Individuell improvisiert Was die Mode der DDR so besonders machte
Die Kulturwissenschaftlerin Ute Scheffler lässt mit dem Verein „Chic im Osten“ den Look aus DDR-Zeiten lebendig werden. Und der war viel kreativer als sein Ruf.

Halle (Saale) - Wozu Fensterleder doch alles gut sein kann! In Zeiten, als an den heute allgegenwärtigen Begriff „Upcycling“ fürs Verwenden bestehender Materialien für neue Dinge noch lange nicht zu denken war, wurde solch ein weiches Ledertuch zuweilen zum modischen Hingucker umfunktioniert. „Wir haben ein todschickes Miniröckchen aus Fensterleder in unserer Sammlung“, erzählt Kulturwissenschaftlerin und Autorin Ute Scheffler, die sich seit langem mit der Mode zu DDR-Zeiten beschäftigt und einen Verein, „Chic im Osten“, dazu ins Leben gerufen hat.
Damals war bekanntermaßen mitunter Kreativität gefragt, wenn es darum ging, sich angesagte Kleidung zuzulegen. Denn bei den oft eher tristen Sachen von HO oder Konsum waren trendige Teile eher selten zu finden. „Zwar schaute sich das Modeinstitut der DDR auch im Ausland nach Trends um, aber das Hauptaugenmerk lag darin, dass günstig produziert werden konnte“, sagt Ute Scheffler. Wer also nicht im Intershop kaufen konnte oder hin und wieder ein Westpaket bekam, designte sich seine Einzelstücke oft zu Hause. Heute geht man davon aus, dass rund ein Fünftel des Bekleidungsbedarfs selbst geschneidert wurde. Und das Klischee vom langweiligen Ost-Look, geprägt von Präsent-20-Anzügen und Dederon-Kittelschürzen, ist nur ein Teil des Ganzen.

Tatsächlich waren die Ostdeutschen äußerst einfallsreich beim Selbermachen, wie Ute Scheffler berichtet: „Da wurden Bettlaken gefärbt und als Stoff für modische Teile genutzt, Übergardinen- und Möbelstoffe kamen für Blazer zum Einsatz und die dünne Baumwolle von Stoffwindeln war perfekt für leichte Blusen, Tops und Sommerkleider. Sie wurde oft auch gebatikt und meist noch bestickt.“ Inspiration kam häufig von Magazinen wie „Sibylle“, „Saison“ und „Pramo“, die auch Schnittmuster enthielten. Bei den Accessoires bewiesen die Ostdeutschen ebenfalls Kreativität: „Schmuck wurde teils aus Kupferdraht oder Plastikabfällen gebastelt“, sagt die Leipzigerin, die seit Jahren für den Buchverlag für die Frau schreibt und sich dabei mit ganz verschiedenen Themen befasst - von Jeans bis DDR-Küche.
Modenschauen mit Ost-Flair
Ein Buch war es auch, das Ute Scheffler auf die Idee des Vereins brachte: 2010 erschien „Chic im Osten - Mode in der DDR“. Nach der Buchvorstellung mit einer Modenschau und einem Aufruf, ausrangierte Kleidungsstücke aus dieser Zeit beizusteuern, war die Resonanz groß, erzählt sie. „Innerhalb weniger Wochen kamen 500 Teile zusammen - vom Kleid bis zur Wäsche, vom Anzug bis zum Hut.“ Heute gestaltet der Verein Ausstellungen und Retro-Modenschauen - etwa in Museen, Bibliotheken, aber auch Seniorenheimen, bei Stadtfesten und privaten Feiern. Die Corona-Krise hat auch ihn getroffen: „Wir hatten volle Auftragsbücher, aber es musste alles abgesagt werden. Die Kosten, etwa für unser Lager, laufen natürlich dennoch weiter“, sagt Scheffler. Sie hofft, dass bald Veranstaltungen im Freien möglich sind. Ihr geht es mit dem Verein auch darum, „ein Stück DDR-Geschichte zu bewahren“. Denn: „Mode ist ja ein wichtiger Bestandteil der Alltagskultur und sagt viel über den Zeitgeist aus“, so die promovierte Kulturwissenschaftlerin, die auch Dozentin im Bereich Kommunikation ist und selbst für den femininen Stil der 50er schwärmt.

Inzwischen lagern in dem vom Verein angemieteten Depot um die 3.000 bis 4.000 Stücke aus den Jahren 1945 bis 1990, wie sie schätzt. Nicht nur Kleidung, Schuhe und Taschen sind darunter, sondern etwa auch Schnittmuster, Fotos und Modezeitschriften. „Es ist erstaunlich, wie viel Kleidung aufgehoben wurde - jedoch recht wenig Herrensachen“, sagt Ute Scheffler. Manches haben die rund 15 Mitstreiter von „Chic im Osten“ auch gebraucht gekauft - „wichtige Teile, die in solch einer Sammlung nicht fehlen dürfen“.
Kleider zum Zurechtschneiden
Zum Beispiel Jeans. „Ohne Jeans ging es nicht“, sagt die Vereinschefin, „und wer eine echte Levi’s oder Lee ergattert hatte, hat sie so lange getragen, bis es nicht mehr ging.“ Waren die Hosenbeine zerschlissen, sei eben ein Rock oder eine Tasche aus dem geliebten Stoff genäht worden. Jeans galten als ein modisches Stück Rebellion, wobei die DDR-Nietenhosen wie „Boxer“ oder „Wisent“ bei der Jugend längst nicht so gut ankamen wie die „Echten“ aus dem Westen.
Einst ebenfalls im Trend: Vliesettkleider, auch „Papierkleider“ genannt. „Die waren Ende der 60er Jahre absolut in“, weiß Ute Scheffler. Vorteil: „Die Minihängerchen ließen sich je nach Geschmack per Schere kürzen.“ Nachteil: „Sehr langlebig waren sie nicht.“ Und Fahrradfahren etwa war damit nicht die beste Idee - zumindest bot es sich an, etwas Klebeband dabei zu haben.

Das Publikum bei den Veranstaltungen des Vereins „Chic im Osten“, der soeben ein Büchlein zum Thema veröffentlicht hat, sei altersmäßig übrigens gemischt, sagt Ute Scheffler. „Die Älteren erinnern sich dann meist an ihre Sachen von früher. Und die Jüngeren sagen oft: ,So etwas habe ich auch im Schrank’.“ Mode kommt eben immer wieder. (MZ)