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Zu viele Studien ohne Qualitätsprüfung Zu viele Studien ohne Qualitätsprüfung: Leopoldina-Vize warnt vor Schaden für Forscher

Von Jan Schumann 20.07.2018, 06:00
Der Vize-Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle, Martin Lohse, kritisiert, dass windige Verlage mit ungeprüften Studien Geld machen würden. 
Der Vize-Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle, Martin Lohse, kritisiert, dass windige Verlage mit ungeprüften Studien Geld machen würden.  imago stock&people

Magdeburg - Ein Skandal um pseudo-wissenschaftliche Verlage, die bundesweit Tausende Forscher zu Publikationen in wertlosen Online-Zeitschriften verleiten, bringt den Ruf von Wissenschaft und Forschung auch in Sachsen-Anhalt in Gefahr.

Von einem „korrumpierten System“ sprach Martin Lohse, Vize-Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle. Er kritisierte, durch zunehmenden „Publikationsdruck“ auf Forscher entstünden Marktnischen, in denen windige Verlage mit dem Veröffentlichen ungeprüfter Schriften Geld machen könnten. Das schade dem Vertrauen in die Wissenschaft: „Ich finde, dass man das nicht abtun kann“, sagte Lohse der MZ. „Wir müssen prüfen, was wir dagegen tun können.“

Regeln der Wissenschaft werden ignoriert

Bundesweit seien mehr als 5.000  Wissenschaftler betroffen, berichteten NDR, WDR und die Süddeutsche Zeitung am Donnerstag. Problematisch an den unseriösen Verlagen: Sie ignorieren die Regeln der Wissenschaft. Seriöse Publikationen veröffentlichen nur Studien, die zuvor von anerkannten Experten geprüft wurden. Doch den Recherchen zufolge geschah dies in diesen Fällen nicht ausreichend, Stichproben belegten das. Fazit: Die Veröffentlichungen durch dubiose Verlage im Ausland seien ein rasant wachsendes Geschäft.

Ein Grund für boomende Geschäfte mit dem Renommee: die Sorge von Nachwuchsforschern um die eigene Karriere. „Junge Wissenschaftler spüren die Erwartungshaltung, viel veröffentlichen zu müssen“, so Lohse. Das betreffe häufig Forscher, die auf einen Doktortitel hinarbeiten, und Nachwuchskräfte, die feste Jobs im Wissenschaftsbetrieb anstreben. „Seit Jahren werden Wissenschaftler mit E-Mails überschwemmt, in denen Verlage werben: Bitte publiziert bei uns“, so Lohse. Fällig würden „teils unverschämte Kosten“ über Tausende Euro.

Nun steht bundesweit der Verdacht im Raum, dass Steuergeld in wertlose Online-Publikationen geflossen ist. Neben hoher Erwartungen seien auch Geltungsdrang und Unwissenheit Gründe für den Weg über wertlose Online-Journale, sagte der Leopoldina-Vizepräsident.

Ausmaß des Problems in Sachsen-Anhalt ist unklar

Der Druck, reihenweise Studien zu veröffentlichen, wird in den USA mit einem geflügelten Wort beschrieben: „Publish or perish“, veröffentliche oder gehe unter. Lohse forderte, an Universitäten und Forschungseinrichtungen dürfe Quantität nicht zur einzigen Währung werden. „Es wäre doch auch absurd gewesen, Beethoven vorzuwerfen, dass er nur neun Symphonien komponiert hat, bloß weil es jemanden gibt, der hundert geschafft hat.“

Das Ausmaß des Problems in Sachsen-Anhalt ist unklar. „Die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg nimmt dieses Problem ernst“, teilte die Hochschule der MZ mit. Der MDR hatte unkonkret über Fälle an der Uni berichtet. Eine Sprecherin sagte, es lägen derzeit keine verlässlichen Daten vor, um welche Journale es sich handele und wie viele Wissenschaftler darin publiziert hätten.

„Zum jetzigen Zeitpunkt über Größenordnungen zu sprechen, wäre reine Spekulation und unseriös, es bleibt die Auswertung der Datenerhebung abzuwarten.“ Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg schloss am Donnerstag Publikationen für zwei der verdächtigten ausländische Verlage aus.

Der Skandal erreichte am Donnerstag auch die Bundespolitik: Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) forderte „im Interesse der Wissenschaft“ eine gründliche Untersuchung der Fehlentwicklungen. (mz)