieben geworden war.

„Spikes, Trainingstasche und vieles mehr wurde nicht nur mir aus der Umkleide gestohlen“, erzählt er. Passiert sei es am Rande eines Nachwuchs-Wettkampfes in Berlin. Wären er und seine Kollegen nur über den Termin informiert gewesen, dann hätte man das ganze Zeug doch weggeschlossen. Aber nun, alles fort.

Diebe klauen Christoph Harting alles bis auf seine Wurfschuhe

„Und die Nahrungsergänzungsmittel, die mir geblieben sind, kann ich wegschmeißen, da sind wird Athleten ja paranoid“, so Harting. Es könnte ja jemand Doping-Substanzen untergemischt haben.

Nur eines ist Christoph Harting geblieben. „Meine Wurfschuhe. Dafür hatte wohl niemand Verwendung“, mutmaßt der 2,07-Meter-Recke. Vielleicht aus dem Grund, den er später selbst liefern wird: Diskuswurf ist nämlich beileibe nicht seine Passion.

Christoph Harting beim Leichtathletik-Meeting „Anhalt 2017“

Erzählt hat dies in der Pressekonferenz zum Leichtathletik-Meeting „Anhalt 2017“. Am 16. Juni wird Harting in Dessau starten. Und diese Gesprächsrunde entwickelt sich bemerkenswert. Der Olympiasieger von Rio 2016 kommt nämlich nicht einfach mit ein paar Statements zu Form und Erwartungen davon. So wie es meist üblich ist. 

Andreas Möckel, der Moderator der Runde, fordert Christoph Harting zu einem Seelenstriptease heraus. Völlig überraschend für den Ausgefragten.

Christoph Harting ist kein arroganter Schnösel

„Das war nicht abgesprochen. Ich wusste nicht, was auf mich da zukommen würde“, gesteht Harting später. Umso verblüffender also, dass ausgerechnet der Mann, der im Olympiajahr monatelang Interviews rigoros abgelehnt hatte, was ihm den Ruf eines arroganten Schnösels einbrachte, nun frei heraus plaudert.

Über Bemerkenswertes. Nicht mehr darüber, wie er in Rio de Janeiro zur Nationalhymne herumgehampelt hatte. Das hatte bekanntlich ein kontroverses, überwiegend negatives Echo ausgelöst. Da seien „Dämonen“ aus ihm rausgebrochen, es sei wie bei einem „kleinen Filmriss“ gewesen, hatte er die bizarren Szenen schließlich längst erklärt.

Christoph Harting: Den perfekten Wurf gibt es beim Diskus nicht

Sehr wohl aber geht es um dieses überraschende Olympiagold, das er sich mit 68,37 Metern im letzten Versuch geholt hatte. Und Harting erklärt, dadurch sei er nun „unsterblich“.

Ohne die nachfolgende Erklärung stünde dieses Wort, das er mit einem feinen Lächeln um die Lippen ausspricht, wieder mit gewisser Arroganz im Raum. Also schiebt Harting nach: „Es ging mir auch darum, dass es das noch nie gegeben hat, dass Brüder bei aufeinanderfolgenden Olympischen Spielen in der selben Disziplin Gold geholt haben. Und es ist einfach so: Als Olympiasieger ist man unsterblich - ob man will oder nicht.“

Doch dass er dieses Ziel mit dem Diskus erreicht hat, verblüfft angesichts der folgenden Aussage: „Am Diskuswerfen finde ich eigentlich nichts Faszinierendes. Ich wurde damals gecastet. Große Jungs mussten Speer werfen, Kugel stoßen - ich bin beim Diskus hängengeblieben, weil ich das am besten konnte.“ Sein unbändiger Ehrgeiz aber ersetzte das Prickeln. Bei dem, was er am besten kann, wollte er auch unbedingt der Beste sein. „Ich will einfach immer gewinnen. Man braucht diese Besessenheit.“

Christoph Harting weiß er: „Den perfekten Wurf wird es niemals geben. Da müsste ja alles - jeder Muskel, Wind, Hebel, Fitness und vieles zusammenkommen. Wird es aber nicht, weil schon die Muskeln im Körper gegeneinander arbeiten.“ Aber natürlich möchte er „Weltrekord werfen“, weil er fest daran glaubt, irgendwann dafür bereit zu sein.

Christoph Harting über seine Tattoos

Der Mann strahlt Selbstbewusstsein aus. Womöglich gab ihm der Olympiasieg den Kick, nun auch verbal mit breiter Brust durchs Leben zu gehen. Auf der Brust - genau auf dem für ihn so entscheidenden rechten Muskel - hat er sich 16 Schlagworte in Englisch tätowieren lassen. Vier in Rot: Liebe, Hass, Glaube und Schmerz. „Das sind die stärksten Emotionen, die man haben kann“, sagt der verheiratete Familienvater. Das erste der dunklen Worte ist „Irrsinn“. Christoph Harting sieht es als Empfehlung, sich kindliche Verrücktheit zu bewahren.

Dieser Mann hat fraglos bemerkenswerte Ecken. Christoph Harting ist sich selbst „kein Freund“. Schwarzer Humor dient ihm dazu, „Auswegloses mit Sarkasmus zu überspielen“. Und seine Meinung zu Gleichberechtigung von Frauen: „Hundert Prozent der Minen-Arbeiter sind Männer, hundert Prozent der Kanal-Arbeiter sind Männer, aber wenn es um nette Bürojobs geht, dann wird von Gleichberechtigung geredet. Man darf sie aber nicht mit ungleichem Maß bestimmen“, sagt er. Wobei der Motorrad-Fan auch lächelnd zugab: „Wir Männer sind genetisch nicht dazu bestimmt, Frauen zu verstehen.“

Heikles Verhältnis zu Bruder Robert Harting

Die letzte Botschaft, die seine Brust zeichnet, lautet „Einsamkeit“. „Ich war ja mein Leben lang meist einsam“, sagt der 26-Jährige, der auch schon erwogen hatte, auszuwandern. „Mit zwölf Jahren kam ich ans Sportinternat, meine Eltern hatten wenig Zeit, weil sie sich um die pflegebedürftigen Großeltern kümmern mussten. Und mein Bruder hatte sowieso längst sein eigenes Leben.“

Robert Harting, sechs Jahre älter, sechs Zentimeter kleiner, ist dem „Kleinen“ nun zwar nicht mehr den Olympiasieg, aber immer noch drei WM-Titel voraus. Der große Bruder, das ist bei Christoph immer noch ein sensibles Thema. Nein, die beiden mögen sich nicht wirklich. Sie sind sportliche Rivalen. Was sie seit Jahresbeginn auch durch verschiedene Trainer deutlich machen. „Aber Robert trainiert immer noch nur wenige Meter neben mir, macht fast die gleichen Übungen. Wir gehen uns also nicht aus dem Weg“, sagt Christoph Harting. Betrachtet er ihn als Konkurrenten für die WM im August in London? „Der Mann“, setzt er an, „ist immer für 67, 68 Meter gut, wenn er fit ist.“

Er selbst möchte natürlich „eine Medaille gewinnen“. Jedes Understatement wäre „falsche Scheu“ und außerdem „unglaubwürdig“ - für einen Olympiasieger. Gleichzeitig treibt ihn angesichts des Manchester-Terrors auch die Sorge um, bei einem Sport-Großereignis könnte ein Anschlag passieren. Sie seien dafür prädestiniert: „Aber wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Wir müssen zeigen: Wir genießen das Leben.“

Für ihn gehört auch dazu, sich nicht ständig den Kopf darüber zu zerbrechen, wie er bei anderen ankommt. Dieses Selbstbewusstsein hat er sich erarbeitet.

Nein, so offen wie er an jenem Tag in Dessau über sein Seelenleben plaudert, auch bei allen kontroversen Ansätzen - unsympathisch ist dieser Kerl beileibe nicht. Aber eines kündigt er schon wieder an: 2020, im nächsten Olympiajahr, wird er sich wieder eine Rede-Auszeit in der Öffentlichkeit nehmen.

Tickets kosten zwischen 4,10 Euro und 14 Euro. Es gibt sie im Vorverkauf unter www.ticketmaster.de (mz)