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Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfalen: Schwangere im Kreißsaal gefesselt?

Von JÖRG SCHINDLER 27.04.2010, 17:34

Köln/MZ. - Am 16. April ist BrittaAntes (Name geändert) Mutter geworden. Larskam gesund zur Welt. Britta Antes hofft, dasses ihm gut geht. Genau weiß sie es nicht.Sie hat ihn nur etwa drei Stunden lang gesehen.Danach hat man ihn ihr weggenommen. Wenn allesgut geht, darf sie ihn ab Mai wiedersehen.Die junge Frau sitzt wegen eines Drogendeliktsin der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln. Alsder Geburtstermin für den 5. Mai errechnetwurde, zeigten sich die Behörden gnädig undstellten ihr ab diesem Tag Haftverschonungin Aussicht. Dann drängte Lars früher aufdie Welt, was den Richter nicht beeindruckte.Antes blieb in Haft, Lars kam zu einer fremdenFamilie in die Kurzzeitpflege. Immerhin: Mutterund Kind werden "nur" drei Wochen lang getrenntsein. Andere Häftlinge sehen ihre Säuglingeerst nach Monaten wieder. Manche überhauptnicht.

"Damit legt man den Grundstein für dienächste Generation von Straftätern", sagtJulia von Seiche, die Vorsitzende des AktionskomiteesKind im Krankenhaus. Sie gehört zu einer Gruppevon Experten, die sich an die FrankfurterRundschau wandten, weil sie die Verhältnissein nordrhein-westfälischen Frauengefängnissenfür unmenschlich halten. Dazu gehöre auch,dass Frauen in Hand- und Fußfesseln zum Gynäkologengebracht werden - und im Einzelfall sogargefesselt entbinden mussten. Eine Praxis,die im Düsseldorfer Justizministerium "nichtbekannt" ist, von der aber Hebammen, der SozialdienstKatholischer Frauen und die Corneliusstiftungbehaupten, dass es sie gegeben hat.

Dass in den NRW-Frauengefängnissen etwas nichtstimmt, wurde den Fachleuten erstmals 2008bewusst. Damals begann die Corneliusstiftung,die Kinder suchtkranker Frauen betreut, eineKooperation mit der JVA Köln. Eine von derStiftung finanzierte Hebamme geht seitherin der JVA ein und aus - und hörte von denInhaftierten schwere Vorwürfe. Die Frauenberichteten von Unterleibs-Untersuchungenin Anwesenheit auch männlicher Beamter, welchedie Situation "auskosten". Vom Zwang, sofortnach der Geburt abzustillen und eben vom Entbindenim gefesselten Zustand - wegen Fluchtgefahr."Für die Frauen ist das schrecklich", sagtdie Hebamme Silke Mehler, die im Kölner Gefängniszurzeit elf Schwangere betreut. Zwar räumenauch Fachleute ein, dass sich die Behördenim Einzelfall um werdende Mütter im Strafvollzugbemühen. Sei es durch Haftverschonung oderdie Überweisung in eine Mutter-Kind-Einrichtungim offenen Vollzug. Nicht in jedem Fall gelingedas aber, sagt der Gynäkologe Gerd Eldering,der im Vorstand der Corneliusstiftung sitzt.Allein in der JVA Köln gebe es zwei bis dreiFälle pro Jahr, in denen Frauen und derenKinder menschenunwürdig behandelt würden.

Mitte März wurde der Sozialdienst KatholischerFrauen bei der NRW-Justizministerin RoswithaMüller-Piepenkötter (CDU) vorstellig. Ihrhabe man von den skandalösen Verhältnissenberichtet, so Geschäftsführerin Monika Kleine- auch von den Fesselungen während der Geburt.Müller-Piepenkötter versprach in einer "Medieninformation",die Situation weiblicher Gefangener "weiterzu verbessern". Von Fesseln war in dem Schreibenkeine Rede. Außerdem gründete die Ministerineine Arbeitsgruppe. Sie hat vergangenen Freitaggetagt. Über Fesselungen sprach man nicht.Das soll erst in der zweiten Sitzung geschehen,am 18. Juni - sechs Wochen nach der Landtagswahl.