1. MZ.de
  2. >
  3. Panorama
  4. >
  5. Abzocke: Abzocke: Berliner Start-up verkauft im Netz Termine fürs Bürgeramt

Abzocke Abzocke: Berliner Start-up verkauft im Netz Termine fürs Bürgeramt

29.07.2015, 07:16
Warten vor dem Bürgeramt in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln.
Warten vor dem Bürgeramt in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln. dpa Lizenz

Nach Berlin ziehen ist nicht schwer, Berliner werden dagegen sehr. Bei den Bürgerämtern der Hauptstadt wartet man teilweise monatelang auf einen Termin. Wer vorher an die Reihe kommt, hat entweder Glück - oder Geld. Die Berliner Zeitung hatte bereits berichtet, dass Termine im Netz verkauft werden. Denn drei junge Männer haben aus der Not ein Geschäft gemacht und einen Internethandel mit Terminen ins Leben gerufen.

Nutzer können dort eine Wohnung anmelden oder ihren Personalausweis und Reisepass beantragen. Anders als beim Amt ist die Terminvergabe allerdings nicht kostenlos: Wer fünf Tage wartet, zahlt 25 Euro. 45 Euro sind es, wenn der Termin schon zwei Tage später sein soll.

„Die Idee ist entstanden, weil wir alle die gleichen Probleme mit der Buchung eines Termins hatten“, sagt Mitgründer Jörn Kamphuis (27) und meint die langen Wartezeiten. Die Lösung: Eine Software, die aus den Kalendern sämtlicher Ämter verfügbare Termine zieht - und zahlenden Kunden vermittelt. Seit dem Start Mitte Juni gab es demnach 150 Anfragen. Vermittelt wurden bis zu 90 Besuche auf dem Amt.

Senatsverwaltung prüft rechtliche Schritte

Den Behörden gefällt das nicht: „Der Senat prüft derzeit die möglichen technischen und rechtlichen Konsequenzen“, schreibt die Senatsverwaltung für Inneres auf eine schriftliche Anfrage der Piratenpartei. Demnach ist die Terminbörse nicht der einzige Versuch, das klassische System zu umgehen. In einem Bürgeramt wurden demnach schon einzelne Termine von Privatleuten vor Ort zum Kauf angeboten.

40 verschiedene Bürgerämter in Berlin

Eigentlich können Berliner verfügbare Termine auch selbst einsehen und buchen - und sogar 40 verschiedene Bürgerämter in der Hauptstadt ansteuern. Das Problem: Schaut man ins Netz, sind zum Teil monatelang keine freien Zeitfenster verfügbar. Spontan freigewordene Termine erscheinen naturgemäß erst kurzfristig online - Nutzer müssten die Seiten also laufend aktualisieren.

Spontan kommen? Fehlanzeige. Etwa das Bürgeramt im Stadtteil Prenzlauer Berg verweist im Internet darauf, dass Besucher zu den Öffnungszeiten „nur mit Termin“ erscheinen sollen. Zu bekommen ist so schnell aber keiner: Wer für den Sommerurlaub noch einen Reisepass beantragen muss, findet dort in der Auflistung bis Oktober keine Optionen. Weiter reicht die Zeitleiste nicht.

Schlangen in den Berliner Bürgerämtern

Dass die Schlangen in den Berliner Bürgerämtern länger sind als im Sommer auf der Autobahn, hat verschiedene Gründe: Einer ist der Zustrom von Menschen aus aller Welt. Die Zahl der Zuzüge steigt nach Erhebungen des zuständigen Amts für Statistik seit Jahren. Nach jüngsten Daten aus dem Jahr 2013 zogen fast 170.000 Menschen neu in die Stadt. Rechnet man die Fortzüge hinaus, sind das immer noch knapp 42.000 Neu-Berliner. Eigentlich müssen sie sich innerhalb von zwei Wochen anmelden - sonst droht ein Bußgeld.

Am Personal wird aber gespart. Bis 2017 soll die gesamte Berliner Verwaltung um Tausende Stellen schrumpfen. Die Zahl der Vollzeitstellen in den Bürgerämtern ging bereits in den vergangenen Jahren in nahezu allen Bezirken zurück, wie aus einer Antwort der Senatsverwaltung auf eine SPD-Anfrage hervorgeht. Im vergangenen Jahr wurden wegen der langen Wartezeiten 31 zusätzliche Vollzeitstellen bewilligt - zunächst aber auf zwei Jahre befristet.

Software für Anmeldung ist veraltet

Also doch höchste Zeit für eine neue Technik zur Terminvergabe? Gemeldet habe sich der Berliner Senat wegen einer Zusammenarbeit noch nicht, sagt Kamphuis. „Im Gegenteil.“ Ebenso wie seine Mitstreiter arbeitet er hauptberuflich in einem Start-up. Haupteinnahmequelle sei die Terminbörse daher mitnichten. „Das ist ein Spaßprojekt.“

Dass dadurch vor allem Menschen zum Zuge kommen, die es sich leisten können, sehen die Macher nicht so kritisch. „Wir verkaufen keine Termine“, betont Kamphuis. „Wir verkaufen die Service-Leistung.“ Wenn es ums Geld geht, können sich die Nutzer ohnehin plötzlich gedulden: Nur einer von vier wählt die teurere und schnellere Variante. (dpa)

Die Gründer der Internetplattform für die Vermittlung von Terminen beim Bürgeramt, Jörn Kamphuis (l-r), Martin Becker und Mateus Kratz.
Die Gründer der Internetplattform für die Vermittlung von Terminen beim Bürgeramt, Jörn Kamphuis (l-r), Martin Becker und Mateus Kratz.
dpa Lizenz
Berliner warten vor dem Bürgeramt in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln.
Berliner warten vor dem Bürgeramt in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln.
dpa Lizenz