Bäckerei Hülße in Alsleben Bäckerei Hülße in Alsleben: Rezepte mit Tradition seit 1924

Alsleben - Durch verwinkelte Gassen der kleinen Alslebener Innenstadt bahnt man sich den Weg zur Bäckerei Hülße, die schon seit mehr als 100 Jahren in der Grabenstraße 2 ansässig ist. Die Kundschaft geht über einen Jahrzehnte alten Terrazzo-Fußboden zum Verkaufstresen. Die Türklinke bewegt sich fast im Sekundentakt, obwohl es nur ein normaler Nachmittag mitten in der Woche ist.
Samstags stehen Ehemänner Schlange
„Freitags ist es sogar noch einen Zacken schärfer, als an normalen Werktagen. Am Samstag läuft das Geschäft am besten. Bis um 10 Uhr gibt es heiße Brötchen. Da stehen die Ehemänner Schlange, um ihre Frauen mit frischem Gebäck zu verwöhnen“, erzählt Kerstin Hülße, Ehefrau des derzeitigen Chefs Bernd Hülße.
Bereits in der dritten Generation erfüllt dieser Familienbetrieb die Wünsche der Alslebener und den Menschen aus der unmittelbaren Region. Am 1. April 1924 übernahm Karl Hülße die Bäckerei von dem vorherigen Besitzer, an dessen Namen sich jedoch auch der 77-jährige Gerhard Hülße nicht mehr erinnern kann. „Mein Vater kam aus der Merseburger Ecke, zog von Milzau bei Bad Lauchstädt nach Alsleben. Er hatte keinen leichten Start“, berichtet der rüstige Pensionär.
Bäckerei überstand Inflation und Zweiten Weltkrieg
Die Inflation sowie die Weltwirtschaftskrise gingen auch an diesem kleinen Unternehmen nicht spurlos vorbei. Jedoch umschiffte Karl Hülße diese tückischen Klippen mit Erfolg und überstand auch den zweiten Weltkrieg, in dem die Familie einen tragischen Verlust beklagen musste. Obwohl er noch keine 18 Jahre alt war, wurde Paul Hülße ein halbes Jahr vor der Kapitulation Hitlerdeutschlands eingezogen und kehrte nicht mehr nach Hause zurück.
Sein Vater wollte jedoch, dass der Familienbetrieb weiter geführt wird. Als Nachfolger blieb nur noch der damals knapp sechs Jahre alte kleine Gerhard übrig. „Ich wollte eigentlich gar kein Bäcker werden, aber mir blieb gar keine Wahl. Das hat mir mein Vater unmissverständlich klar gemacht. Eine Diskussion war zwecklos. Bei meiner Mutti, die etwas weicher war, hätte ich mein Anliegen wahrscheinlich durchgesetzt“, erinnert sich der Alslebener an seine Kindheitszeit zurück.
Mit 14 Jahren begann die Lehrzeit bei seinem Vater, die alles andere als einfach war. Da fiel zum Feierabend um 18 Uhr häufig noch lange nicht der Hammer. Es folgten ab 1957 drei Jahre Gesellenzeit. Zwischen 1960 und 1962 besuchte Gerhard Hülße die Meisterschule, die er erfolgreich abschloss.
Gerhard Hülße führte 44 Jahre das Geschäft
Vom 1. Juli 1962 bis 31. Dezember 2006 führte Gerhard Hülße das Geschäft, zunächst gemeinsam mit seiner Schwester Lisa, die jedoch verstarb. Acht Jahre später stand der Bäcker-Meister plötzlich ganz allein da, lernte aber dann seine Frau Inge aus der Lutherstadt Wittenberg kennen. „Das war ein Segen für das Geschäft und mich. Inge stammt auch aus einer Bäckerfamilie. Da musste ich gar nichts sagen. Sie wusste sofort, wie alles funktioniert“, so Gerhard Hülße, dessen Geschäft in den 60er und 70er Jahren florierte.
Das Brot kostete nur 93, ein Brötchen nur fünf Pfennig. Nicht nur wegen des eigenen Verbrauchs war die Nachfrage in der ländlichen Region riesig. Viele Bauern aus dem Umland verfütterten Brot und Brötchen an ihre Schweine, Hühner und Enten.
Doch die Zeiten sind längst vorbei. Schon kurz vor der Wende war die Bäckerei „Hülße“ die einzige im Ort. „Seit dem sind wir die letzten Mohikaner unserer Zunft“, erklärt Gerhard Hülße. Der Konkurrenzdruck durch die Discounter wird jedoch immer größer. „Ohne hauseigenen Kuchen und Gebäck hat das Leben keinen Zweck. Wir setzen noch heute auf Omas alte Rezepte und die pure Natur“, erläutert Gerhard Hülße das Erfolgsrezept, das auch von seinem Sohn Bernd als Nachfolger umgesetzt wird, der bei der Berufswahl auch keine Alternative hatte.
Konkurrenz durch die Discounter
„Ihm ging es so ähnlich wie mir fast 50 Jahre zuvor. Aber er hatte das gleiche Glück wie ich und eine Frau gefunden, die voll mitzieht. Darauf bin ich stolz.“ Vater und Sohn verfolgen mit dem Tontaubenschießen auch das gleiche Hobby und fahren fast jedes Wochenende zu den Schießplätzen in Aschersleben und Sandersleben.
Die Firma hat nur fünf Angestellte. Neben dem Ehepaar Hülße gehören Christel Heide, Kai Eckersdorfer und Ronny Scholz zum Team. „Christel unterstützt mich im Verkauf. Kai und Ronny sind hinten in der Bäckerei die rechten Hände von meinem Mann“, erzählt Kerstin Hülße, die auch dank des großen Parkplatzes in unmittelbarer Nähe Kunden aus Köthen, Bernburg oder Gerbstedt in ihrem Laden begrüßen.
Viele Stammkunden halten die Treue
Bereits jahrzehntelang hält Gisela Möritz trotz der Preisdifferenz zwischen handgemachter Qualitätsware und dem Brot vom Band der Bäckerei die Treue. „Die Verkaufshits sind Windbeutel und Mohnkuchen mit Schokoladenguss“, sagt Kerstin Hülße. Trotz der sehr schwierigen Lage des Bäckerhandwerks in der heutigen Zeit und seines keineswegs einfachen Beginns bereut Gerhard Hülße keine einzige Stunde in der heißen Backstube: „Ich würde in meinem zweiten Leben auch noch einmal Bäcker werden. Es gibt doch nichts Schöneres, wenn die Kunden meine Produkte verzehren und danach immer wiederkommen.“
Wenn der Opa seinen zehnjährigen Enkel Martin von seinem Motto überzeugen kann, wird die Bäckerei „Hülße“ vielleicht sogar in der vierten Generation zu den Traditionsgeschäften in der Region gehören. (mz)
