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Ringheiligtum in Pömmelte Pömmelte: Rätsel aus der Steinzeit im Salzlandkreis

Von Günter Kowa 06.07.2016, 16:26
Die Kreisgraben-Anlage von Pömmelte im Salzlandkreis
Die Kreisgraben-Anlage von Pömmelte im Salzlandkreis Jens Wolf/dpa

Pömmelte - Noch braucht man den sechsten Sinn oder ein topaktuelles Navi, um den frisch asphaltierten Feldweg zu finden, der im Ortsteil Zackmünde von Pömmelte nicht nur zum „Flugplatz“, sondern auch zum „Ringheiligtum“ führt.

Aber die Schilder sind offenbar in Arbeit, die künftig von der Autobahn über „Himmelswege“-Routen zum „Stonehenge von Sachsen-Anhalt“ führen.

Das ist ein kühner Vergleich, marketingtauglich für die mit zwei Millionen Euro rekonstruierte Kreisgrabenanlage aus dem Übergang von der Stein- zur Bronzezeit. Aber auch für die Archäologen steckt Stonehenge in Pömmelte oder umgekehrt.

Hinter dem Palisadenring merkt man rasch, dass die Anlage ein viel komplexeres Gebilde ist als das 2 000 Jahre ältere Rondell von Goseck, das ebenfalls auf der Basis der Befunde – das heißt der sichtbar verfüllten Löcher im Boden – kulissenhaft rekonstruiert wurde.

Es ist im Grunde Architektur. Sie führt Prozessionswege durch Tore, sondert hervorgehobene Räume aus, gibt dem Innenraum Rhythmus durch die Reihung von flachgedeckten Arkaden.

Eben dieses Motiv hat Stonehenge mit seinen wuchtigen Doppelpfeilern, überbrückt mit je einem Deckstein, zu solch erdenschwerer Monumentalität gesteigert.

Noch keine populärwissenschaftliche Publikation zu Pömmelte

Daran hat sich die Rekonstruktion von Pömmelte orientiert. Aber woran auch sonst? Schließlich konnten die ergrabenen Spundlöcher für die Baumstämme zwar genau deren Anzahl, Lage und Dicke und zumindest ungefähr auch ihre Tiefe – aus der sich die Höhe schätzen lässt – ermitteln, doch wie es sozusagen eine Etage über Bodenniveau weiterging, ist archäologisch verständlicherweise nicht fassbar.

Und wie es heißt, passt der „Betriebs“-Zeitraum zwischen 2300 und 2100 vor Christus zu Stonehenge, das offenbar mitteleuropäische Vorbilder aufnahm und weiterführte.

Hypothetisch ist natürlich auch die bildhauerisch-ornamentale Bearbeitung der Hölzer, die die kultische Anmutung des „Heiligtums“ mit geheimnisvollen Zeichen und Motiven anreichert. Kreuze, Bänder und Zickzacklinien sind weiß abgesetzt von erdigem Rot.

Die Rekonstruktion orientiert sich dabei an der Keramik der zeitgleichen Glockenbecherkultur, bereichert um Pfeil, Bogen, Dolch, nach den prestigeträchtigen Beigaben von „Krieger“-Gräbern der Zeit.

Noch gibt es keine populärwissenschaftliche Publikation zu Pömmelte und auch die geplante Dauerausstellung im Schönebecker Museum ist noch im Aufbau.

Aber Ausgräber André Spatzier und sein Mentor, der hallesche Archäologe Francois Bertemes, sparen wie auch Landesarchäologe Harald Meller, nicht an Superlativen, wie man im Zentrum des „Ringheiligtums“ in Beton gemeißelt auf einer der kreisrunden Platten lesen kann: „Ein Sinnbild von höchster Tragweite ... eine universale Allegorie ... ein Schlüsselsymbol.“

Zur kosmischen Dimension trägt die an Kreisgrabenanlagen beobachtete kalendarische Ausrichtung der Tore oder Durchblicke nach Sonnenständen bei. Himmelskunde scheint über Jahrtausende hinweg ein Thema gewesen zu sein: Die Gosecker Tore waren auf die Sommer- und Wintersonnwende ausgerichtet, und mit Pömmelte tritt man in die Ära der „Himmelsscheibe von Nebra“ ein.

Das war ja auch der Anstoß für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, von 2005-2008 Forschungsgrabungen an den aus Luftbildern bekannten astro-kultischen Anlagen in der „Mikroregion“ der Himmelsscheibe zu finanzieren.

Auch Pömmeltes Astronomie, wie der verlässlich zu Rate gezogene Bochumer Archäo-Astronom Wolfhard Schlosser ermittelte, erweist sich als präzise, wenn auch komplizierter als in Goseck: Die kalendarisch signifikanten Richtungen sind die „Mittvierteljahresfeste“, die in christlicher Entsprechung Mariä Lichtmess (2. Februar), Maifeiertag und Allerheiligen heißen, nebst dem bei uns „namenlosen“ Termin Anfang August. Die Erinnerung an die Toten spielt eine große Rolle, denn im Graben fand man 29 schachtartige Gruben, die einerseits Tierknochen- und andere Reste offenbar von Festmahlen enthielten, andererseits je zwei Kinder- und Frauenskelette von äußerst gruseligem Befund.

Die Schädel waren eingeschlagen, die Extremitäten fehlten; außerdem fand man drei vom Rumpf getrennte Schädel.

Dass sie so anders und an anderer Stelle bestattet waren als die ebenfalls gefundenen vollständigen Begräbnisse, war Anlass zu boulevardtauglichen Spekulationen über Menschenopfer (oder vornehmer ausgedrückt „rituellen Tötungen“) im Verlauf von Kultfesten.

Vieles deutet auf Ahnenkult

in Pömmelte hin

„Das Thema Menschenopfer teilt die Archäologen in etwa gleich große Lager“, wie der Tübinger Paläoarchäologe Jörg Petrasch sagt.

Wenn eine zeitlich entlegene Kultur fremdartig erscheint, muss das nicht heißen, dass sie uns befremdende Dinge tat. So ist aus der Kulturanthropologie der Begriff des „schlimmen Todes“ geläufig – und das betrifft zum Beispiel die Opfer von Gewalt, also gestorben zur Unzeit und außerhalb des Gewohnten: Als bedrohlich angesehen, werden sie abseits der Gemeinschaft beerdigt.

Nicht selten betrifft das Frauen und Kinder: Kinder, die früh, Frauen, die im Kindbett sterben. Die Gründe für die Gewaltspuren an den Knochen in Pömmelte sind ja nicht wirklich zu ermitteln, aber die Ausgrabung hat einen Hinweis geliefert: Mehr als 50 offenbar am Palisadenzaun abgeprallte Speerspitzen, die an einen Überfall, wenn nicht „Krieg“ denken lassen.

Bertemes selbst hat die Kriterien formuliert, die in der Diskussion um die Deutung der Kreisgrabenanlagen die Richtung vorgeben: Ringe, Pfosten, Palisaden, Gruben und Gräben trennen einen „heiligen“ Ort von der „profanen“ Außenwelt ab, scheiden Ordnung vom Chaos, Gemeinschaft von Anarchie.

In Pömmelte deutet vieles auf einen Ahnenkult, auch die begrabenen Schädel könnten damit zu tun haben. Vielleicht sind die „schlimmen Toten“ aus dem heiligen Kosmos der Lebenden herausgehalten, gebannt worden: Ihnen stand ein reguläres Begräbnis nicht zu. (mz)