Waldschäden im Land Waldschäden im Land : Streit zwischen Ministerin und Forstverbänden eskaliert

Halle (Saale) - Waldspaziergang im Sonnenschein: Mit Stockbrot, Gesang und Spielen haben am Donnerstag 120 Kinder in Wernigerode den „Tag des Waldes“ gefeiert. Symbolisch pflanzen sie auf dem Harzer Armeleuteberg eine Flatterulme - der Baum des Jahres 2019.
Für den guten Zweck überreicht Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) als Aufsichtsratschef von Lotto-Toto Sachsen-Anhalt einen Scheck über 50.000 Euro für das „Waldfuchs Projekt“, das von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) betrieben wird. Nicht gekommen, ist indes seine Kabinettskollegin, Umweltministerin Claudia Dalbert (Grüne), die ebenfalls eingeladen war.
Ministerin fühlte sich von einem Film über Waldschäden verunglimpft
Der Grund: Die Kinder sind im falschen Verein. Die Ministerin hat ihrer Forstverwaltung untersagt, an Veranstaltungen der SDW teilzunehmen. Das gilt dann auch für sie. Auch das landeseigene Jugendwaldheim Drei Annen, in dem die Veranstaltung ursprünglich geplant war, durften die Kinder nicht nutzen. Den Zorn der Ministerin hatte sich der Verein mit einem Video zugezogen, das die immensen Waldschäden durch Sturm, Dürre und Käferbefallin Sachsen-Anhalt zeigt. Der Film aus dem Jahr 2018 endet mit einer Todesanzeige für den Wald und dem ironischen Verweis: „Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie.“ Dalbert sah dadurch ihr ganzes Haus verunglimpft.
Der SDW-Bann ist nur eine Episode in dem Streit zwischen der Ministerin und den Agrarverbänden. Vor allem der Waldbesitzerverband Sachsen-Anhalt, mit Franz Prinz zu Salm-Salm an der Spitze, wirft der Ministerin vor, sich unzureichend für die Forstwirtschaft und den Wald einzusetzen. Häufig wird der Konflikt als Fehde zwischen Salm-Salm und Dalbert dargestellt. Das ist auch nicht falsch. Doch es geht um mehr: Es geht um den Umgang mit Forstschäden, wie es sie seit 1947 in Sachsen-Anhalt nicht mehr gab. Und es geht um den Stellenwert der Forstwirtschaft.
Zahl der Mitarbeiter im Landeszentrum Wald hat sich seit 2006 beinahe halbiert
Claudia Dalbert übernahm im Frühjahr 2016 als Umweltministerin eine bereits kaputt gesparte und überalterte Forstverwaltung. Das Landeszentrum Wald, das unter anderem für den Privatwald und den Forstschutz zuständig ist, hatte 2006 noch 830 Mitarbeiter. 2015 waren es nur noch 462 - fast eine Halbierung.
Aktuell sind es etwas mehr als 400. Verantwortlich für den Aderlass waren Agrarminister Hermann Onko Aeikens (CDU) und Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD). Doch Salm-Salm kritisierte damals nicht etwa Parteifreund Aeikens, sondern organisierte Proteste gegen die künftige grüne Ministerin. Damit war die Atmosphäre von Beginn an vergiftet.
Eine Art Zäsur für den Wald in Sachsen-Anhalt ist der 18. Januar 2018. Über Nacht zerstörte das Orkantief „Friederike“ vor allem im Harz und der Region Dessau-Wittenberg ganze Waldstücke. Salm-Salm schätzt, dass sechs bis sieben Millionen Bäume im Land geschädigt sind. Das seien etwa vier Jahresernten. Nicht nur der Sturm, sondern auch die anschließende Dürre im Sommer 2018 und der Befall mit Borkenkäfern setzen den Wäldern zu. Salm-Salm ist mit dem Agieren der Umweltministerin höchst unzufrieden: „Die Ministerin und Teile ihrer Verwaltung schauen zu, wie immer mehr Waldbestände absterben.“
Krisenstab und zusätzliche Förderungen werden vermisst
Konkret vermisst er einen Krisenstab zur Beseitigung des Schadholzes und zusätzliche staatliche Förderungen für die Aufforstung. Der Vorsitzende des Waldbesitzerverbandes teilt dabei verbal kräftig aus. So warf er Dalbert in einem Schreiben vor, sie „wolle den Forst weiter platt machen“. Auf Protestaktionen vor dem Magdeburger Landtag trug Salm-Salm zuletzt Warnwesten im Stil der französischen Geldwesten, um gegen Dalberts Politik zu demonstrieren.
Die Ministerin bleibt äußerlich cool und spricht selbst auch von einer „massiven Schadsituation“ im Wald. Doch anstatt sich als Krisen-Managerin zu profilieren, stieß sie die Waldbesitzer vor den Kopf. Im MZ-Gespräch im September 2018 sagte sie angesprochen auf finanzielle Hilfen: „Bei mir hat sich noch kein Waldbesitzer gemeldet, der seinen Betrieb aufgeben muss.“ Damals wusste sie aber bereits, dass die Holzpreise im Keller sind und die Sägewerke teilweise gar kein Holz mehr abnehmen. Selbst der Landesforstbetrieb benötigte außerplanmäßige Überbrückungskredite, um die Situation zu meistern.
Ministerin verweist auf zusätzliche Arbeitsplätze, die unter ihr entstanden sind
Kritik bügelt die Ministerin gern mit dem Hinweis ab, dass unter ihrer Führung erstmals seit Jahren 29 zusätzliche Stellen in der Forstverwaltung geschaffen werden. Zudem seien viele Einzelmaßnahmen, wie die Anlegung von Nasslagern für Holz, ergriffen worden, um die Situation zu entspannen.
Doch reicht das aus? Michael Eggert, von der Gewerkschaft IG Bau, welche die Forstmitarbeiter vertritt, sieht die Personalsituation weiter höchst angespannt: „Der Altersdurchschnitt der 408 Mitarbeiter im Landeszentrum Wald beträgt 58 Jahre, bis Ende 2020 gehen 200 Beschäftigte in Rente.“ Waldmitarbeiter, die mitunter mehr als 30 Jahre hart gearbeitet hätten, würden nicht mehr die Leistungskraft besitzen wie jüngere Kollegen.
Stellen sind aufgrund des Fachkräftemangels schwer zu besetzen
Freiwerdende Stellen lassen sich nach Ansicht von Eggert aufgrund des Fachkräftemangels auch nicht ohne weiteres schnell wieder besetzen. „Uns fehlt Man-Power in den Regionen“, sagt Eggert.
Ein leitender Mitarbeiter aus der Forstverwaltung, der nicht mit Namen in der Zeitung stehen will, beschreibt die Situation so: „In verschiedenen Wäldern des Landes ist die Situation katastrophal. Das Wort Katastrophe spricht im Haus aber niemand aus.“ Gegen Naturgewalten wie Sturm und Dürre könne man nichts machen. „Doch einige Schäden wären vermeidbar, wenn es mehr Personal und Konzepte geben würde“, sagt der langjährige Mitarbeiter.
So müssten detaillierte Karten zum Borkenkäferbefall angelegt werden, um die Ausbreitung einzudämmen. „Dazu fehlen vielerorts die Mitarbeiter.“ Es gebe auch kein umfassendes Konzept, wie und in welchem Zeitraum die Schäden aufgearbeitet werden sollen.
Nicht nur Ministerin, auch Ministeriumsmitarbeiter seien verantwortlich
Der Mitarbeiter der Forstverwaltung macht dafür nicht nur die Ministerin, sondern auch Mitarbeiter im Ministerium verantwortlich. Seinen Namen will er in der Zeitung nicht preisgeben, „weil interne wie öffentliche Kritik unerwünscht ist“.
Dazu passt ein internes Schreiben des Ministeriums an die Mitarbeiter der Forstverwaltung, dass es zum Verbandstag des Waldbesitzerverbandes am 27.4.2019 in Dessau-Roßlau lediglich „den Direktoren beider Forstbetriebe gestattet“ ist, an der Jahreshauptversammlung teilzunehmen. „Ein dienstliches Interesse an der Teilnahme weiterer Mitarbeiter der Betriebe besteht nicht.“ Auf MZ-Nachfrage teilte das Ministerium weiter mit: „Selbstverständlich können die Mitarbeiter außerhalb ihrer Dienstzeit teilnehmen.“
Die Anweisung des Ministeriums ist rechtlich sauber, doch die Botschaft, die bei den Mitarbeitern nach deren Angaben ankommt, lautet: Haltet euch fern von Salm und Co. Der Chef des Waldbesitzerverbandes zieht daraus den Schluss: „Der Erlass des Ministeriums will diese traditionelle und gute Beziehung beenden!“
Umgang zwischen den Beteiligten wird rauer
Rückendeckung bekommt die Ministerin aus ihrer Partei. „Der Waldbesitzerverband muss endlich rauskommen aus seiner totalen Blockadehaltung gegen grüne Regierungspolitik und die Realitäten akzeptieren“, teilte Grünen-Landesvorsitzende Britta-Heide Garben mit. Die Konsequenz: Zwar betonen alle Seiten, es müsse endlich um die Sache, nämlich den Wald, gehen. Doch die Lagerbildung zwischen Forstwirtschaft auf der einen Seite und Grünen sowie Umweltschützern auf der anderen, nimmt eher zu als ab. Der Umgang wird rauer - alle Akteure agieren wie die Axt im Walde.
Treffen Ende März soll für neuen Anlauf zur Verständigung sorgen
Einen neuen Anlauf zur Verständigung soll auf einem Treffen des Landesbeirats Holz am 27. März geben. Auf diesem wird über die Zukunft des Forstes und die aktuelle Schadenssituation gesprochen. Ministerin Dalbert teilte der MZ mit: „Ich freue mich auf die Sitzung. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Holzwirtschaft zukunftsfest aufzustellen.“
Ein Beschluss konkreter Maßnahmen wird nicht erwartet. Beim Waldschutzverband SDW will man künftig in der Kommunikation jedenfalls „abrüsten“. Landesgeschäftsführer Robert Klose sagt am Donnerstag nach der Veranstaltung in Wernigerode: „Wir werden uns weiter engagiert für den Erhalt des Waldes einsetzen. Die Todesanzeige im Video würden wir so jedoch nicht mehr verbreiten.“ (mz)