ZDF Magazin Royale Jan Böhmermann im Interview: „Diese Scheiß-Wessis“
Er ist Deutschlands bekanntester Fernsehclown, nimmt seinen Job aber todernst: ZDF-Moderator Jan Böhmermann spricht im MZ-Interview über den Antrieb für seine Show, welche besondere Beziehung er zu Sachsen-Anhalt hat und wieso ein Köthen-Bild in seinem Büro hängt.

Halle/MZ - Seit Jahren mischt er die deutsche TV-Landschaft auf: Der ZDF-Moderator Jan Böhmermann hat eine große Klappe und polarisiert mit derben Witzen. Immer wieder veröffentlicht der 41-Jährige im „ZDF Magazin Royale“ aber auch ernsthafte journalistische Recherchen, etwa zur Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz. Ist das noch Satire? MZ-Redakteur Jan Schumann sprach mit dem Moderator über seine Arbeit und sein Verhältnis zu Sachsen-Anhalt.
Herr Böhmermann, spielen Sie auf Ihrer Tour eigentlich noch das Lied über den Polizeigewerkschafter Rainer Wendt?
Mit Sicherheit.
Wendt wäre ja 2019 fast Innenstaatssekretär in Sachsen-Anhalt geworden.
Wer nicht alles schon fast Innenstaatssekretär in Sachsen-Anhalt geworden wäre! Das arme Bundesland. So lange Wendt noch Vorsitzender seiner unseriösen Kleinstgewerkschaft ist und sich anmaßt, als Sprachrohr der deutschen Polizei rumzulaufen, spielen wir den Song.
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War es aus Satiresicht nicht enttäuschend, dass es am Ende mit dem Posten nicht klappte?
Diese Scheiß-Wessis haben grundsätzlich auf Innenstaatssekretärsposten im Osten nichts zu suchen. Meine Meinung.
Ihr Team deckte im Mai auf, dass sich ein Magdeburger Polizist weigerte, Strafanzeigen in Fällen von Hass im Netz anzunehmen. Hat Deutschland eine Art Polizeiproblem?
Das würde ich nicht so pauschal sagen. Ich komme ja selbst aus einer Polizistenfamilie, wurde also wie Mowgli von den Wölfen aufgezogen. Aber Sachsen-Anhalt täte gut daran, seine Sicherheitsstrukturen immer wieder kritisch zu reflektieren. Leute, denen man Schusswaffen anvertraut, um staatliche Gewalt auszuüben, müssen sich schärfste Kontrollen gefallen lassen. Auch von außen. Ich finde es problematisch, dass Strafermittlungen gegen Polizisten einfach an andere Polizeidienststellen ausgelagert werden – und dass es keine unabhängige Behörde dafür gibt. Diese Strukturen sind nicht zeitgemäß.
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Ihr „ZDF Magazin Royale“ hat sich zuletzt immer stärker in Richtung Investigativjournalismus entwickelt. Ist dieser Teil Ihrer Arbeit mittlerweile wichtiger als die Satire?
Unser Ansatz hat sich über zehn Jahre hinweg gar nicht verändert: Es ging immer darum, Türen aufzutreten. Die Mittel sind variabel. Wir hatten zu Beginn großen Spaß daran, unberechenbar zu sein – das war aber auch kraftraubend. Ein Jahr haben wir daran gearbeitet, jemanden bei „Schwiegertochter gesucht“ auf RTL einzuschleusen. Oder das Schmähgedicht für Erdogan: Das war eine schnelle Sendung, zog aber sieben Jahre Rechtsstreit nach sich. Das sind Sachen, da muss man sich irgendwann fragen: Kann man mit der gleichen Freiheit auch geordneter vorgehen? Ich bin ja gelernter Journalist. Aber wenn Sie jetzt nach Prozentzahlen fragen, muss ich leider weiter sagen: Wir machen 100 Prozent Unterhaltung.
Gibt es Dinge, die Sie im Nachhinein als Fehler betrachten?
Ich habe mich einmal bei Max Giesinger entschuldigt, als es in unserer „Menschen Leben Tanzen Welt“-Sendung um die deutsche Popmusik ging. Wir wollten da die Popindustrie treffen – aber nicht, dass Max Giesinger als Posterboy nun menschlich dafür geradestehen muss. Das tat mir im Nachhinein leid. Er kann ja nichts für seine Scheißmusik. Höhöhö. Aber im Ernst: Bei unseren großen Recherchen bin ich froh, dass sie alle in vollem Umfang stehen blieben.
Wie lange haben Sie juristisch geprüft, ob Sie die NSU-Akten veröffentlichen können?
Sehr lange. Ohne zu viel zu verraten: Das war auch bei der Erdogan-Nummer so. Das Problem ist also nicht die Dummheit – manchmal ist unser Mut einfach größer als die Vorsicht. Was aber nicht schlimm ist, sondern spannend.
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Gibt es einen Journalisten, den Sie bewundern? Oder den Sie zumindest gut finden?
Die Integrität und das Standing von Claus Kleber finde ich toll – ohne ihn aber besser zu kennen. Ich denke auch an den früheren WDR-Intendanten Fritz Pleitgen: Er hat als Journalist und Korrespondent immer für seine Arbeit gelebt - vor allem war er ein Praxis-Mensch, der unstudiert in den Beruf gekommen ist. Sein Sohn ist ja heute weltweit für die CNN unterwegs, von einem Schützengraben in den nächsten. Das ist offenbar vererbbar. Aber eigentlich stelle ich ungern Einzelne heraus. Das Schöne ist ja, man muss viel lesen, um den Überblick zu haben.
War für Sie immer klar, dass Sie in die Unterhaltung gehen?
Auf jeden Fall. Ich wusste immer, dass Journalismus nichts für mich ist und dass ich das nicht mit dem nötigen Ernst betreiben kann. Als ich im Volontariat Nachrichten vorgelesen habe, klang das immer ironisch – obwohl es da um Katastrophen ging. Man kriegt den Clown einfach nicht raus.
Dynamo-Dresden-Fans forderten Sie einst auf, Sie sollten Ihr „Wessi-Maul“ halten. Die Tour hält nun nur in Leipzig.
Das liegt aber nicht an den fantastischen Dynamo-Dresden-Fans. Fußballerisch betrachtet müsste ich eigentlich eher nach Dresden als nach Leipzig fahren. Und vorher noch nach Aue. Denn mit Leuten, die Red Bull in den DFB-Pokal kippen, will ich nichts zu tun haben. Aber zum Glück gibt es in Leipzig ja noch andere Leute.
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Schauen Sie eigentlich Fußball-Weltmeisterschaft?
Selbst ohne die politische Dimension: Ist es nicht wahnsinnig unsexy, im Winter WM zu gucken?
Muss das ZDF diese sauteuren Fußballturnier-Übertragungen nicht endlich einstellen?
Das überlegen sie ja bei jeder großen Sportveranstaltung, die Diskussion ist nicht erst seit Katar da: Soll man so viel Gebührengeld für Sportrechte ausgeben? Bisher war der Standpunkt der Zuschauer immer: Wenn schon Fußball-WM, dann mit so wenig Werbung wie möglich. Und gerne auch mit Sportjournalisten, die öffentlich-rechtlich finanziert sind, vor allem in Staaten wie Katar und Russland. Die können dann doch etwas freier berichten als der Coca-Cola-Reporter am RTL-Spielfeldrand. Ich finde: Wenn schon Sportjournalismus, dann öffentlich-rechtlich.
Geht es nach der CDU Sachsen-Anhalt, wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk bald richtig umgekrempelt.
Wenn es nach der CDU Sachsen-Anhalt geht, wird auch mal etwas enger mit der AfD getanzt und die Polizei bekommt Maschinengewehre und Panzerfäuste. Die sollen mal schön die Füße stillhalten. Denn solange die CDU die Füße unter unseren Tisch stellt – in Klammern: Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland – machen die gefälligst das, was wir wollen.
Sind Sie eigentlich noch Mitglied der SPD Köthen?
Schon sehr lange nicht mehr. Das war ja 2019 der Versuch, SPD-Vorsitzender zu werden. Es war aber auch meine Konfrontation mit diesem ständigen „Böhmermann, du musst auch mal was machen und in die Politik gehen“. Um das ein für alle Mal zu beenden, habe ich das damals gemacht. Ich kann Ihnen jetzt versichern: Das war so eine schmerzhafte Erfahrung, ich werde niemals in die Politik gehen. Schon aus finanziellen Gründen. Ich bin doch nicht bescheuert.
Karriere statt Köthen: Was wurde aus Jan Böhmermanns SPD-Mitgliedschaft?
Lag das jetzt an Köthen?
Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Das ist ein cooler SPD-Ortsverein, in meinem Büro hängt noch ein Kreidebild vom Marktplatz. Ich habe die Köthener auch als Zuschauer in die Sendung eingeladen. Aber ganz im Ernst: Ich gehöre zum Öffentlich-Rechtlichen, ich kann mich mit keiner Partei gemeinmachen – nicht mal mit so sympathischen Ortsverbänden von FDP, CDU, Grünen, VOLT, Linke oder eben SPD. Meinen Mitgliedsbeitrag habe ich aber bezahlt – dummerweise zu viel, weil ich das SPD-Gründungsjahr eingetragen habe, 1863. 186,30 Euro für ein Jahr. Danke für nichts, Olaf Scholz!
Das war etwas vorschnell.
Ich dachte, es wäre ein geiler Gag. Aber als die Abbuchung kam, habe ich schon geschluckt. Auch das habe ich dann aus finanziellen Gründen lieber bleiben lassen.
Infos zur Böhmermann-Tour im Januar 2023
Jan Böhmermann tourt im Januar 2023 durch die Bundesrepublik, auch in Mitteldeutschland legt er einen Stopp ein. Mit dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld kommt er am 16. Januar nach Leipzig in die „Quarterback Immobilien Arena“. Im Musikprogramm hat der Bremer einige Stücke, die bereits aus seiner ZDF-Sendung bekannt sind – unter anderem den Polizeigewerkschafter-Song „Rainer Wendt (Du bist kein echter Polizist)“.
RTO-Konzert in Leipzig 2019: Jetzt singt er auch noch: Jan Böhmermann begeistert in Leipzig samt Orchester
Insgesamt 15 Liveshows sind auf der „Ehrenfeld Intergalactic Tour 2023“ geplant. Darunter auch je ein Termin in Österreich und der Schweiz. Das Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld wird geleitet von Lorenz Rhode – auch er ist Zuschauern der TV-Sendung bekannt, er verantwortet mit seinen Musikern wöchentlich neue Interpretationen populärer Songs im „ZDF Magazine Royale“.