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"Bin ein introvertierter Mensch" "Bin ein introvertierter Mensch": Der andere Harting und das Gold

13.08.2016, 17:47
Mit dem Gewinn seiner ersten Goldmedaille tritt Christoph Harting aus dem Schatten seines älteren Bruders Robert und befeuert damit den Konkurrenzkampf zwischen den beiden.
Mit dem Gewinn seiner ersten Goldmedaille tritt Christoph Harting aus dem Schatten seines älteren Bruders Robert und befeuert damit den Konkurrenzkampf zwischen den beiden. EPA

Rio de Janeiro - Er zerriss sein Trikot nicht. Anders als sein Bruder Robert vier Jahre zuvor in London posierte Christoph Hartings nach seinem olympischen Sensationsgold mit dem Diskus nicht für die Fotografen.

Harting beantwortete keine einzige Frage während der Konferenz

Im Gegenteil - er will ganz anders sein. „Extrovertierte Menschen wollen wahrgenommen werden. Ich bin ein introvertierter Mensch und fühle mich völlig unwohl hier“, sagte Christoph Harting am Samstag bei der Sieger-Pressekonferenz. Erst dort kommentierte er seinen Coup von Rio de Janeiro, aber beantwortete keine einzige Frage.

Zuvor hatte sich Christoph Harting nach seinem finalen Gold-Wurf in alle Richtungen verbeugt, dann die Deutschland-Fahne um die Hüften gebunden, ehe er wortlos davongeeilt war. „Er will seine Ruhe haben und seine Leistung sprechen lassen“, sagte sein Trainer Torsten Lönnsfors zum kommentarlosen Verschwinden des Sensationssiegers. Nach dem unglaublichen Finale im olympischen Diskus-Krimi fügte der Coach hinzu: „Der Titel bleibt in der Familie.“

Vor vier Jahren in London hatte Hartings großer Bruder Robert Gold geholt, in Rio de Janeiro schied er gehandicapt durch einen Hexenschuss schon in der Qualifikation aus. Dafür schaffte es auch der Wattenscheider Daniel Jasinski überraschend als Bronzemedaillengewinner auf das Siegertreppchen. „Unglaublich, ich freue mich riesig“, sagte Jasinski, dem mit 67,05 Metern der beste Wurf seines Lebens gelang. Wie 2008 in Peking ging Silber an den Polen Piotr Malachowski (67,55).

Endgültig aus dem Schatten seines Bruders getreten

Der Berliner Christoph Harting machte seinen Triumph im letzten Durchgang mit 68,37 Metern perfekt. Damit trat der 26-Jährige endgültig aus dem Schatten seines Bruders Robert und dürfte in Zukunft dessen größter Konkurrent sein. „Ich wusste, was er drauf hat und habe ihm gesagt, die Traube hängt bei 68 Metern“, sagte Coach Lönnsfors, der nun einen noch größeren Konkurrenzkampf in seiner Trainingsgruppe unter den Hartings erwartet.

„Der Patriarch kann nicht antreten, die Geschichte nimmt ihren Lauf und die Kronprinzen rücken eindrucksvoll nach“, sagte Thomas Kurschilgen, Sportchef des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), zu den ersten beiden Medaillen für den DLV.

Bei der Siegerehrung zur deutschen Nationalhymne schunkelte Christoph Harting auf dem obersten Treppchen. „Ich bin ein Mensch, der Rhythmus braucht, der Rhythmus liebt, aber es ist sehr schwer, auf die Nationalhymne zu tanzen“, sagte er später. Im zweiten Versuch hatte der 26-Jährige mit 66,34 Metern gleich klargemacht, dass er im Finale ohne seinen Bruder Großes vor hat.

Die persönliche Bestweite brachte die große Überraschung

Vor seinem letzten Wurf lag er dann aber nur auf dem vierten Rang, bis ihm mit der persönlichen Bestweite von 68,37 Metern noch die große Überraschung gelang. Einen Tag nachdem Robert Harting gehandicapt durch einen Hexenschuss das Finale verpasst hatte, feierte sein sechs Jahre jüngerer Bruder damit den größten Erfolg seiner Karriere.

„Wir haben noch einen Harting im Finale und der kann eine Medaille holen“, hatte Robert Harting nach dem Aus prophezeit. Er verfolgte mit seiner Freundin Julia Fischer, die ebenfalls noch um eine Diskus-Medaille kämpfen wird, das Geschehen von der Tribüne.

Christoph Harting feierte in diesem Jahr seinen Aufstieg in die Weltelite. Bei einem Meeting in Dessau schaffte er mit 68,06 Metern den bis Rio weitesten Wurf seiner Karriere, der ihn zugleich auf Augenhöhe mit seinem Bruder brachte. Allerdings konnte der berühmtere Robert, dessen Saison durch Verletzungen nicht optimal lief, bei den deutschen Meisterschaften im Familien-Wettstreit mit dem Titelgewinn den aufstrebenden Bruder in die Schranken verweisen.

„Nur der Sport kann solche fantastischen Geschichten schreiben, die kein Drehbuch sich ausdenken kann“, meinte Kurschilgen. „Christoph ist ein Athlet mit einem riesengroßen Potenzial, der kontinuierlich an sich und seinen Fähigkeiten gearbeitet hat und bei den Spielen eindrucksvoll zeigen konnte, dass er ein absoluter Weltklasseathlet ist.“ (dpa)