1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Castingshow: Castingshow: Grandios inszeniertes Brimborium

Castingshow Castingshow: Grandios inszeniertes Brimborium

Von ANDREAS MONTAG 24.04.2009, 17:08
Annemarie Eilfeld bei ihrem Auftritt während der vierten Mottoshow am 4. April, die unter dem Motto «Sexy Songs» stand. (FOTO: DPA)
Annemarie Eilfeld bei ihrem Auftritt während der vierten Mottoshow am 4. April, die unter dem Motto «Sexy Songs» stand. (FOTO: DPA) dpa

HALLE/MZ. - Ein sonnengebräunter, knittergesichtiger Mann von 55 Jahren, dessen Vorleben als Leitwolf der Pop-Band "Modern Talking" vielen seiner jungen Fans völlig unbekannt sein dürfte. Dabei führte das falsettquietschende Liedchen "Cheri Cheri Lady" vor einem Vierteljahrhundert die Hitparaden an. Nicht nur in Deutschland.

Dicker Fisch

Nun aber ist eine neue Zeit. Bohlen, als Musikproduzent und Medienliebling einer der ganz dicken Fische im Teich der Unterhaltungsindustrie, sitzt mit seinen Hilfssheriffs Nina Eichinger und Volker Neumüller heiter zu Gericht über das Häuflein der verbliebenen Bewerber, darunter auch noch Annemarie Eilfeld aus Dessau-Roßlau, die nächste Woche Samstag 19 Jahre alt wird. Eines eint das kleine Kollektiv der Konkurrenten, jeder will den Titel ergattern: Superstar, was sonst. In kleinerer Münze gibt es die Hoffnung nicht. Bohlen zahlt dafür flinke Sprüche statt großer Scheine: Schlagfertig ist der Mann, und er schlägt gern auch mal tief.

"Bitch" hat er unsere Annemarie, in Dessau-Roßlau inzwischen bekannter als der Oberbürgermeister, genannt. Bitch heißt Schlampe, was kein besonders feines Wort ist. Die Geschmähte hat auch pflichtschuldig ein bisschen gemosert. Aber was soll's, kalkulierte Rempeleien dieser Art gehören bei "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) nicht nur zur Tagesordnung, sie werden auch erwartet vom Souverän mit der Fernbedienung: also von dir und mir.

Diese Talentsucher-Show ist ebenso durchgestylt und auf die Simulation echter Spannung getrimmt, wie es die meisten Nachmittags-Formate der Privatsender sind, in denen Frauen enthüllen, was ihre Männer mit der Schwiegermutti machen. Und dass der Opa seinen Hamster verhaut.

Kaiser ohne Kleider

Das ganze pralle Leben eben, als Ersatz für das eigene, eher spannungsarme gedacht, das der Zuschauer auf seinem Sofa verbringt: Was es nicht alles gibt auf der Welt! Ein wenig Häme trägt schließlich zum persönlichen Wohlbefinden bei. So funktioniert auch die Suche nach dem "Superstar": Ein grandios inszeniertes Brimborium mit dem Anspruch, authentisch zu sein. Nähere Nachfrage wäre durchaus lohnend, nur will die Antwort vielleicht gar keiner hören. Es würde die Illumination zerstören, der Kaiser hätte plötzlich keine Kleider mehr an. Und wer möchte den Bohlen schon nackt sehen?

Es beginnt bereits mit dem Titel der Show, der eine kühne Behauptung ist. So muss man das anpacken: Deutschland sucht, und zwar komplett! Basta. Wie viele es wirklich sind, lässt sich aus den Quoten hochrechnen: zehn, zwölf Millionen Zuschauer könnten schon zusammenkommen. Immerhin. Und nach wem suchen die? Ein Superstar soll es sein. Was denn sonst.

Auf dem Weg zum Erfolg gibt es Castings mit Tausenden Bewerbern: Spaßvögel, Verrückte, krächzende Raben, alles ist dabei. Auch ein paar Begabte. Die kommen ins Sieb, es wird gerüttelt und geschüttelt, bis schließlich die zehn besten Kandidaten ermittelt worden sind.

Das klingt nach korrekter Auslese, aber ein paar Zweifel regen sich doch. Weil das ganze Gedöns ja vor allem als Show funktionieren muss, braucht man zunächst einen Geschlechterproporz. Und man braucht eine nette Mischung der Charaktere. Kein Mensch will jungen Leuten nur beim Singen zuhören, jedenfalls nicht im Fernsehen, den ganzen Samstagabend lang. Aber wir sollen ja hingucken, je mehr, je lieber, weil das die werbende Wirtschaft an die RTL-Kasse treibt, um Sendezeit zu kaufen.

Schriller Paradiesvogel

Also muss nicht nur gesiebt, sondern auch genau hingeschaut werden. Benny, der schrille Paradiesvogel, passte mit seinem offenherzig ausgestellten Schwulsein prima ins Konzept. Natürlich konnte er nicht gewinnen, dafür schwächelte sein Gesang denn doch zu offensichtlich. Aber einen bunten Tupfer gab er ab. Das hilft wirtschaften. Außerdem muss es Zoff zwischen den Shows geben, dann kommt Butter bei die Fische. Und schlecht reden müssen sie übereinander in der DSDS-Wohngemeinschaft. Das bietet wunderbare Möglichkeiten: Zickenkrieg und Liebesdramen sind erwünscht, Nackedei-Bilder können nicht schaden. Die bekamen wir in diesem Jahr von unserer Annemarie zu sehen, weil die Mädels aus dem Osten eben gern zeigen, was sie haben. Sagt die Annemarie. Schöne Idee. Und die Vorlage für Bohlen, später mal von Schlampe sprechen zu können.

Dafür durfte sich Annemarie dieser Tage ins Goldene Buch der Stadt Dessau-Roßlau eintragen, wobei sie in Ohnmacht fiel. Mancher ihrer Mitbürger anschließend auch, weil ihm dies doch reichlich viel der Ehre für das Sternchen zu sein schien. Wer aber ist eigentlich die junge Frau hinter dem ganzen Firlefanz? Wird es ihr wirklich dauerhaft helfen, sich für die "Superstar"-Show auf eine Szenerie eingelassen zu haben, die für sie die Rolle der Krawallschachtel mit sexy Körper vorgesehen hat? Wir wissen es ebensowenig, wie wir uns erklären können, dass der Kandidat, dem die Jury das Weiterkommen wünscht, auch meistens genug Stimmen von den Zuschauern bekommt. Die Welt ist eben voller Wunder. Annemarie wird ihres noch erleben, so oder so.

Max Buskohl, Sohn des Gitarristen Carl Carlton, war vor zwei Jahren bei DSDS bis ins Finale der letzten Drei gekommen. Dann stieg er einfach aus. Gewonnen hat Mark Medlock, der sich mit Gute-Laune-Tralala am Markt hält. Buskohl tourt indessen mit seiner Band Empty Trash. Die ist nun ein bisschen bekannter als zuvor. Superstars sind sie jedenfalls beide nicht geworden. Ob Annemarie Eilfeld einer wird, wir werden es sehen. Und über allem thront Bohlen wie ein feixender Buddha.

Die Show "Deutschland sucht den Superstar" beginnt Samstag um 20.15 Uhr im Programm von RTL.