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Kanada Kanada: 33-Jähriger überquert Niagarafälle auf einem Hochseil

Von Jörg Michel 13.06.2012, 18:01
Der Hochseilartist Nik Wallenda geht auf einem Seil in San Juan, Puerto Rico, am 04 Juni 2011. Wallenda beendete damals eine Nummer auf dem Seil, bei der an dieser Stelle sein Urgroßvater, Karl Wallenda, 1978 starb. (FOTO: DPA)
Der Hochseilartist Nik Wallenda geht auf einem Seil in San Juan, Puerto Rico, am 04 Juni 2011. Wallenda beendete damals eine Nummer auf dem Seil, bei der an dieser Stelle sein Urgroßvater, Karl Wallenda, 1978 starb. (FOTO: DPA) EFE

Toronto/MZ. - Am Ende musste Nik Wallenda nachgeben. Ein wenig jedenfalls. Wenn sich der 33-jährige Amerikaner Freitagabend mit seiner Balancierstange auf den Weg ans andere Ufer der Niagarafälle macht, dann wird er sich einen Sicherheitsgurt um die Taille schnallen. Nicht weil er es wollte oder gar Angst hätte, sondern weil seine Sponsoren und die Fernsehsender es verlangen. Sie wollen ganz sicher gehen, dass die Show des Jahres glücklich endet.

Nik Wallenda ist einer der besten Hochseilartisten der Welt und eigentlich hätte er den Gurt nicht nötig. Das Spiel mit dem Tod gehört zu seinem Mythos. Doch weil Wallenda seit seiner Kindheit von diesem einen Stunt geträumt hat, fügt er sich. Dieses eine Mal.

Wallenda wird am Freitag etwas tun, was seit über 100 Jahren kein anderer Mensch mehr gewagt hat. Auf einem fünf Zentimeter dünnen Hochseil wird er die legendären Niagarafälle überqueren. Etwa eine halbe Milliarde Menschen rund um den Globus werden das Ereignis angeblich an ihren Bildschirmen verfolgen. Vor Ort in Kanada und den USA sind mehr als 120 000 Besucher live mit dabei.

Wenn alles gut geht, soll der Stunt etwa eine Dreiviertelstunde dauern. Wallenda will mit speziell angefertigten Wildlederschuhen auf der amerikanischen Seite der Fälle das Hochseil besteigen und dann über 600 Meter an das kanadische Ufer schweben. Über ein Knopf im Ohr hält er Verbindung zur Außenwelt, 70 Meter über dem Abgrund. "Ich werde durch die Gischt balancieren, im Nebel verschwinden und erst ganz zum Schluss wieder auftauchen." Selbst mit Gurt ist es ein Nervenkitzel der besonderen Art. Zwar hat Wallenda schon Wolkenkratzerschluchten bezwungen, Flüsse überquert, ist auf Riesenrädern getanzt und hat es im Guinnessbuch auf sechs Weltrekorde gebracht. Doch die Niagara-Fälle sind eine andere Nummer. Viele Menschen haben hier schon ihr Leben gelassen. In Booten, in Fässern und auf dem Seil.

Der kanadische Drahtseilartist Stephen Peer stürzte 1887 in den Tod, nachdem er die Fälle zuvor mehrere Male bezwungen hatte. Auch in Wallendas Familie liegen Triumph und Tragik dicht beisammen. Seit sieben Generationen halten die Wallendas Zuschauer mit ihren Stunts in Atem. Nik Wallenda selbst balanciert seit seinem vierten Lebensjahr über das Seil. Sein Urgroßvater Karl, der die legendäre Artistenfamilie "Flying Wallendas" einst begründete, stürzte 1978 im Alter von 73 Jahren bei einem Stunt zwischen Hochhäusern in Puerto Rico ab und starb. "Ich habe den Unfall hunderte Male im Fernsehen gesehen", sagte Wallenda. "Er ist Teil meiner Familiengeschichte."

Es ist nicht das einzige tragische Unglück. Bei einer Aufführung in Detroit sackte in den 60er Jahren eine Menschenpyramide der Wallendas plötzlich in sich zusammen, zwei Verwandte Niks bezahlten das mit ihrem Leben. Ein Schwager und eine Schwägerin Wallendas widerfuhr einige Jahre später ein ähnliches Schicksal. Trotzdem hat die Familie immer weiter gemacht. Immer höher und spektakulärer.

Menschen von Wallendas Schlag lassen sich auch von Bürokraten nicht abbringen. Über zwanzig Jahre lang hat Nik Wallenda bei Politikern in den USA und Kanada für seine Niagara-Aktion geworben. Denn eigentlich sind Stunts an den Fällen verboten. Der letzte, dem eine Überquerung gestattet wurde, war der damals 21-jährige James Hardy im Jahre 1896.

Am Ende dürfte Nik Wallenda die Politiker mit schieren Zahlen beeindruckt haben. Insgesamt 120 Millionen Dollar soll seine 45-Minuten-Aktion in die Kassen diesseits und jenseits der Grenze spülen. Die Hotelzimmer der Region sind seit Wochen ausgebucht, ebenso viele Restaurants. Betuchte Zuschauer zahlen tausende Dollar für ihr VIP-Ticket. Fernsehsender investieren Millionen in die Übertragungsrechte.

Freitag 22 Uhr Ortszeit wird Wallenda den Gurt anlegen, wie verlangt. Falls sich dieser unterwegs aber als unbequem oder hinderlich herausstellen sollte, will er ihn noch während der Überquerung abwerfen. Schließlich ist er ein echter Wallenda.