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Tourismus Tourismus: Kirchengeschichte in Backstein

01.11.2002, 08:09
Kloster Jerichow
Kloster Jerichow Landesmarketing Sachsen-Anhalt

Jerichow/dpa. - Still ist es in Jerichow. In dem Dorf an der nordöstlichen Grenze Sachsen-Anhalts steht eines der wichtigsten Zeugnisse romanischer Baukunst in Norddeuschland: In der Mitte des 12. Jahrhunderts wurde hier ein Prämonstratenser-Stift errichtet - das spätere Kloster Jerichow. Seit mehr als 800 Jahren sind die beiden Westtürme des Komplexes in der Elbniederung bei Tangermünde weithin zu sehen. Damals sollten sie den Slawen im Osten Macht demonstrieren und christlichen Missionierungswillen bezeugen.

Heute bildet Jerichow, je nachdem welche Richtung der Reisende wählt, den Beginn oder den Endpunkt der Nordroute der Straße der Romanik. Diese touristische Strecke verknüpft seit 1993 insgesamt 72 romanische Bauwerke in 60 Orten Sachsen-Anhalts.

Rolf Naumann, Museumsleiter im Kloster Jerichow, lässt erst einmal den feierlichen Raum, den die zimtroten Mauern schaffen, auf die staunenden Besucher wirken. Die Entscheidung für den Backstein war in dieser Region weniger eine Frage des Geschmacks als der Notwendigkeit, erklärt Naumann. Natürliches Baumaterial wie Sandstein gab es in der Gegend nicht. «Aber mit Lehm und Schlick aus der Elblandschaft konnte man zumindest Backstein herstellen».

Massive Pfeiler und Säulen, halbkreisförmige Bogenabschlüsse in Maueröffnungen und vergleichsweise kleine Fenster sind Merkmale der Kunst- und Architekturepoche Romanik zwischen den Jahren 950 und 1250. Hinzu kommt eine zweckorientierte und klare Gliederung des Grundrisses. So folgen viele romanischen Backsteinkirchen in der Region dem Schema «Westturm, Gemeinderaum, Chor und Apsis».

Ein Beispiel für die Vermischung von Baustilen findet sich wenige Kilomter nördlich von Jerichow in Tangermünde. Die am nördlichen Ende der Altstadt gelegene St. Stephanskirche entstand durch den Umbau einer romanischen Basilika und wurde um 1500 fertig gestellt.

Die Kirche ist im Stil der norddeutschen Backsteingotik gehalten und innen vergleichsweise prunkvoll ausgestattet. Teile der Innenausstattung aus dem 17. Jahundert sind noch enthalten, zum Beispiel die Kanzel von 1619. «Besonders stolz sind wir allerdings auf die Orgel», sagt Stadtführerin Christine Lehmann. Das Instrument wurde 1624 von dem Hamburger Meister Hans Scherer vollendet.

Wechselhaft ist auch die Geschichte des Havelberger Doms und der dazu gehörigen Klosteranlage. «Wie viele andere romanische Bauten wurde der Havelberger Dom im Laufe der Jahrhunderte verwandelt», erzählt Domkantor Gottfried Förster. Die ersten baulichen Veränderungen wurden bereits nach einem Brand im Jahr 1279 notwendig. Romanisch blieb einzig der mächtige Westriegel des Doms.

Durch das Feuer ging auch das ursprüngliche Inventar des Doms verloren. Die heutige Innenausstattung stammt aus der Zeit der Gotik, des Barocks und der Renaissance: Dazu gehören zum Beispiel eine ältere Chorschranke, von der drei Sandsteinleuchter erhalten sind, sowie eine gotische Triumphkreuzgruppe. «Und das Chorgestühl gehört zu den ältesten in Norddeutschland», sagt Förster.

Wer von Havelberg aus nach Westen fährt, gelangt nach Arendsee. Die Arendseer Klosterkirche gilt als ältester vollständig gewölbter Backsteinbau im nordöstlichen Deutschland. Über einen Westturm verfügt die romanische Pfeilerbasilika jedoch nicht. Heute ziert lediglich ein kleines Türmchen über der Vierung das Gotteshaus - es wurde bei einer Restaurierung in den Jahren 1850/51 hinzugefügt.

Gegründet wurde das Benediktiner-Nonnen-Kloster 1183 vom Markgrafen Otto. Die Klosterkirche ist einfach gestaltet. Einzige Zierde ist die geriffelte Oberfläche, mit der die Backsteine an einigen Stellen versehen sind. An jüngeren Bauteilen finden sich auch ährenförmige Schraffuren. Im Kontrast zu der ansonsten nüchternen Ausstattung der Basilika stehen zwei wertvolle Exemplare der Sakralkunst: ein aus Eichenholz geschnitztes Kruzifix, das wohl um 1240 entstanden ist und heute an der Südwand des Chores hängt, sowie ein gotischer Wandelaltar.

Der Altar, bestehend aus einem Mittelschrein und jeweils zwei Flügeln links und rechts, war an Werktagen geschlossen, erklärt Pfarrer Reinhard Simon. Nur an Sonntagen wurden die Flügel mit ihren 16 Tafelbildern aufgeklappt. Sie zeigen Szenen aus der Kindheit Jesu und die Passionsgeschichte. Mittlerweile ist der Altar jederzeit geöffnet und zeigt neben den genannten Bildern einen Schrein mit geschnitzten Figuren aus Eichenholz.

«Mit den Nonnen war es seit der Reformation vorbei in Arendsee», sagt Simon. Das Kloster verfiel, und 1826 wurden die Gebäude zum großen Teil abgerissen. Heute ist das Kloster eine schön anzuschauende Ruine. Außer der Kirche ist nur noch ein spätgotischer Kreuzgang erhalten, der sich an das nördliche Seitenschiff anlehnt.

Den Abschluss der nördlichen Route der Romanik bildet die Stadt Salzwedel. Die dort stehende Lorenzkirche wurde als romanische Kirche Mitte des 13. Jahrhunderts erbaut, erhielt später allerdings gotische Fensterbögen. Den heiligen Laurentius, nach dem das Gotteshaus benannt ist, nimmt der Besucher beim Eintritt in die Kirche in die Hand: Eine kleine Skulptur des Laurentius bildet den Türgriff am Portal. Wüsste der Heilige, der ein Martyrium auf dem Feuerrost durchlitten haben soll, wie die Kirche zwischenzeitlich genutzt wurde, er würde vielleicht noch einmal Qualen leiden: Die Kirche wurde fast 170 Jahre lang - von 1692 bis 1859 - als Salzlager zweckentfremdet.