Stadtumbau Stadtumbau: Leipzig reißt die «Eiger Nordwand» ab

Leipzig/dpa. - 731 Wohnungen imStadtteil Grünau, die der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH(LWB) gehören, sollen in diesem Jahr der Abrissbirne weichen. 9243Wohnungen sind in Leipzig seit der Wende bereits verschwunden, etwadie Hälfte davon allein in Grünau. «Knapp 7000 Quartiere werden bis2020 in Grünau noch weggerissen», prognostiziert Stefan Heinig,Stadtentwicklungsplaner in Leipzig.
«Grünau wurde von 1976 an gebaut. Die Frage des Bedarfs stand zuDDR-Zeiten unter anderen Vorzeichen als beim Wohnungsbau im Westen»,erklärt Benita Ruschitzky die Entwicklung des Leipziger Stadtteils.Sie ist Mitarbeiterin im Amt für Stadtsanierung undWohnungsbauförderung und Ansprechpartnerin für Bürger, die sichmit dem Informationsstrom zu den Stadtumbauplänen überfordert fühlen.
«Als die Wohnblöcke entstanden, war ein großer Bedarf an Wohnungenvorhanden, weil die Altbauten in der Stadtmitte noch nicht saniertwaren», schildert Ruschitzky. «1989 war Grünau gut bevölkert, eswurde sogar dichter gebaut als ursprünglich geplant. Die Bürger sindgern in das Viertel gezogen, weil die Qualität höher war als imunsanierten Altbau.»
Nach der Wende zogen viele Anwohner weg, in ein Haus im Grünenoder weil sie den Arbeitsplatz wechselten und zum Umzug gezwungenwaren. «Außerdem sind nach der Wende viele Häuser in der Stadtsaniert worden. Die Leute hatten damit die Wahl zwischen Grünau unddem Zentrum als Wohnort», sagt Ruschitzky. Seit 1990 hat Leipzignach Angaben des Statistischen Landesamtes rund 55 000 Einwohnerverloren.
Im Durchschnitt stehen 14 Prozent der Wohnungen in der Messestadtleer. Grünau treibt dabei den Durchschnitt ungemein in die Höhe. Dortsind 20 Prozent der Wohnungen unbewohnt. Das Stadtviertel ist damitSorgenkind der Umbauplaner. «In den kommenden zwei Jahren soll dieWohnqualität in Grünau verbessert werden. Dazu investieren der Bundund das Land Sachsen zusammen 60 Euro pro Quadratmeter Wohnraum»,rechnet Stadtbauplaner Heinig vor.
Bei einem Abriss von 2396 Wohnungen bis Ende 2008 sind das etwasieben Millionen Euro aus Steuergeldern. Dazu kommen Kosten für eineverbesserte Infrastruktur und den Umbau der Wohnungen, die sich Bund,Land und Kommune teilen. Ziel ist es, den Leerstand im Viertel auf 10Prozent zu drücken. Mit dem Umbau soll die Gegend zudem auch fürFamilien attraktiver werden, denn bislang wohnen überwiegend ältereMenschen in Grünau.
Angesichts der Debatte überraschend ist jedoch die Zufriedenheitder Anwohner mit ihrem Wohnviertel. «Nach einer Studie ist dieInnenansicht positiver als die Außenansicht. Die Leute, die in Grünauwohnen, wollen da auch bleiben», beschreibt Ruschitzky. Gisela undKlaus Matthes, die von der sechsten in die zweite Etage umgezogensind, empfinden den Leerstand in Grünau besonders in höherenStockwerken als gravierend und problematisch. Anwohner und Hartz IV-Empfänger Martin Walter ist einer der Betroffenen, die ihre Wohnungfür den Abriss räumen mussten. Er sieht die Pläne kritisch. «DieVermieter können hier machen, was sie wollen und kriegen dafür auchnoch Zuschüsse.»