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Winzervereinigung Freyburg Winzervereinigung Freyburg: Geschäftsführer wird überraschend entlassen

Von Steffen Höhne 10.01.2014, 20:02
Bild aus besseren Tagen: Gerald Lange sorgte für den Ausbau des Holzfass-Kellers der Winzervereinigung.
Bild aus besseren Tagen: Gerald Lange sorgte für den Ausbau des Holzfass-Kellers der Winzervereinigung. A. Stedtler Lizenz

Freyburg/MZ - In Gerald Langes Adern rauscht das Adrenalin. Seit Tagen verspürt der 58-Jährige keinen Appetit. Am vergangenen Dienstag wurde der langjährige Geschäftsführer der Winzervereinigung Freyburg-Unstrut im wahrsten Sinne des Wortes vor die Tür gesetzt. „Ich kann es immer noch nicht fassen“, sagt Lange. Zu Details möchte er sich nicht öffentlich äußern. Beim größten Weinhersteller Ostdeutschlands überschlugen sich in dieser Woche die Ereignisse - ganz ohne Vorbild sind sie allerdings nicht.

Doch der Reihe nach: Nach dem Weihnachtsurlaub fuhr Lange am Dienstagmorgen wie gewohnt ins Büro. Dort standen um 8 Uhr der Aufsichtsratschef Helmut Kühn und Vize Walter Wrede vor der Tür. Sie wünschten Lange ein gutes neues Jahr, überreichten ihm anschließend aber einen Aufhebungsvertrag. Lange hatte 30 Minuten Zeit, sich diesen durchzulesen, danach wurde ihm ein Taxi gerufen. Die Heimfahrt durfte er nicht mehr mit seinem Dienstwagen antreten. Auch die Einladungen zu den anstehenden Neujahrsempfängen wurden ihm abgenommen. Lange erwischte dies offenbar kalt. „Wenn das Vertrauensverhältnis gestört ist, muss eine solche Trennung abrupt vollzogen werden“, rechtfertigt Kühn, der ehrenamtlich tätig ist, dieses Vorgehen. „Es gibt da keinen schönen Weg.“

Seit 2004 im Amt gewesen

Für Außenstehende kam die Entscheidung überraschend, viele reagierten mit Unverständnis. Lange kennt sich im Geschäft gut aus. Von Jugend an ist er mit dem Weinbau vertraut. Bereits als Zweijähriger wurde er Weinbergbesitzer. Damals hatten die Eltern das Land ihrem Kind überschrieben, um der Kollektivierung zu entgehen. 2004 hängte Lange seinen Job als Steuerberater in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft an den Nagel und machte sein Hobby zum Beruf. Die Winzergenossenschaft litt unter einem enormen Investitionsstau. Der damalige Geschäftsführer Gerald Wetzel erhielt zwei Tage vor Weihnachten die Kündigung wegen „strategischer Differenzen“. Lange, damals noch Aufsichtsratsmitglied, trug die Entscheidung mit. Er kennt also handelnde Personen und Vorgehen der Genossenschaftsführung seit Jahrzehnten.

Zur Freyburger Winzervereinigung gehören 440 Genossenschaftsmitglieder. Die Rebfläche beträgt 360 Hektar, davon ein Fünftel in Steillagen. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von etwa 7,2 Millionen Euro. Zu den wichtigsten Rebsorten gehören Müller-Thurgau, Weißburgunder, Silvaner und Dornfelder. Im vergangenen Jahr lag der Ertrag der Genossenschaft bei 2,2 Millionen Liter Wein.

Das Weinbaugebiet Saale-Unstrut ist mit einer Rebfläche von 760 Hektar das kleinste und nördlichste geschlossene Weinanbaugebiet Deutschlands. Schon vor über 1 000 Jahren frönte das Kaiserreich der Ottonen dem Weinbau an Saale und Unstrut. Drei Bundesländer teilen sich heute die Weinregion: Sachsen-Anhalt (639 ha), Thüringen (108 ha) und Brandenburg (10 ha). Es gibt etwa 50 private Weingüter in dem Gebiet.

Nach 2004 führte Lange mit dem ehrenamtlichen Vorstandsvorsitzenden und Weinbaupräsident Siegfried Boy die Winzervereinigung zum wirtschaftlichem Erfolg. Das gekühlte Tanklager und die Abfüllung wurde erneuert. So besitzt die Genossenschaft eine der größten Holzfass-Sammlungen Deutschlands. „Investiert“ wurde auch in die Arbeit im Weinberg. Es wurde eine Bonitur - eine Erhebung von pflanzlichen Merkmalen - eingeführt. Die Trauben der 440 Genossenschaftsmitglieder werden nach einem strengen Punktesystem bezahlt. Wer seine Reben pflegt, erhält mehr Geld. Anfangs erregte das System etwas Unmut, doch es bewährte sich. Die Genossenschaft erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2011/12 einen Umsatz von 7,2 Millionen Euro und steht wirtschaftlich solide da. Dies ist zu einem großen Teil ein Verdienst des studierten Betriebswirtes. Dies würdigen auch Aufsichtsratschef Kühn und Vorstandschef Boy.

Doch warum dann die Trennung? Zunächst hieß es, es gab zwischenmenschliche Probleme zwischen Lange und Mitarbeitern. Nun wird Kühn konkreter: „Wenn vier leitende Mitarbeiter das Unternehmen wegen des Führungsstils verlassen wollen, muss sich der Aufsichtsrat Gedanken machen.“ Boy legt nach und spricht von einem Napoleon-Führungsstil. Namen Betroffener werden nicht genannt. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass es zwischen Lange und Produktionsleiter Hans-Albrecht Zieger zum Bruch gekommen ist. Gleiches gilt für den ehemaligen Kellermeister Rudolf Thürkind, der seit Jahrzehnten in der Genossenschaft tätig war. Zu seinem privaten Abschied Anfang Dezember waren alle Führungskräfte eingeladen - außer Lange. In einer Genossenschaft, in der die Mitglieder auch Anteilseigner sind, wiegen persönliche Differenzen schwerer als in anderen Unternehmen.

Keine Entscheidung über Nacht

Zwischen Lange und den Führungsgremien soll es in der Vergangenheit darüber mehrere Gespräche gegeben haben. „Irgendwann muss man die Reißleine ziehen, dies war keine Entscheidung über Nacht“, so Kühn. Zwischen den Feiertagen tagten Aufsichtsrat und Vorstand und stimmten einstimmig für die Entlassung.

Lange hält sich zu den Vorwürfen bedeckt. Er sagt nur so viel: Als Geschäftsführer könne man es nicht immer allen recht machen. Sein Augenmerk habe stets auf dem Wohl der Genossenschaft gelegen. „Ich werde weiter Mitglied sein. Diese Art von Rauswurf wäre nicht nötig gewesen, da ich dem Unternehmen nie schaden würde.“

Lange scheute allerdings nicht die Auseinandersetzung mit dem Aufsichtsrat. „Man muss sich immer fragen, wo geht man Kompromisse ein und wo nicht.“ Unterschätzt habe er die Tiefe des Zerwürfnisses und den Widerstand gegen ihn.

Am Donnerstag tagte der Aufsichtsrat erneut und setzte Siegfried Boy als vorübergehenden Geschäftsführer ein. Auch 2004 wählte man schon diesen Weg. Nun soll intern und extern nach einem neuen Geschäftsführer gesucht werden. Aufsichtsratschef Kühn würde wohl eine interne Lösung bevorzugen. Produktionsleiter Zieger gilt als Favorit. Vorstandschef Boy meint, dass man bei der Suche keinen Zeitdruck habe. Es solle wieder Ruhe für konzentrierte Arbeit einkehren. Ob diese schnell einzieht, wird sich erst noch zeigen.