Dokumentation Dokumentation: Verhängnisvoller Fehler im Kölner Zoo
köln/MZ. - Vor12 Uhr: Raubtierpflegerin Ruth K. (43) betritt den Innenbereich des Tigergeheges - laut Zoo vermutlich, um routinemäßig die Käfige zu reinigen. Das Innengehege ist ein Flachbau, der für Besucher nicht zugänglich ist. Durch das Gebäude führt ein Gang. Rechter Hand gehen mehrere Käfige ab, die durch massiv vergitterte Schiebetüren sowohl untereinander verbunden sind als auch mit dem Außengehege. Die Klappen lassen sich manuell mit Stangen öffnen und schließen, die in Führungsschienen verlaufen.
Als die erfahrene Tierpflegerin Ruth K. einen Käfig betritt, ist eine der Klappen geöffnet - mutmaßlich eine, die die Box mit einem Nebenkäfig verbindet. Womöglich hält sich dort der Sibirische Tigerkater "Altai" auf, ohne dass Ruth K. ihn sofort bemerkt. "Eine Tür, die hätte zu sein müssen, war nicht zu", wird Zoodirektor Theo Pagel später sagen, konkreter wird er nicht. "Die Pflegerin war an einer Stelle, wo sie nicht hätte sein dürfen, wenn das Tier drin ist." Warum der Tiger sich während der Reinigungsarbeiten in dem Käfig aufhielt, ist unklar. "Altai" fällt Ruth K. von hinten an. Er beißt ihr in den Hals, sie stürzt. Dann lässt er von ihr ab.
12 Uhr: Eine zweite Tierpflegerin betritt das Innengehege. Sie erschrickt, als sie Ruth K. in ihrem Blut liegen sieht, neben ihr sitzt Tigermännchen "Altai". Die Pflegerin holt Hilfe, die Feuerwehr wird alarmiert. Auch Zoodirektor Pagel erhält einen Anruf auf seinem Handy. Seit 21 Jahren arbeitet er mit Ruth K. im Kölner Zoo zusammen.
12.10 Uhr: Die Feuerwehr informiert die Polizei. "Zu diesem frühen Zeitpunkt war nicht ganz klar, wo sich der Tiger aufhält, ob er auf das Besuchergelände oder sogar außerhalb des Zoos laufen könnte", berichtet Polizeisprecher Casten Möllers. Streifenbeamte mit Maschinenpistolen eilen zum Tierpark nach Riehl. Die Einsatzleitung fordert ein Spezialeinsatzkommando (SEK) mit großkalibrigen Waffen an. Die Zooleitung entscheidet, das Gelände sofort zu evakuieren. Alle Besucher müssen raus, sicher ist sicher. Lautsprecherdurchsagen ertönen, Mitarbeiter auf Fahrrädern fordern die Menschen zum Verlassen auf, ohne ihnen den Grund mitzuteilen. Eine Massenpanik soll verhindert werden. Die Evakuierung verläuft schnell und reibungslos.
Etwa 12.30 Uhr: Noch immer hockt der Tigerkater neben der lebensgefährlich verletzten Ruth K. Klar ist: Er kann das Innengehege nicht verlassen, für die Besucher hätte also keine Gefahr bestanden, aber die Rettungskräfte können den Käfig nicht betreten, um der 43-Jährigen zu helfen. Dabei zählt jetzt jede Sekunde. Nach Rücksprache mit Zoodirektor Pagel entscheidet die Einsatzleitung, dass er "Altai" erschießen soll. Pagel ist ausgebildeter und geprüfter Jäger. "Er hat die entsprechende Waffe und weiß genau, wo und wie man ein Tier treffen muss", erklärt ein Polizeibeamter. Pagel klettert auf das Dach des Innengeheges. Durch eine Dachluke hat er freie Sicht auf den Tiger. "Altai" soll sich zwischenzeitlich ein Stück von Ruth K. entfernt haben, doch jetzt ist er wieder direkt neben ihr. Der Schuss ist bis zur Zoobrücke zu hören. "Der Tiger war sofort tot", berichtet Pagel später. Sanitäter und ein Notarzt kümmern sich um die 43-Jährige, können aber nichts mehr ausrichten. Die Verletzung am Hals ist zu schwer. Beamte der Kriminalpolizei beginnen mit der Spurensicherung im Käfig.
13 Uhr: Der Zoo öffnet wieder. Viele Besucher, die jetzt erst kommen, wissen gar nicht, was geschehen ist. Doch die Nachricht spricht sich schnell herum. Vor dem Tigergehege bildet sich eine Menschentraube. Viele lesen auf ihrem Smartphone die ersten Eilmeldungen im Internet. Tigerweibchen Hanya und ihre drei Jungen ziehen ihre Runden durch das Außengehege. Unterdessen informiert der Zoo seine Mitarbeiter über das Geschehen.
13.45 Uhr: Vor dem Haupteingang tritt Theo Pagel vor die Presse. Er ist um Fassung bemüht, wirkt sichtlich betroffen. "Das ist der schwärzeste Tag in meinem Leben", beginnt Pagel. "Wir haben gerade eine Tierpflegerin verloren durch einen Tiger." Seine Stellungnahme dauert nur eine Minute. "Die Sommernacht heute Abend fällt aus." Weitere Fragen werden nicht beantwortet.
13.55 Uhr: Durch eine Nebenzufahrt verlässt ein Leichenwagen das Zoogelände.
16.30 Uhr: Der tote Tiger wird in einem Kleinlieferwagen weggebracht.
16.48 Uhr: In einer Pressemitteilung schreibt der Zoo, Ruth K. habe "versäumt, den Tiger abzusperren". Pagel fügt hinzu: "Wir können uns derzeit nicht erklären, warum der erfahrenen Pflegerin ein derart verhängnisvolles Versehen unterlaufen konnte." Ihren Angehörigen gelte das tiefste Mitgefühl. "Der ganze Zoo steht unter Schock und trauert mit den Angehörigen."
16.55 Uhr: Die Polizei informiert per Presseerklärung, sie habe ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet, um den genauen Hergang des Geschehens zu klären.
18 Uhr: Der Zoo schließt. Nahezu alle Besucher, die von der Absage der Sommernacht noch nichts wissen und allmählich eintreffen, reagieren verständnisvoll. "Für die Mitarbeiter ist das ja wie ein Todesfall in der Familie, eine Friede, Freude, Eierkuchen-Veranstaltung geht da nicht", sagt die Kölnerin Sandra, die mit Tochter Jule gekommen ist.
Sonntag, 12 Uhr: Der Zoo ist geöffnet. Vor dem Haupteingang stehen Kerzen, Besucher haben Zettel niedergelegt. Sie wünschen der Familie von Ruth K. Kraft und viel Zuversicht.