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Sangerhausen Sangerhausen: Neue Dimension des Gaffens

Von FRANK SCHEDWILL 31.08.2009, 17:41

SANGERHAUSEN/HALLE/MZ. - Er war am Wochenende Einsatzleiter bei dem Brand in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz), bei dem zwei Kinder im Alter von vier und neun Jahren starben. Etliche Gaffer hätten sich am Unglücksort versammelt, das Feuer mit ihren Handys gefilmt, sagt er. Zudem hätten sie erst für die Einsatzkräfte keinen Platz machen wollen. Die Polizei musste 20 zusätzliche Beamte holen. "Sie haben 78 Platzverweise ausgesprochen", sagte Ulrike Diener, Sprecherin der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd. Ob dies für die Gaffer Folgen haben werde, wird laut Diener noch geprüft.

Hohe Strafen möglich

Grundsätzlich, heißt es im Innenministerium, kann mit bis zu 25 000 Euro Bußgeld bestraft werden, wer Einsätze behindere und den Anordnungen vor Ort nicht Folge leiste. Im Ernstfall kann es sogar strafrechtlich relevant werden - wenn sich nachweisen lässt, dass eine solche Behinderung Folgen für den Verunglückten hatte. "Das kommt auf den Einzelfall an", sagt Halles Staatsanwaltschafts-Sprecher Klaus Wiechmann. "In erster Linie ist es aber eine moralische Frage."

In Sangerhausen wären die Kinder laut Schönherr auch ohne Schaulustige nicht zu retten gewesen. Dennoch: Gaffer sind für Einsatzkräfte immer wieder ein Problem. Notärzte beklagen dies seit Jahren. Jeder fünfte Einsatz werde so verzögert, ergaben Studien. Und auch die Feuerwehren können ein Lied davon singen. "Viele verstellen uns die Zufahrtswege oder versuchen, in den Gefahrenbereich hineinzukommen", sagt Sven Bergmann von der Freiwilligen Feuerwehr Weißenfels (Burgenlandkreis). Bei einem Großbrand in der Innenstadt sei das jüngst passiert. Zum letzten Mittel - Platzverweise durch die Polizei - musste Roland Schneider, Leiter der Berufsfeuerwehr Dessau, noch nicht oft greifen. Meistens reiche es, lauter zu werden und "Katastrophentouristen" direkt anzusprechen.

Unverhohlen, ohne Hemmung

Das Gaffen an sich sei kein neues Phänomen, sagt Professor Wolf Dombrowsky, Direktor der Katastrophenforschungsstelle an der Universität in Kiel. "Die Menschen schauen aus Neugier." Das allein habe sich in der Evolution sogar als Vorteil erwiesen. Die Kultur des "Drauf- und Hinguckens" habe sich aber verändert. "Es wird unverhohlener, ohne Hemmungen und Distanz geguckt", sagt der Soziologe. Dazu kämen neue technische Möglichkeiten wie Handykameras. Nur Minuten nach Unglücken tauchen Videos im Internet auf. Oder Gaffer verkaufen ihr Material an Medien. "Alles ist Geld wert, wenn man nur schnell genug ist", so Dombrowsky. Einerseits seien "Bürgerreporter" eine großartige Sache, andererseits würden sie aber auch Verhalten verändern. "Damit muss man vernünftig umgehen", forderte er.

Feuerwehren müssten sich auf neue Strategien im Umgang mit Schaulustigen einstellen, so Dombrowsky. Man könne sie in das Geschehen einbinden. Ihnen Absperrband in die Hand drücken und sie auffordern, das Gelände abzusichern. "Das funktioniert, die Menschen sind erpicht darauf mitzuwirken."