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Heimat aus Stahl Heimat aus Stahl: Neues Leben für die Eisenbahnbrücke von Barby?

Von Alexander Schierholz 02.04.2019, 10:00
Fast 5 000 Tonnen Stahl schieben sich 757 Meter über Fluss und Auenwiesen - die alte Elbbrücke in Barby. Derzeit wird sie nur von Spaziergängern und Radfahrern genutzt.
Fast 5 000 Tonnen Stahl schieben sich 757 Meter über Fluss und Auenwiesen - die alte Elbbrücke in Barby. Derzeit wird sie nur von Spaziergängern und Radfahrern genutzt. Andreas Stedtler

Barby - Italien - für einen Jugendlichen in der DDR Anfang der 1970er Jahre war das unendlich weit weg. Dennoch bekam Jürgen Krebs damals jeden Tag ein Stück Italien zu sehen. Er musste nur aus dem Fenster schauen in seiner Schule in Barby an der Elbe. Von Zimmer 23 aus, zweites Obergeschoss, fiel der Blick auf die Bahnlinie.

Und einmal täglich, während der Unterrichtszeit, auf den D-Zug Frankfurt (Main)-Berlin mit Kurswagen aus Rom. „Den konnte man immer genau an der Farbe erkennen“, erinnert sich Krebs. „Die italienischen Waggons waren damals grau, alle anderen im Zug grün.“ Ein Zug als Fenster in die Welt.

Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 war noch im Gang, da wurden in Berlin erste Pläne für eine neue Eisenbahnstrecke ersonnen - quer durchs Land bis zur französischen Grenze. So entstand die heute Kanonenbahn genannte Eisenbahnstrecke von Berlin über Barby, Sangerhausen und Koblenz bis nach Metz. Die französische Stadt gehörte damals vorübergehend zu Deutschland.

Geplant und gebaut wurde die Kanonenbahn vor allem aus militärstrategischen Gründen. Deutschland wollte eine direkte Verbindung in den Westen des Reiches für schnelle Transporte von Truppen und Kriegsgerät. Frankreich galt damals noch als der „Erbfeind“.

Für den zivilen Eisenbahnverkehr hatte die mehr als 800 Kilometer lange Strecke allenfalls lokal auf bestimmten Abschnitten Bedeutung. Überregional spielte die Verbindung kaum eine Rolle, weil sie wegen ihrer direkten Linienführung an den großen Ballungszentren vorbeiführte. Heute ist die Strecke nicht mehr durchgängig in Betrieb.

Wird Teil der ehemaligen „Kanonenbahn“ reaktiviert?

Lange her. Krebs war damals 14 oder 15, heute ist er 63. D-Züge heißen längst IC oder ICE. Kurswagen gibt es kaum noch. Und nach Barby, 4.000 Einwohner, fahren nur noch ein paar Güterzüge, zur Weizenstärkefabrik. Richtung Berlin, über die Elbe, sind die Gleise abgebaut.

Gut möglich, dass hier in ein paar Jahren trotzdem wieder Züge rollen. Die Stadt Barby und der Salzlandkreis wollen, dass die 2004 stillgelegte Strecke, ein Teil der ehemaligen „Kanonenbahn“ (siehe „Die Kanonenbahn...“), reaktiviert wird.

Es wären nur 15 Kilometer, von der Hauptstrecke Halle-Magdeburg via Barby über die Elbe nach Güterglück an der Hauptstrecke Magdeburg-Dessau.

Jürgen Krebs setzt sich für „Kanonenbahn“ ein

Die treibende Kraft hinter der Initiative: Jürgen Krebs, in Barby geboren und aufgewachsen. Ein freundlicher älterer Herr, weißes Haar, weißer Schnauzer, verschmitztes Lachen. Krebs ist Verkehrsingenieur und Eisenbahner im Ruhestand und einer, bei dem sich immer noch alles um die Eisenbahn dreht.

Fragt man ihn, wann das ungefähr war mit dem italienischen Waggon, antwortet er: „Da müsste ich im Fahrplan nachschauen.“ Zu Hause hat er ein Archiv voller Kursbücher, zum Gespräch im Barbyer Rathaus bringt er einen Ordner mit Material zur Barbyer Elbbrücke mit - einer von mehreren. Krebs schreibt auch Bücher und betreibt Webseiten rund um die Eisenbahn.

Strecke über Barby könnte Elbbrücke Magdeburg entlasten

Sachsen-Anhalt will eine Reaktivierung der Strecke prüfen lassen, so steht es im Nahverkehrsplan des Landes. „Der Salzlandkreis und die Stadt Barby rennen bei uns offene Türen ein“, sagt Peter Panitz, Prokurist der Landesnahverkehrsgesellschaft Nasa.

Die Strecke via Barby könne die Elbbrücke in Magdeburg entlasten. Sie ist derzeit die einzige Querung des Flusses in der näheren Umgebung und laut Nasa wegen des wachsenden Güterverkehrs überlastet.

Reaktivierung der Strecke - in Barby heißt das immer auch: Reaktivierung der alten Elbbrücke. Sie ist ebenso stillgelegt wie die Bahnlinie, nur Radfahrer und Fußgänger können sie nutzen, auf einem schmalen Weg am Brückenrand. Ein Koloss: 757 Meter über Fluss und Auenwiesen.

Brücke ist für Barby wie der Eiffelturm für Paris

Fast 5 000 Tonnen in Stahl in Fachwerkbauweise, mehrfach erneuert. Für Außenstehende bloß eine stillgelegte Eisenbahn-Überführung, für viele Barbyer Lebensader und Heimat. „Barby ohne Brücke“, sagen sie hier, „das ist wie Paris ohne Eiffelturm.“

Jürgen Krebs ist schon als kleiner Knirps mit dem Fahrrad zur Brücke gekurvt, um Züge und Schiffe zu bestaunen. Heute kennt er jeden Niet an dem Bauwerk. Jedes Jahr im September feiern sie ein Brückenfest, und im Sommer bevölkern Ausflügler auf dem Weg in die Auenwälder die Brücke. „Dann geht es zu wie auf dem Boulevard“, sagt Bürgermeister Torsten Reinharz.

Und dann sind da noch die Touristen. Barby liegt am Saaleradweg, die Brücke bietet eine Verbindung zum Elberadweg. Vor allem, wenn die Elbfähre, wenige hundert Meter flussaufwärts, wegen Hoch- oder Niedrigwassers pausiert. Am Fuß der Brücke, auf Barbyer Seite, weist eine grüne Tafel Radler auf mehrere Unterkünfte hin. „Wir leben hier vom Fahrradtourismus, die Zahl der Gäste steigt“, sagt Reinharz, 56, seit 2017 im Amt. Daher sei die Brücke extrem wichtig.

Wie geht es mit Barbys Eisenbahnbrücke weiter?

Doch deren Zukunft scheint unsicher. Vor fünf Jahren hatte die Sire AG, ein Unternehmen aus Sachsen, die stillgelegte Strecke von der Deutschen Bahn AG gekauft. Geplant war ein Radweg auf der alten Bahntrasse. In Barby ging damals die Angst vor einem Abriss der Brücke um. Doch passiert ist nichts. Das Radweg-Projekt sei geplatzt, heißt es von der Firma.

Der Grund: Man habe einen weiteren Abschnitt der stillgelegten Strecke in Brandenburg nicht kaufen können. Wie es jetzt weitergeht? Kommt darauf an, wen man fragt: Der Salzlandkreis und die Stadt Barby sagen, die Sire AG wolle den Abschnitt von Barby bis zur Landesgrenze mit Brandenburg nun weiterverkaufen, samt der Elbbrücke. Die Sire AG bestreitet das: Man warte jetzt erst einmal ab, was die Politik in Sachen Reaktivierung entscheide.

Immer mehr stillgelegte Bahnstrecken erwachen wieder zum Leben

Es ist nicht ungewöhnlich, dass stillgelegte Bahnstrecken wieder zum Leben erweckt werden. „Seit 15 Jahren erleben wir das verstärkt“, sagt Benedikt Nyqvist vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Nach einer Übersicht des Fahrgastverbandes „Pro Bahn“ sind seit 1994 bundesweit mehr als 100 ehemalige Bahnlinien reaktiviert worden oder werden dafür vorbereitet. Kaum eine länger als 30 Kilometer, die meisten im Westen. Der VCD erklärt das mit wachsenden Bevölkerungszahlen in vielen westdeutschen Regionen.

Barby-Güterglück, das wäre die erste Wiedereröffnung einer stillgelegten Strecke in Sachsen-Anhalt, abgesehen von den durch die deutsch-deutsche Teilung unterbrochenen Verbindungen. Doch wie realistisch ist das?

Fest steht: Es wäre ein ungeheurer Aufwand. Dort, wo die Gleise nicht mehr liegen, müsste die Strecke komplett neu gebaut werden, samt eines aufwendigen Planungsverfahrens. „Das würde etliche Jahre dauern“, sagt Jürgen Krebs, der pensionierte Eisenbahn-Ingenieur. Wie er die Chancen schätzt? „50:50“, sagt er.

Bund hält sich bei Wiederaufbau der Brücke zurück

Zunächst müssten sich das Land und der Bund allerdings einigen, wer für den Wiederaufbau zuständig wäre. Doch der Bund hält sich zurück: Eine Reaktivierung ist laut Bundesverkehrsministerium bisher nicht untersucht worden.

Immerhin: Im Entwurf des „Deutschland-Takts“ für 2030, eine Art Taktfahrplan für die gesamte Bundesrepublik, ist die Strecke enthalten; der Regionalexpress Magdeburg-Dessau soll demnach künftig über Barby fahren. Der VCD wertet das als Indiz für eine Wiedereröffnung.

Jürgen Krebs ist derweil mit Bürgermeister Reinharz die Stufen zur Brücke emporgestiegen. Er steht dort, wo einst die Gleise lagen und lässt seinen Blick über die Elbauen schweifen. Vielleicht stellt er sich vor, wie wieder Züge über die Stahlkonstruktion donnern. Die Brücke nennt er eine Landmarke. „Barby ohne Brücke, das kann ich mir gar nicht vorstellen.“ (mz)

Wollen die Reaktivierung: Torsten Reinharz (l.) und Jürgen Krebs.
Wollen die Reaktivierung: Torsten Reinharz (l.) und Jürgen Krebs.
Andreas Stedtler