Trotz erfolgreicher Intergration Trotz erfolgreicher Intergration: Warum Xhino Gula abgeschoben werden soll

Schönebeck - Die Zukunft von Xhino Gula liegt, wenn alles klappt, genau hier: im altehrwürdigen ehemaligen Kurhaus von Schönebeck-Bad Salzelmen, ein mächtiger, mit Säulen verzierter dreigeschossiger Bau, hübsch saniert. Hier würde Gula, 18 Jahre alt, Teile seiner Ausbildung zum IT-Kaufmann absolvieren.
Vielleicht liegt die Zukunft von Xhino Gula aber auch in der Abfertigungshalle des Flughafens Leipzig-Halle, an Bord eines Flugzeuges, das abgelehnte Asylbewerber aus dem Westbalkan-Ländern zurück in ihre Heimat bringt. Vielleicht wird auch Gula dabei sein, wenn Sachsen-Anhalts Innenministerium demnächst wieder eine Massenabschiebung verkündet.
Im Fall von Xhino Gula prallen Politiker-Talkshowreden und die triste deutsche Wirklichkeit knallhart aufeinander. Flüchtlinge wie er sollen sich integrieren, sie sollen sich einbringen in die Gesellschaft, sie sollen etwas aus sich machen. Dann sind sie hochwillkommen, sie, die Fachkräfte von morgen, die Deutschland so dringend braucht.
Xhino Gula hat all das getan. Er hat sich integriert. Er sei zielstrebig und engagiert, sagen seine ehrenamtlichen Betreuer Steffen und Kathrin Behm, hilfsbereit, offen, lernfähig. Er spricht passabel Deutsch. Er hat eine Lehrstelle in Aussicht.
Xhino Gula ist so etwas wie ein Musterknabe in Sachen Integration. Dennoch soll er Deutschland verlassen müssen. Er stammt aus Albanien, das ein so genannter sicherer Drittstaat ist. Wer aus einem solchen Land nach Deutschland einreist, dessen Asylantrag wird in der Regel abgelehnt. Gulas Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge umfasst neun Seiten und trägt das Datum vom 8. Januar dieses Jahres. Die Ausländerbehörde Magdeburg will ihn abschieben.
Die Ausbildung beim Bildungsträger BQI GmbH in Schönebeck
Die Geschichte könnte an dieser Stelle schon zu Ende sein, gäbe es nicht Menschen wie Kathrin und Steffen Behm, Hans Weber oder Vivien Habelitz.
Weber, groß, schlank, dunkler Anzug, ist Geschäftsführer des Bildungsträgers BQI GmbH in Schönebeck - Weiterbildung, Erstausbildung, Existenzgründung; zwei Tochterfirmen, eine davon sitzt im ehemaligen Salzelmener Kurhaus. Sie haben 75 Mitarbeiter und brauchen dringend Nachwuchs, den sie selber aufbauen wollen.
Unter anderem sucht Weber einen Auszubildenden als IT-Kaufmann. Im Februar absolviert Xhino Gula ein Praktikum bei BQI, eine Woche lang. Danach steht für Weber fest: Den will ich haben! „Er ist hoch motiviert, leistungswillig und bereit sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.“ Damit hebe er sich deutlich ab von vielen anderen Jugendlichen. Heidemarie Lungershausen, die Personalchefin, sagt: „Wenn er die Ausbildung so absolviert, wie wir uns das vorstellen, dann hat er bei uns eine berufliche Zukunft.“
Xhino Gula grinst verlegen, als er das hört. Dann erzählt er selbst: Wie er im Praktikum mit anderen Azubis ein Computersystem installiert, wie er ein so genanntes Motherboard, die zentrale Platine eines Rechners, aufgebaut hat. Er ist ein freundlicher, zurückhaltender Typ. Wenn er von der Arbeit mit Computern spricht, leuchten seine dunklen Augen: „Das war schon immer mein Traum!“
Deshalb kommt er im Juni vergangenen Jahres nach Deutschland. Um eine IT-Ausbildung zu absolvieren, müsste er in Albanien eine Privatschule besuchen, erklärt er. Das Geld haben seine Eltern nicht. Irgendwann fasst er einen Entschluss, wie ihn im Sommer 2015 viele junge Albaner fassen: Auf nach Deutschland! Sie hoffen auf eine Perspektive, die sie in ihrer Heimat nicht finden. Albanien ist eines der ärmsten Länder Europas. Nach Angaben der Weltbank leben sieben Prozent der Bevölkerung in absoluter Armut, das heißt, sie haben pro Kopf weniger als 60 US-Dollar im Monat zur Verfügung.
Die Gründe für eine Ablehnung
Doch Xhino Gula wird nicht politisch verfolgt, er gilt als Wirtschaftsflüchtling. Damit wird sein Asylantrag abgelehnt. Die Ausländerbehörde sagt, deshalb gebe es keine andere Möglichkeit als die Abschiebung. Die Lehrstelle? Spielt aus Sicht des Amtes keine Rolle. Jungen Flüchtlingen, die wie Gula aus einem sicheren Drittstaat kommen, könne eine Ausbildung nicht erlaubt werden. Einen „Ermessensspielraum“ gebe es nicht. Wolfgang Breidenbach will sich damit nicht abfinden. Der hallesche Anwalt hat beim Verwaltungsgericht Magdeburg ein Eilverfahren angestrengt, damit Gula vorläufig bleiben kann. Breidenbach sagt: Das „Beschäftigungsverbot“ für Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten gelte nur, wenn diese nach dem 31. August vorigen Jahres Asyl beantragt hätten. Gula aber habe seinen Antrag am 11. August gestellt. Deshalb müsse ihm die Ausbildung ermöglicht werden.
Xhino Gula hat sich im deutschen Ausländerrecht verheddert, in einem Netz aus Gesetzen, Verordnungen und Fragen. Derzeit wird Gula geduldet, so heißt das im Amtsdeutsch. Das heißt, er müsste abgeschoben werden, wird es aber vorerst nicht. Die Duldung ist befristet bis zum 9. Mai. Das klingt nach einer Atempause, ist aber keine. Er kann trotzdem vorher abgeschoben werden, die Duldung würde dann einfach erlöschen. Die Ungewissheit, die Angst, dass jederzeit die Polizei vor der Tür stehen könnte - „Xhino steht unter einem riesigen Druck. Wir versuchen ihn so gut wie möglich aufzufangen“, sagt Vivien Habelitz. Sie ist pädagogische Leiterin im „Haus Martin“, einer Unterkunft der Diakonie. Hier wohnt Gula, weil er als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland kam. Erst vor kurzem ist er 18 geworden.
Wenn Xhino Gula den Kopf frei bekommen will, hängt er mit zwei Freunden ab. Sie reden, sie machen Sport. „Haus Martin“ ist ein zweigeschossige Villa, pastellgelb getüncht, nebenan ein kleiner Platz mit Tor und Fangnetz zur Straße, im Garten ein Basketballkorb und eine Schaukel für die Kleinen. Der Salzelmener Kurpark ist nicht weit weg, mit dem alten Kurhaus, mit Badehaus und Gradierwerk. Auf den Rabatten blühen die Tulpen. Eine Idylle. Und Xhino Gulas Probleme erscheinen einen Moment lang unendlich weit weg. (mz)
