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Gnadenhochzeit Gertrud und Siegfried Hallmann sind seit 70 Jahren verheiratet: Paar feiert Gnadenhochzeit in Hecklingen Salzlandkreis

Von Detlef Anders 30.09.2020, 13:56
Gertrud und Siegfried Hallmann lernten sich 1945 kennen und lieben.
Gertrud und Siegfried Hallmann lernten sich 1945 kennen und lieben. Detlef Anders

Hecklingen - Tanzen war ihre große Leidenschaft. Nicht wie heute, ein bisschen den Hintern und die Hüfte bewegen und sich nicht berühren. Nein, Gertrud und Siegfried Hallmann waren Könner in der klassischen Tanzszene des Salzlandkreises und weiter bis Magdeburg. Sie waren Turniertänzer. Walzer, Tango, die Standardtänze. „Das hat bis in die hohen Jahre angehalten. Das ist Sport“, betont Siegfried Hallmann.

In der vergangenen Woche feierte das Paar aus Hecklingen, das einen Sohn (55) hat, den seltenen 70. Hochzeitstag, die Gnadenhochzeit. Landrat Markus Bauer (SPD) gratulierte persönlich und staunte über das rüstige Paar. Gertrud Hallmann wurde gerade 90 Jahre alt, ihr Mann Siegfried ist 92.

Gertrud Hallmann wurde gerade 90 Jahre alt, ihr Mann Siegfried ist 92

Kennengelernt haben sich Gertrud und Siegfried Hallmann beim Tanzen. „Zu ihrem 16. Geburtstag stand ich wie es sich gehörte mit einem großen Strauß Rosen vor ihrer Tür“, erinnert sich Hallmann. Die Liebe, das Vertrauen, hielten ein Leben lang. Und sie ist ihnen noch heute anzusehen. „Wir waren immer füreinander da.“

Auch wenn Siegfried Hallmann sagt, dass das Leben es gut gemeint und sie viel Glück hatten, von Krieg und Krankheit blieben sie nicht verschont. Hallmann war schon mit zwei Jahren Halbwaise geworden, weil der Vater bei einem Unfall verstarb.

Die Mutter zog den Jungen und die Schwester allein in Hecklingen groß. Siegfried Hallmann begann 1942 eine Ausbildung zum Kaufmannsgehilfen auf dem Rittergut. „Am 31. Juli 1944 war die vorzeitige Prüfung. Am 1. August kam der Einberufungsbefehl - zur Flak. Da sollte ich noch Deutschland retten.“

Im Alter von 16 Jahren wurde Siegfried Hallmann zur Wehrmacht einberufen

Als 16-Jähriger lernte er in Ilberstedt, an der Luftkriegsschule in Dresden und kam zu einer Großkampfbatterie nach Leipzig. Mit 16 und 17 Jahren seien sie von der Wehrmacht übernommen worden, damit sie eingesetzt werden konnten, schildert er.

Auf der Insel Fehmarn geriet er in Kriegsgefangenschaft und hatte Glück, dass die Jugendlichen schnell entlassen wurden. Allerdings nicht in die sowjetische Besatzungszone. Er arbeitete bei VW. Erst Ende 1945 kehrte er heim.

In den Kriegswirren war Gertrud Hallmann, damals 14, vor der Roten Armee geflüchtet. Sie hatten 15 Kilometer östlich von Guben gewohnt und kamen in Hecklingen unter. Die Tante lebte schon hier und sie blieben.

Ein Jahr später bauten die Flüchtlinge ihren eigenen Arbeitsplatz auf. Sie gründeten eine Täschnerei-Genossenschaft, die später als Meisterbetrieb zum VEB Lederwaren Calbe kam. Bis zum Ende der DDR arbeitete sie in der Näherei.

Flüchtlinge in Hecklingen gründeten eine Täschnerei-Genossenschaft

Siegfried Hallmann ging nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft zur Sparkasse. In den 1950er Jahren begann er bei der Handelsorganisation, machte zwei Jahre in Magdeburg das Abitur nach und studierte ab 1956 in Leipzig.

„Da waren wir schon sechs Jahre verheiratet“, weist er auf die Belastung für seine Frau hin. „Am Sonntag waren im Koffer statt Kleidung Kohlen und im Beutel Brennholz, damit ich meine Studentenbude warm kriegte.“ Um ihn mit durchzubringen, nahmen Frau und Schwiegermutter Acker.

Mit 32 war er mit dem Studium fertig und schaffte es auch ohne SED-Parteibuch - er war in der Bauernpartei - in die Führungsebene. Hallmann wurde zentraler Handelsleiter, stellvertretender HO-Direktor und 1978 Chef der 1.000 HO-Mitarbeiter in Gaststätten, Industriewaren und Lebensmittel-Handel im Kreis Staßfurt.

Hallmann erinnert sich an schlechten Erfahrungen mit der Treuhand

Nach der Wende schloss er für den Kreisbetrieb, der als sanierungsfähig eingestuft war, einen Joint-Venture-Vertrag mit dem Eigentümer der V-Markt-Kette aus Lehrte ab, der ihm als der ehrlichste Kaufmann unter den Interessenten erschien.

Über seine schlechten Erfahrungen mit der Treuhand könnte er als Zeitzeuge viel erzählen. Doch er winkt ab und sagt nur, der zuständige Mann, der sich für seine Machenschaften unter anderem einen Porsche schenken ließ, sei letztlich bei der Flucht in die Schweiz verhaftet worden.

Für Hallmann war die Treuhand der Anlass, zum 31. Dezember 1990 sein Berufsleben zu beenden. „Die Treuhand ist der Grund, dass die West- und Ostdeutschen bis heute nicht zusammenkommen.“ Die Ellenbogen seien den Ostdeutschen von Natur aus nicht gegeben, resümiert er.

Das Ehepaar war früher viel unterwegs. „Wir waren Dauercamper in Brandenburg.“ Sie handarbeitete gern, er las, machte Holzarbeiten und sitzt heute gern am Computer. Fit gehalten hat sich Siegfried Hallmann als HO-Chef, als er trotz Dienstwagens jeden Tag sechs Kilometer zur Arbeit nach Staßfurt und zurück marschierte.

Später beim Joggen und Nordic Walking. Für die Zukunft wünschen sich die Rentner, dass Corona zu Ende geht, dass sich die Welt ein bisschen verändert und sie gesund bleiben. (mz)