Argentinien Argentinien: Tango-Klänge gegen Depressionen von Krebs-Patienten

Buenos Aires/dpa. - Die Stille im Krankenhaus wird plötzlich vonlauter Tangomusik durchbrochen. Auf der Krebsstation des SpitalsTornú in Buenos Aires werden Carla im Krankenhausbett und María imRollstuhl auf die Veranda geschoben. Die ersten Paare fangen an zutanzen. Die ungewöhnliche Szene in der Hauptstadt des Tango Argentinosei Teil einer Behandlung, bei der Musik und Tanz die häufigenDepressionen der Patienten lindern sollen, sagt die Ärztin MarielaBertolino.
Tango macht Spaß, und die Freude beim Tanzen könne das besteMittel gegen Depressionen und vielleicht sogar gut für denHeilungsprozess sein, hoffen die Ärzte. Seit einigen Monaten schicktdie Stiftung «Tango Argentino» deshalb Tanzlehrer in das städtischeKrankenhaus. Einige mutige Patienten wagen sich schon selbst auf dasParkett, andere schauen nur zu. Auch Familienangehörige,Krankenschwestern und Ärzte werden mit einbezogen.
«Eigentlich war das Ganze Silvinas Idee», erzählt StationsleiterinMariela. «Sie wollte unbedingt Tango lernen, und diesen Wunschkonnten wir ihr einfach nicht abschlagen.» Die 40-jährige Patientinleidet seit drei Jahren an Krebs und konnte sich bis vor kurzem nurnoch mit Mühe auf den Beinen halten. Dank des Tanzunterrichts kannsie mittlerweile jedoch schon wieder kleine Spaziergänge machen.Ähnlich geht es auch anderen Patienten.
«Der Tango bedeutet für mich Leben», flüstert Silvina und hatdabei ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. Ihre Eltern tanztenbeide leidenschaftlich gerne Tango, wollten ihr aber die Schritte niebeibringen, erzählt sie. Nun hat sie sogar einen eigenen Tanzlehrer.
Die Ärzte sind beeindruckt, mit welcher Freude sich die Patientender Musik hingeben und eifrig immer wieder neue Tanzschritteerlernen. Auch dem heißen argentinischen Sommer trotzen die Patientenund tanzen bei Temperaturen bis zu 35 Grad und mit Schweißperlen aufder Stirn ihren Tango.
Im Vordergrund des Tangounterrichts steht nicht der perfekteTanzstil, sondern der Körperkontakt, die Wärme, Zuneigung und Freude,die die Patienten dabei spüren. Der Spaß beim Tanzen überträgt sichauch auf alle anderen Lebensbereiche und das ungezwungeneBeisammensein erleichtert ebenfalls den Kontakt und die Kommunikationzwischen Ärzten und Patienten, erzählt der Tanzlehrer Guillermo: «DerTanz gleicht einem Spiel, bei dem es keine Distanz, aber sehr vielRespekt zwischen den Personen gibt.» Carla kann zwar nicht mehraufstehen, aber dennoch ist sie jedes Mal dabei, genießt die Musikund beobachtet die Tänzer.
«Silvina wollte heute zuerst gar nicht kommen, da sie sich viel zumüde und geschwächt fühlte», erzählt ihr Lebensgefährte Luis. Dochnun lässt sie sich von Guillermo über die Tanzfläche führen. Sie hatdie Augen geschlossen und lässt sich von der Musik tragen. Auch Joséwagt heute die ersten Tanzschritte mit einer Krankenschwester. Dabeisteht die große, fahrbare Sauerstoffflasche, die ihn mit Atemluftversorgt, mitten auf der Tanzfläche. Nach einer Weile muss José sicherschöpft setzen, blickt aber stolz in die Runde, als alleanerkennend applaudieren.
«Die meisten Patienten verbringen hier ihre letzten Tage im Leben,und wir versuchen, diese so erträglich wie möglich zu gestalten»,erzählt die Stationsleiterin. «Der Tanz lässt sie zumindest füreinige Minuten die Krankheit vergessen und spendet neue Lebenskraft.»Nach eineinhalb Stunden endet die Musik und im Krankenhaus herrschtwieder Stille. Die Patienten aber kehren auf ihre Zimmer zurück, einwenig fröhlicher und in Vorfreude auf die nächste Woche.