Schatten der Geschichte Schatten der Geschichte: Vor 30 Jahren präsentierte der "Stern" Hitler-Tagebücher

Börnersdorf/MZ - Hätte es Konrad Kujau nicht gegeben, Börnersdorf wäre wohl auf ewig eine Fußnote der Geschichte geblieben. Der 21. April 1945 ein Kapitel in der Ortschronik, allenfalls interessant für Militaria-Fans. Beim Versuch notzulanden, stürzt an jenem Tag eine Junkers 352 unweit des Ortes im Ost-Erzgebirge ab. An Bord: Nazi-Größen auf der Flucht aus Berlin.
Und dann, Jahrzehnte später, kommt Konrad Kujau ins Spiel. Kujau, der Meisterfälscher. Der Mann hinter den Hitler-Tagebüchern.
Vor 30 Jahren, am 25. April 1983, präsentiert der „Stern“ in Hamburg eine Sensation: Das Magazin will die Tagebücher von Adolf Hitler entdeckt haben. 1945 sollen sie mit der Junkers 352 in Börnersdorf abgestürzt sein. Es vergehen keine zwei Wochen, da steht fest: alles nur gefälscht. Von Konrad Kujau. Für den Stern ist es der journalistische GAU.
Die Junkers 352, gesteuert von Fliegermajor Friedrich Anton Gundelfinger, ist an jenem Tag im April 1945 auf dem Weg nach Salzburg. Ein Motor brennt, Gundelfinger will notlanden. Beim Anflug auf eine Lichtung bleibt die Maschine an den Baumwipfeln hängen und stürzt ab. Zehn Menschen sterben.
Geladen hat die Junkers wichtige Dokumente aus Hitlers Reichskanzlei. Auch Zahnarzt-Unterlagen aus dem Führungsstab der Reichskanzlei und von Hitler selbst waren darunter, will Peter Ertel herausgefunden haben. Der Museologe aus dem mittelsächsischen Döbeln forscht seit mehr als einem Jahrzehnt zu dem Absturz. Dorfbewohner reden später sogar von Gemälden. Auch Gold soll an Bord gewesen und im Tresor des Rathauses verschwunden sein. Nur Hitlers Tagebücher, die waren nicht im Flugzeug. Die hat Konrad Kujau ja selbst angefertigt.
Die Stasi sperrt ab
Seine Geschichte über den angeblichen Fund der angeblichen Tagebücher klingt so glaubwürdig, dass der „Stern“ darauf anspringt. Zweimal besuchen Anfang der 1980er-Jahre „Stern“-Journalisten Börnersdorf. Eine Staatsaktion: Die Stasi ist immer dabei, sperrt den Ort ab. Dennoch spricht sich schnell herum, dass West-Reporter da sind. „Allen war klar, es muss um den Flugzeugabsturz gehen“, sagt Helfried Leuteritz, der das Unglück als Kind miterlebt hat.
Die Journalisten aus Hamburg wühlen alles noch einmal auf in Börnersdorf. So kommt es, dass eine einzige Geschichte ein ganzes Dorf prägt und ein ganzes Leben. Oder besser: zwei Geschichten. Die reale über den Flugzeugabsturz. Und die fiktive über die Tagebücher. „Für uns ist das immer noch ein Gesprächsthema“, sagt Leuteritz in seinem weichen sächsischen Dialekt. Gerade jetzt, 30 Jahre nach der vermeintlichen Sensation. Die ARD hat einen Film gedreht über Börnersdorf. „Und das ZDF war auch schon sechs Mal da“, erzählt der 76-Jährige.
Und alle wollen sie zu Helfried Leuteritz. Er ist acht Jahre alt, als die Junkers 352 am Heidenholz die Baumwipfel streift und herunterkracht, morgens um kurz vor sechs. Der Junge ist schon wach, er hört, wie sein Vater, der auf dem Feld Futter mähte für das Vieh, seiner Mutter davon erzählt. Nach dem Frühstück rennt er heimlich zu seinem Schulfreund Günter. Sie sind die ersten an der Absturzstelle ganz in der Nähe des Dorfes.
Die Bilder bekommt Helfried Leuteritz bis heute nicht aus dem Kopf. Brennende Trümmer. Leichen. Wenig später Männer, die zu zu zweit Kisten auf Lastwagen schleppen. „Die müssen schwer gewesen sein, man hat gesehen, wie sie sich abgemüht haben.“ Lange können die beiden Jungen nicht auf ihrem Posten am Waldrand bleiben. Rasch werden sie von SS-Männern entdeckt und davongejagt, hoch zur Straße, von der aus sie nicht mehr zusehen können.
Die kleine Feldsteinkirche von Börnersdorf thront am Hang über dem 380-Einwohner-Flecken, umgeben von einem kleinen Friedhof. Es ist der einzige Ort, der heute an den Flugzeugabsturz von 1945 erinnert. Neun der zehn Toten aus der Junkers-Maschine sind hier begraben. Ein Gedenkstein etwas abseits der anderen Gräber führt sie und weitere Kriegstote aus der Gemeinde auf. Nicht alle der Toten aus dem Flugzeug haben Namen: Drei Passagiere, zwei Frauen, ein Mann, sind bis heute nicht identifiziert. „Unbekannt“, steht auf dem Gedenkstein. Das ist das größte Rätsel um den Absturz.
Das Rätsel der drei Toten
Der Döbelner Museologe Peter Ertel hat Konrad Kujau noch selbst kennengelernt, vier Jahre vor dessen Tod im Jahr 2000. Danach hat er begonnen, sich für das Unglück zu interessieren. Der 65-Jährige hat Zeitzeugen befragt und Angehörige der Toten ausfindig gemacht. Er hat sich durch Archive gewühlt und durch den Waldboden an der Absturzstelle - wie unzählige andere Militaria-Sammler. In seinem Büro bewahrt er hinter Glas die Fundstücke, verrostet und zersetzt: Kopfhörer des Funkers. Ein Taschenmesser. Scherben. Den Überrest der Erkennungsmarke eines SS-Mannes.
Aber wer die drei Toten waren, auch Ertel weiß das bis heute nicht. „Das ist die Frage, die mich am meisten beschäftigt.“ Gewiss, sagt er, es gebe verschiedene Hypothesen, aber er wolle da nicht spekulieren. Nein, Peter Ertel will nicht zu viel verraten. Schließlich will er noch ein Buch schreiben über die ganze Geschichte. Voraussichtlich im Herbst soll es erscheinen.
Für viele in Börnersdorf aber ist das Rätsel um die unbekannten Toten schon längst gelöst, zum Teil jedenfalls. Auch für Helfried Leuteritz. Seit Jahrzehnten hält sich in Börnersdorf hartnäckig das Gerücht, Adolf Hitler und Eva Braun seien an Bord gewesen und ums Leben gekommen. „Die waren beide drin“, sagt Leuteritz voller Überzeugung. Bewiesen sei das natürlich nicht, aber zu DDR-Zeiten sei auf dem Friedhof schließlich heimlich gegraben worden. „Als der Pfarrer das mal mitbekommen hat, nachts, da hat die Stasi ihn wieder weggeschickt.“
Börnersdorf, erzählt Peter Ertel, trage in der Gegend bis heute einen Beinamen: Hitlers Ruhe.

