Winter-Depression Winter-Depression: Sehnsucht nach Sonne
Halle (Saale)/MZ. - Alle Flaschen sind geleert. Vom Festbraten ist nichts mehr übrig. Der Christbaum verliert die letzten Nadeln. Ein Bild, das Bände spricht: Wo ist der Schwung der vielen Feiertage hin? Gute Laune - Fehlanzeige! Ein Riesenproblem, nicht nur für die Betroffenen selbst. Mediziner, Psychologen und Ernährungswissenschaftler suchen nach Antworten.
So grau der Alltag auch ist, eine einfache Lösung gibt es offenkundig nicht. Den einen stört der Nieselregen. Den anderen betrübt, wie tief die Wolken hängen. Und erst jene Unglücklichen, die verzweifeln, weil sich die Sonne einfach nicht blicken lässt. Selbst auf dem Brocken-Gipfel, der der Sonne in Sachsen-Anhalt am nächsten ist, gibt es keinen Lichtblick mehr. So etwas kann letztlich auch auf das sonnigste Gemüt schlagen. "Und dann gerät schon das Aufstehen zur Mühsal", weiß Dr. Frank Pillmann von der Poliklinik für Psychiatrie der Martin-Luther-Universität Halle aus vielen Gesprächen mit Patienten. Menschen kommen einfach nicht mehr in die Gänge, trotz extra starken Kaffees.
2013 beginnt für diese Gruppe einfach nur düster - und Besserung ist laut Wetterdienst in Leipzig vorerst auch nicht in Sicht. Dementsprechend hält sich in manchen Büros, Geschäften und Werkhallen hartnäckig eine ziemlich miese Stimmung. Mitunter soll sie so schlecht sein, dass vielleicht wirklich nur noch der Arzt helfen kann. Ein Blick in Wartezimmer von Psychologen lässt ahnen, wie die Winter-Depression zuschlägt.
Pillmann: "Es kann wirklich jeden treffen, ohne direktes eigenes Verschulden." Meist kommen dem leitenden Mediziner zufolge jedoch diverse Faktoren zusammen - fehlende berufliche Anerkennung, Mobbing, ungelöste familiäre Probleme. "Auslöser ist aber fast immer das fehlende Sonnenlicht, der beste natürliche Stimmungsaufheller." Besonders empfindsam auf diesen Mangel reagierten offenkundig Frauen. Sie erkrankten doppelt so häufig wie Männer an der Winter-Depression. Kritisch werde es immer dann, so Pillmann, wenn Betroffene über Tage in ihrem seelischen Tal verharrten. Antriebsschwäche und körperliche Krankheitssymptome seien oft die Folge. Dann müsse unter Umständen sogar an eine stationäre Behandlung mit einer speziellen Licht-Therapie gedacht werden - eine Stunde täglich unter einer künstlichen Sonne.
Vielfach lässt sich eine drohende Winter-Depression aus eigener Kraft noch abwenden. Davon ist der hallesche Sportwissenschaftler Prof. Oliver Stoll überzeugt. Das Nervensystem registriere natürlich die Tristesse ringsum, aber dieser negativen Erfahrung könne und sollte man etwas entgegen setzen.
Aktivität ist für ihn dabei das Schlüsselwort. "Schon eine halbe Stunde lang Holzhacken hebt die Stimmung." Ihm helfe es auch, durch die Dölauer Heide zu joggen. Beim Laufen würden, wie Studien immer wieder belegten, im Gehirn wichtige Botenstoffe freigesetzt. So könne der Kopf frei werden, der Trübsinn habe ein Ende. Das Problem, dem laut Stoll viele ausweichen, ist die Ausdauer: "Nur wer sich wirklich jeden Tag dieser Herausforderung stellt, entkommt der schlechten Laune wegen fehlender Sonne auf Dauer."
Das klappt bei dem ehemaligen Bergarbeiter Eberhard Franz aus Halle mittlerweile sogar ohne Socken und ohne Schuhe. Der Mann schwört bereits seit einigen Jahren auf Barfußlaufen. Weder Regen noch Schnee halten ihn davon ab, so entlang der Saale zu wandern. Heide von Arnim vom Kneipp-Verein Halle-Saalkreis meint: "Das ist noch selten, aber nicht ungewöhnlich." Kaltes Wasser reize den Körper und stabilisiere damit das Immunsystem. Allein im Fuß reagierten rund 70 000 Nerven auf die Impulse, die den Kreislauf dann voll auf Touren bringen. Wer einige Minuten im kalten Wasser trete, habe keine kalten, sondern den ganzen Tag über warme Füße. Über diese und andere Tricks gegen die Winter-Depression tauschen sich die 70 Mitglieder sowie weitere Interessenten jeden ersten Mittwoch um 14 Uhr im halleschen Gasthaus "Goldene Rose" aus. "Der Zuspruch ist enorm", so von Arnim.
Dass wichtige Entscheidungen oft in der Küche fallen, ist nicht neu - aber Meisterkoch Alfons Schuhbeck ergänzt: "Gewusst wie, auf die richtigen Gewürze kommt es an." Zimt beispielsweise wirke entkrampfend, Ingwer schützt gegen Übelkeit, Schwarzkümmel ist ihm zufolge das Aspirin der Natur. Schuhbecks hallescher Kollege und Küchenmeister Bernd Lücke sieht den Eintopf mit viel und verschiedenem Gemüse als kulinarische Grundlage gegen schlechte Laune an trüben Tagen. Dass hingegen bereits das Riechen an Schokolade ausreicht, um zu entspannen, quasi Sonne im Herzen zu spüren, haben Wissenschaftler der Universität London bemerkt. Macht auch garantiert nicht dick!
Den ultimativen Tipp hält die Reisebranche bereit. Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband redet vom Sonne tanken in der Ferne - das boomt im Januar bei Singles und Kinderlosen. Allerdings ist man dabei nicht vor Überraschungen gefeit. So schreibt MZ-Leser Alexander Hoffmann, der seinen Einstieg in den Ruhestand auf Madeira erlebt: "Sonne satt, aber ich bin mit 61 Jahren der Jüngste hier im Klub. Das nervt vielleicht."