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Schmalspurbahnen Schmalspurbahnen: Volldampf im Harz

Von ANTONIE STÄDTER 30.12.2009, 19:09

WERNIGERODE/MZ. - Die beiden sind ein eingespieltes Team. Das geht eine ganze Weile so: Klappe auf, Kohle rein, Klappe zu - und von vorn. Auf diese Art soll möglichst wenig kalte Luft an den empfindlichen Kessel gelangen. Vier Tonnen des schwarzen Brennstoffs führt die Lok mit sich. Knapp die Hälfte davon wird Mischke an diesem Dienstag in die Luke befördern. Ganz nebenbei wird es in dem engen Führerstand gemütlich warm, während draußen schneebedeckte Fichtenwälder vorbeiziehen. Wernigerode haben sie hinter sich gelassen, nun muss der beschwerliche Anstieg nach Drei-Annen-Hohne bezwungen werden. Schnaufend nähert sich die Dampflok der Harzer Schmalspurbahnen (HSB) mit Tempo 30 dem Wander-Idyll.

Hier, auf der Harzquerbahn von Wernigerode zum Bahnhof Eisfelder Talmühle und zurück, ist besonders der Wechsel zwischen Tal und Berg reizvoll, so Lokführer Hartmut Wegener. "Die Fahrgäste dürfen gar nicht merken, dass es hoch und runter geht", sagt er und zieht mit seinen rußschwarzen Händen an dem Regler über der Feuerluke, der den Dampf in den Zylinder gelangen lässt - gewissermaßen das Gaspedal der Lok. Als vor einem Bahnübergang ein Schild mit einem "P" darauf erscheint, zieht er an einem anderen Hebel - und der typische Klang der Lokpfeife ertönt. Draußen winkt ein Wanderer.

Auch, wenn all das für Hartmut Wegener Arbeitsalltag ist, er jede Kurve, jedes Signal an der Strecke und das obligatorische Blitzlichtgewitter an den Stationen längst verinnerlicht hat: Die Faszination für seinen ungewöhnlichen Beruf lässt ihn nicht los. "Es ist der schönste Beruf, den es für mich gibt", sagt er. Seit mehr als 30 Jahren ist die Dampflok sein Arbeitsplatz. Ein Kindheitstraum, wie der Mann aus Ilsenburg sagt, der mit 53 Jahren genauso alt ist wie die Lok, die er an diesem sonnigen Wintertag steuert. "Wer einmal Räder unter den Füßen hatte, der ist in der Werkstatt nicht mehr zu gebrauchen" - dieses Sprichwort treffe auch auf ihn zu. Woanders arbeiten ist für ihn unvorstellbar. Manchmal steht er sogar gemeinsam mit seinem Sohn, einem ausgebildeten Heizer, im Führerstand. Und seine Frau arbeitet ebenfalls für die HSB: im Verkauf.

Die Leidenschaft für die historische Technik teilt Wegener nicht nur mit seiner Familie, sondern auch mit vielen anderen Dampflok-Freaks. Jene Männer und auch Frauen zum Beispiel, die sich bei zehntägigen Lehrgängen in Theorie und Praxis zum "Ehrenlokführer" ausbilden lassen. Die 50 Ausbildungsplätze, die die HSB pro Jahr anbietet, sind stets weit im Voraus ausgebucht. Früher allerdings, "als die Jugendlichen noch Dampfloks kannten", habe es deutlich mehr Fans gegeben, so Wegener, der privat gern mit seinem Motorrad unterwegs ist. Heute beobachtet er indes immer wieder amüsiert Väter, die erst ihren Sohn vorschicken - schließlich aber als erste oben im Führerstand stehen.

Ralf Stein, 48, kommt jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr aus dem fernen Münster mit Kollegen in den Harz. Brocken, Schnee, Wintersport - nichts von alldem interessiere ihn dann mehr als die Dampfrösser. Drei Tage lang machen die sechs Männer darum nichts außer Bahnfahren. "Das ist eben unser Hobby", sagt er. Langweilig werde das nicht. Ihr Pensum: Mit der ersten Brockenbahn ging es auf den Berg und gleich wieder hinunter, nun sitzen sie in der von Hartmut Wegener gelenkten Harzquerbahn, die das Gebirge in viereinhalb Stunden durchquert, und am Abend wollen sie noch einmal auf den Brocken.

"Die Harzer Schmalspurbahnen sind eine sehr bedeutende Einrichtung für den Tourismus in der Region", sagt die Sprecherin des Harzer Verkehrsverbandes, Miriam Fuchs. Ein Alleinstellungsmerkmal, das auch international Beachtung finde. Dass die historischen Bahnen auch regelmäßig von Anwohnern für die Fahrt zur Arbeit genutzt werden, sei einzigartig. "Das sind eben keine Museumsbahnen." Vor allem aber sind die Schmalspurbahnen ein Touristenmagnet: Erst im Herbst belegte eine Studie der Hochschule Harz, dass rund jeder achte in der Harzer Tourismusbranche erwirtschaftete Euro und jeder elfte Arbeitsplatz auf ihrer Nutzung beruht. Mehr als ein Drittel der befragten Fahrgäste reisten allein wegen des Bahnerlebnisses an.

Als Hartmut Wegener und Thomas Mischke wieder in den Bahnhof Wernigerode einfahren, ist ihre Schicht längst nicht beendet. Sie müssen den Zug in die Wagenhalle bringen, Kohle und Wasser in der Lok auffüllen. Das Feuer wird - unter Aufsicht - weiterbrennen. Jeden Tag neu anzuheizen, würde zu lange dauern. "So eine Lok ist bis zu 30 Tage durchgängig unter Dampf", erklärt Wegener. So war es vor hundert Jahren schon.