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Kommentar zum Absturz von 4U 9525 Kommentar zum Absturz von 4U 9525: Amoklauf hinter der Cockpit-Tür

Von Joachim Frank 26.03.2015, 20:22
Kerzen, Blumen und ein kleines Modell-Flugzeug liegen am Flughafen Köln/Bonn. Die Nachricht über den absichtlich herbeigeführten Absturz sorgte am Donnerstag noch einmal für einen Schock.
Kerzen, Blumen und ein kleines Modell-Flugzeug liegen am Flughafen Köln/Bonn. Die Nachricht über den absichtlich herbeigeführten Absturz sorgte am Donnerstag noch einmal für einen Schock. REUTERS Lizenz

Etwas Schrecklicheres als den Verlust des Partners, des Kinds oder der Eltern durch einen Flugzeugabsturz wie den vom Dienstag, so schien es, konnte es nicht geben. Weil jeder von uns das weiß oder spürt, sind wir betroffen und vereint im Mitleid. Heute ahnen wir entsetzt: Es geht noch furchtbarer, noch grausamer.

Die Vorstellung, dass der Co-Pilot im Cockpit von Germanwings 4U 9525 absichtlich 149 Menschen mit sich in den Tod gerissen haben könnte, bringt einen schier um die Besinnung. Wenn das schon Unbeteiligten so geht, wie dann erst den Angehörigen der Opfer! Sie müssen den Gedanken ertragen, der doch unerträglich ist: Nicht technisches Versagen, kein blindes Schicksal hätten ihnen ihre Liebsten entrissen, sondern jemand, der dies wollte. Eine solche mörderische Tat wäre in der deutschen Luftfahrtgeschichte beispiellos. Auch das ist etwas Unfassbares – für die Hinterbliebenen der Opfer und, nicht zu vergessen, des Täters.

Im Zustand der Besinnungslosigkeit befindet sich, wie zur grotesken Steigerung des ganzen Horrors, auch die Medienöffentlichkeit. Nachdem die französische Justiz – so unnötig wie unverständlich – den Namen des Co-Piloten genannt hatte, setzte eine Belagerung seiner Familie ein, die standesethisch verwerflich und menschlich beschämend ist.

Immerzu steht dann die „gefühllose Meute“ der Kameraleute und Reporter am Pranger. Zugegeben: Obwohl Journalisten ihr Handeln und ihre Rolle in ruhigen Phasen sehr wohl selbstkritisch hinterfragen, setzt in Krise, Krieg und Katastrophe regelmäßig die Reflexion aus. Steht dahinter nicht auch eine Erwartung des Publikums, das spektakuläre Bilder und erschütternde Details möchte? Nein, sagen viele Leser, die uns schreiben. Medien bedienen aber auch Bedürfnisse. Wer das bestreitet, müsste erklären, warum sich schon beim harmlosen Blechschaden eine Traube Schaulustiger bildet.

Was nach dem Stand der Ermittlungen an Bord des Airbus geschah, rührt an Abgründe der Existenz. Nur der Mensch kann seinen Willen zum Guten und zum Leben ausschalten und in sinnlose Zerstörungswut, in Destruktivität verwandeln, sogar gegen sich selbst.

Denkblockade bei Flugzeugkonstrukteuren

Und was immer in dem jungen Co-Piloten vorgegangen ist – die blockierte Cockpit-Tür ist ein Symbol dafür: Der 27-Jährige war abgeschottet von allen anderen Menschen, nicht einmal mehr erreichbar für ihre Todesangst. Umgeben war er noch von einer Technik, die ihm gehorchte.

Wenn wir es mit einem Amoklauf der Beziehungslosigkeit in der extremsten Form hätten, mögen wir geneigt sein, eine solche Tat als Folge einer psychischen Störung zu qualifizieren, weil wir sie uns anders nicht erklären können – oder wollen. Denn damit wäre womöglich die verstörende Erkenntnis verbunden: Das Böse ist keine Krankheit, sondern eine Kraft in jedem von uns. Dass sie sich planvoll und unbändig Bahn brechen kann, wird mit noch so ausgeklügelten Tests und Vorsichtsmaßnahmen nie vollends zu verhindern sein.

Die verschlossene Cockpit-Tür steht aber auch für eine Denkblockade bei Flugzeugkonstrukteuren und Airlines. In ihren Bedrohungsszenarien haben sie neben Terroranschlägen auch die Möglichkeit durchgespielt, dass Lebensmüde sich einer Maschine im Flug bemächtigen. Aber dass es sich dabei um ein Mitglied der Crew, gar einen der Piloten, handeln könnte – das war offensichtlich unvorstellbar: Unsere Leute, das sind die Guten, ob im Cockpit oder in der Kabine.

Germanwings-Chef Thomas Winkelmann hat seine Belegschaft als eine „Familie“ bezeichnet. Daraus spricht der Wunsch nach Zusammenhalt, nach einem Gleichklang der Interessen und Gefühle. Viele Familien erfahren schmerzhaft, dass sich dieses Wünschen nicht erfüllt. Im beruflichen und gesellschaftlichen Miteinander muss es erst recht Illusion bleiben.

Der Autor hatte im ursprünglichen Text eine andere Formulierung gewählt, jedoch beschlossen diese zu ändern. Diese Änderung ist in der Online-Redaktion zu spät angekommen. Der Autor war von der Formulierung im Teaser selbst erschrocken und hat sofort um Änderung gebeten. Leider stand der Text in seiner ungewollt missverständlichen Version trotzdem für kurze Zeit online. Wir verstehen den Ärger und bitten um Entschuldigung. (red)