Anschlag auf Weihnachtsmarkt Personalakte des späteren Todesfahrers hatte große Lücken
Kein Führungszeugnis, keine Nachweise für diverse Jahre - trotzdem wurde der spätere Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt als Arzt eingestellt. Wie kam der Mann zu dem Job?

Magdeburg - Die Personalakte des späteren Todesfahrers vom Magdeburger Weihnachtsmarkt beim landeseigenen Gesundheitsunternehmen Salus hatte erhebliche Lücken. Es fehlten unter anderem Nachweise für eine ärztliche Tätigkeit für die Jahre 2013 bis 2020, sagte die aktuelle Salus-Personalleiterin im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Anschlag im Landtag in Magdeburg. „Das war auffällig und zu hinterfragen“, schätzte sie mit Blick auf die fehlenden Arbeitszeugnisse ein. Ob es damals hinterfragt wurde, wisse sie nicht.
In der Akte fehlte auch ein eigentlich essenzielles Führungszeugnis, so die Personalleiterin, die nach eigenen Angaben nicht an der Einstellung von Taleb al-Abdulmohsen beteiligt war. Die Personalakte, die sie sich gleich nach der Tat angesehen habe, habe jedoch keine Hinweise zu fachlichen Defiziten oder Schlechtleistungen enthalten. 2020 wurde Taleb al-Abdulmohsen als Psychiater im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter eingestellt.
Am 20. Dezember 2024 fuhr er mit einem Mietwagen über den Weihnachtsmarkt von Magdeburg. Sechs Menschen wurden getötet, mehr als 300 wurden zum Teil schwerst verletzt. Derzeit läuft am Landgericht Magdeburg der Prozess gegen den Mann aus Saudi-Arabien.
Kandidat war von einer Personalagentur vorgeschlagen worden
Eine beauftragte Personalagentur hatte al-Abdulmohsen Anfang 2020 der Salus vorgeschlagen. Der Geschäftsführer des Unternehmens sagte, man habe ihn als beachtenswerten Kandidaten benannt, der den Wiedereinstieg in den Job plane. Man habe al-Abdulmohsen zuvor zweimal telefonisch interviewt und ihn einmal persönlich getroffen. Es hätten die deutsche Approbation und Facharzturkunde vorgelegen. Weitere Prüfungen habe man nicht vorgenommen, das sei auch nicht die Aufgabe gewesen. Die vorangegangene jahrelange Lücke im Lebenslauf habe man begründet mit der Klärung seines Aufenthaltstitels.
Seit 2006 arbeite die Agentur mit der Salus für verschiedene Standorte zusammen. Im konkreten Fall sei nach 69 telefonischen Kontakte zu potenziellen Kandidaten kein einziger am Standort Bernburg interessiert gewesen. Al-Abdulmohsen sei über die Jobbörse der Arbeitsagentur Magdeburg zutage getreten, als „Glückstreffer“ damals, wie der Geschäftsführer weiter sagte. Um Führungszeugnisse und weitere Checks müsse sich der Arbeitgeber kümmern.
Die CDU-Obfrau im U-Ausschuss, Kerstin Godenrath, sagte, in der Summe fehlten in der Personalakte Zeugnisse und Nachweise zu ärztlichen Tätigkeiten über einen Zeitraum von insgesamt 20 Jahren. „Es stellt sich die Frage, wie sorgfältig Personal für eine Einrichtung ausgewählt wird, welche die Unterbringung und Behandlung von psychisch erkrankten Straftätern zur Kernaufgabe hat und wie vertrauenswürdig diese Personalentscheidungen sind. Die bisherigen Erkenntnisse sind ein Skandal und beeinträchtigen in erheblichem Umfang unseren Glauben an professionelles Management beim größten Unternehmen des Landes“, so Godenrath.
Polizeibeamter befürchtete Kündigung des späteren Todesfahrers
Zuvor hatte der Ausschuss nochmal den Fokus auf die Arbeit der Polizei gelegt. Der spätere Todesfahrer war weit vor der Tat verschiedenen Behörden bekannt, tatsächliche Konsequenzen hatte das aber nicht. Das Polizeirevier Salzlandkreis etwa informierte den Arbeitgeber des als Arzt tätigen Taleb al-Abdulmohsen nicht über eine Anzeige wegen Bedrohung, wie der damalige Revierleiter im Untersuchungsausschuss sagte.
Er verteidigte seine damalige Entscheidung: Man habe noch nicht gewusst, ob der Arzt tatsächlich die Twitter-Nachricht geschrieben habe, wegen der er angezeigt wurde. Zudem habe ein Richter einen Durchsuchungsbeschluss abgelehnt. Auch das Szenario, dem Arzt könne gekündigt werden, habe ihn davon abgehalten, das landeseigene Unternehmen Salus zu informieren. Er verwies auch auf Datenschutzvorschriften. Dass al-Abdulmohsen bereits polizeibekannt war, sei ihm bewusst gewesen.
Al-Abdulmohsen stand im Fokus verschiedener Behörden
Bereits im November hatte ein Beamter aus dem Salzlandkreis-Revier dem U-Ausschuss berichtet, er und ein Kollege hätten Bedenken gegenüber dem Revierleiter vorgetragen. Er habe angeregt, „dass diese Person kritisch zu betrachten ist an seiner Arbeitsstelle“. Der Beamte ging nach eigener Darstellung davon aus, dass der Revierleiter im Anschluss entsprechende Telefonate geführt habe. Wie das weiter verfolgt worden sei, wisse er nicht.
Zwei Beamte aus dem Bereich Staatsschutz hatten im Jahr 2023 eine sogenannte Gefährderansprache gegenüber Taleb al-Abdulmohsen durchgeführt. Hintergrund war, dass er mit der Behandlung eines Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Köln unzufrieden war und dieser gedroht hatte. In dem Zuge erfuhren die Polizeibeamten, dass der Mann im Maßregelvollzug in Bernburg (Salzlandkreis) tätig war. Er arbeitete als Stationsarzt, sein Aufgabengebiet umfasste die psychiatrische Betreuung von Straftätern.