Was ist eine angemessene Wohnung? Rechtsstreit um Wohnkosten mit Jobcenter Salzlandkreis: Urteil des Bundessozialgerichts ist Erfolg für Langzeitarbeitslose

Bernburg - Wie viel darf die Wohnung eines Hartz-IV-Empfängers kosten?
Dazu gab es am Mittwoch in Kassel ein politisches Grundsatzurteil: Das Bundessozialgericht (BSG) hat das bisherige Vorgehen der Jobcenter bei der Bemessung der Höchstmiete für die Wohnung eines Langzeitarbeitslosen für unrechtmäßig erklärt. Geklagt hatten Langzeitarbeitslose aus dem Harz, dem Salzlandkreis und der Börde.
Ihre Wohnungen hatten die Jobcenter für zu teuer befunden. Die Betroffenen mussten folglich einen Teil ihrer Miete über Jahre hinweg aus ihren knappen Bezügen begleichen oder in eine günstigere Wohnung ziehen.
Jobcenter hatten Wohnungen der Kläger als zu teuer bewertet
Sie sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs: Bundesweit ruhen Zehntausende Verfahren. Denn die Anwälte hatten auf ein wegweisendes Urteil in dritter Instanz gewartet. „Das Urteil ist ein großer Erfolg“, sagte Anwalt Nico Sauer. Er vertritt Kläger aus dem Salzlandkreis in über 1.200 Fällen.
Hintergrund: Die Landkreise hatten eine Hamburger Firma beauftragt, eine Durchschnittsmiete für Wohnungen des unteren Standards innerhalb eines Landkreises zu errechnen. Die galt bisher als Maßstab zur Beurteilung, ob die Miete eines Hartz-IV-Empfängers angemessen ist.
Jobcenter Salzlandkreis hält maximal 264 Euro Kaltmiete angemessen
Dieser Durchschnittswert lag jedoch deutlich unter den Höchstsätzen des Bundessozialgerichts. So hält das Jobcenter des Salzlandkreises eine Kaltmiete von maximal 264 Euro für angemessen. Das BSG hatte eine Schmerzgrenze von 415 Euro angesetzt, den Landkreisen aber die Freiheit eingeräumt, nach Vorlage eines schlüssigen Konzeptes einen anderen Betrag festzulegen.
„In Aschersleben gibt es in vielen Gebieten einfach kaum bezahlbare Wohnungen. Betroffene werden in die sozialen Brennpunkte verbannt“, so Sauer.
Richter in Kassel fordern Neubewertung der aktuellen Praixs
Wie die angemessenen Wohnkosten ermittelt werden sollen, beantwortet das Gericht allerdings nicht. Es ordnete lediglich eine Überprüfung des bisherigen Konzeptes durch die Jobcenter an.
Hauptkritikpunkt ist die Größe der Region, innerhalb der eine Vergleichsmiete erhoben wird. Bisher war den Betroffenen zugemutet worden, innerhalb des gesamten Landkreises umzuziehen, um die Wohnkosten zu senken. „Wir müssen das im Sinne der Betroffenen nun in Ordnung bringen“, sagte Anwalt Jörg Neunaber, der das Jobcenter Salzlandkreis in der Verhandlung vertrat.
„Wir wollen es einfach richtig machen“, sagte der Anwalt vom Jobcenter
Er betonte, es gehe dem Jobcenter nicht vordergründig darum, Geld zu sparen. „Wir wollen es einfach richtig machen“, sagte der Anwalt.
Welche konkreten Folgen das Urteil, das nur für Flächenlandkreise gilt, haben wird, lässt sich erst nach Veröffentlichung der vollständigen Urteilsbegründung sagen. Anwalt Nico Sauer zeigte sich jedoch zuversichtlich: „Ich vermute, dass die ersten Mandanten in einem Jahr mit Rückzahlungen rechnen können.“
Anwalt rechnet in einem Jahr mit Miet-Rückzahlungen
Er glaubt nicht daran, dass die Jobcenter ein schlüssiges Konzept vorlegen werden. Sauer plädiert dafür, die Höchstmiete des Bundessozialgerichts als Maßstab zu übernehmen.
Der Streit um angemessene Wohnkosten ist ein bundesweites Thema: Laut einer Statistik der Agentur für Arbeit von 2018 gab es in Deutschland zu diesem Zeitpunkt allein 22.000 Widersprüche gegen Bescheide zur Wohn- und Heizkostenübernahme.
Die Zahl der Betroffenen, die keinen Widerspruch eingelegt haben, dürfte indes weit höher sein. Zum Vergleich: Zu der kürzlich vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelten Frage nach der Rechtmäßigkeit von Sanktionen lagen bis dato lediglich rund 8 000 Widersprüche vor. „Unsere wissenschaftlichen Mitarbeiter beschäftigen sich seit Monaten mit keinem anderen Thema“, sagte der Vorsitzende Richter in Kassel. (mz)