Verstehen Sie, Frau Doktor? Verstehen Sie, Frau Doktor? Ausländische Ärzte werden in Sachsen-Anhalt geprüft - daran hapert es oft

Halle (Saale) - Marianna Shukatka sitzt eine Patientin gegenüber, die über starke Rückenschmerzen klagt. Unerträglich seien diese seit dem Morgen, sie strahlten sogar ins Bein aus, erzählt sie der Ärztin. Die versucht nun ihrerseits der Sache auf den Grund zu gehen: Wo genau sitzen die Schmerzen, wie stark sind sie, gibt es Taubheitsgefühle im Bein, Lähmungserscheinungen? Auch nach Vorerkrankungen fragt die 26-jährige Ukrainerin.
Es ist ein Anamnese-Gespräch, wie es tagtäglich zwischen Ärzten und Patienten geführt wird. In diesem speziellen Fall aber handelt es sich um einen wesentlichen Teil der Fachsprachenprüfung, die jeder ausländische Mediziner, der in Sachsen-Anhalt arbeiten möchte, ablegen muss. Die „Praxis“ befindet sich im Dorothea Erxleben Lernzentrum der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Und die „Patienten“ sind Schauspieler, die durch gezielte Rückfragen dafür sorgen, dass ihre Ärztin nicht nur auswendig Gelerntes von sich gibt, sondern zeigt, dass sie ihr Gegenüber auch versteht.
Wichtige Zahlen
Das Verstehen nimmt auch im weiteren Prüfungsverlauf einen großen Raum ein. Während Marianna Shukatka nun ihre Erkenntnisse aus dem Patienten-Gespräch schriftlich niederlegt, erhält sie einen Anruf aus dem „Labor“, das bestimmte Werte übermittelt. Zahlen richtig zu verstehen, das sei elementar wichtig, sagt Dr. Dietrich Stoevesandt. „Ein Zahlendreher kann in der Medizin den Unterschied zwischen einer guten Therapie und einer schweren Komplikation mit möglicherweise tödlichem Ausgang ausmachen“, unterstreicht er. Wer an den Zahlen scheitere, der könne die Prüfung nicht bestehen.
Dietrich Stoevesandt ist Oberarzt an der halleschen Universitätsklinik und Poliklinik für Radiologie sowie Leiter des Dorothea Erxleben Lernzentrums. Er hat den Sprachtest für Sachsen-Anhalt seinerzeit mit konzipiert. Heute sorgt er im Auftrag der Landesärztekammer dafür, dass die Prüfungen regelmäßig, das heißt, etwa zweimal im Monat, über die Bühne gehen können.
Mit der Abnahme der Sprachprüfung hat das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration die Landesärztekammer beauftragt.
Diese Prüfungen werden am Dorothea Erxleben Lernzentrum einer Einrichtung der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität, abgenommen. Eine solche Sprachprüfung müssen alle Ausländer ablegen, die als Arzt tätig sein wollen, also auch jene, die aus dem EU-Raum kommen.
Ausländer, die aus einem EU-Land kommen, erhalten nach bestandener Sprachprüfung eine Approbation, also eine Genehmigung, selbstständig ärztlich tätig zu sein.
Bei allen anderen wird die Gleichwertigkeit der Ausbildung geprüft. Zuständig dafür ist im Auftrag des Ministeriums das Landesverwaltungsamt Halle. Ist die Gleichwertigkeit nicht gegeben, muss eine Kenntnisprüfung abgelegt werden. Dies erfolgt an der Martin-Luther-Universität.
Das Landesverwaltungsamt erteilt Antragstellern, die nicht aus dem EU-Ausland kommen, nach Feststellung der Gleichwertigkeit beziehungsweise nach bestandener Gleichwertigkeit die Approbation.
Und er gehört auch der Prüfungskommission an. Sachsen-Anhalt sei das dritte Bundesland gewesen, dass 2015 einen solchen inzwischen bundesweit etablierten Test eingeführt hat, erzählt er. Der Grund seien Beschwerden von „richtigen“ Patienten gewesen, die sich im wahrsten Sinne des Wortes unverstanden fühlten. Rund 750 Prüfungen mit Ärzten aus etwa 70 Herkunftsländern hat es seither gegeben. Die Durchfallquote betrage etwa 35 Prozent.
Bei Marianna Shukatka läuft es an diesem Tag jedoch sehr gut. Sie kann die Prüfer, zwei gestandene Mediziner, auch im abschließenden Arzt-Arzt-Gespräch, das im wirklichen Leben etwa bei einer Dienstübergabe stattfindet, überzeugen. Am Ende nimmt sie freudestrahlend ihr Zeugnis entgegen.
Der Sprachtest ist jedoch nicht die einzige Hürde, die die junge Ärztin aus Kiew überspringen muss. Da sie nicht aus einen EU-Land kommt, prüft das dafür zuständige Landesverwaltungsamt zudem, ob ihre Ausbildung der eines deutschen Medizinstudenten gleichwertig ist. „Praktisch sieht das so aus, dass genau gezählt wird, ob der Stundenumfang in den einzelnen medizinischen Ausbildungsfächern dem hierzulande üblichen Umfang entspricht“, sagt Stoevesandt.
Es sei eine Prüfung nach Aktenlage. Stimmten die Zahlen, dann bekomme der Antragsteller die Approbation, also die Erlaubnis, eigenverantwortlich ärztlich tätig zu sein. Und zwar bundesweit. Es ist dieses formale Verfahren, dass derzeit massiv kritisiert wird. Denn was sagt eine bestimmte Stundenzahl, in der beispielsweise Innere Medizin gelehrt wurde, über die Qualität der Ausbildung aus? Was über die Kenntnisse, die der Absolvent erworben hat? „Nicht viel“, meint Stoevesandt.
Zudem sei nicht mit letzter Sicherheit zu sagen, ob es bei den vorgelegten Zeugnissen immer mit rechten Dingen zugehe. Viele der Antragsteller wüssten genau, was das Amt fordere. Es sei ihnen ein Leichtes, die entsprechenden Papiere beizubringen. In einigen Ländern ist es in bestimmten Fällen sogar möglich, Original-Urkunden zu kaufen. Das alles zu überprüfen sei schier unmöglich.
Stoevesandt: „Im Interesse der Patientensicherheit eine sinnvolle Forderung“
Papier ist geduldig. Nicht zuletzt deshalb fordern die Ärztevertretungen, dass jeder Mediziner, der nicht aus der EU kommt und in Deutschland als Arzt arbeiten will, bevor er die Approbation erhält, eine fachliche Prüfung ablegen muss. Unabhängig davon, was auf seinem Zeugnis steht. Unabhängig von seinem Alter und seinem bisherigen beruflichen Werdegang. Erst im Mai hat der Deutsche Ärztetag in Erfurt dies bekräftigt und zudem den Gesetzgeber gedrängt, Voraussetzungen für bundeseinheitliche Wissensprüfungen zu schaffen, die sich „an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren“ und die Wissen prüfen, „das für die Ausübung des ärztlichen Berufes essenziell ist“.
„Im Interesse der Patientensicherheit eine sinnvolle Forderung“, findet Dietrich Stoevesandt. Bisher müssen sich einer solchen Kenntnisprüfung nur diejenigen unterziehen, bei denen deutliche Unterschiede zwischen der ärztlichen Ausbildung im Herkunftsland und der in Deutschland bestehen. „Allerdings sehen wir dabei wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges“, sagt er.
Wer den beschwerlicheren Weg gehen muss, erhält nach erfolgreicher Sprachprüfung zunächst eine Berufserlaubnis. So wie auch Marianna Shukatka, die sich vor einiger Zeit im Köthener Krankenhaus um eine Stelle beworben und eine Zusage erhalten hat. Dort darf sie dann zwar ärztliche Tätigkeiten ausüben, jedoch nur unter Aufsicht.
Nach etwa zwei Jahren kann sie dann die erwähnte Kenntnisprüfung ablegen. „Die Prüfungsinhalte entsprechen dabei in etwa dem dritten Teil des deutschen Staatsexamens“, erläutert Stoevesandt. Das ist die letzte große Prüfung im Medizin-Studium. Wer sie besteht, erhält eine Approbation.
Viele Durchfaller
Dietrich Stoevesandt, der im Auftrag des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalts auch diese Kenntnisprüfungen abnimmt, hebt hervor, dass sie sehr praktisch angelegt sind. So müssten bestimmte körperliche Untersuchungen vorgeführt werden. Die Reanimation eines Patienten und ein sogenannter Bedside-Test, bei dem das Blut des Patienten mit einer verwendeten Blutkonserve verglichen wird, gehöre genauso dazu wie die Auswertung eines EKGs oder eines Röntgenbildes. Es sei vorgekommen, dass da Ärzte saßen, die mit all den genannten Methoden noch nie in Berührung gekommen sind. Stoevesandt erzählt von einem Prüfling, der bei einem Patienten mit Druckschmerz auf der Brust der in den linken Arm ausstrahlte, Speiseröhrenkrebs diagnostizierte.
Die Durchfallrate liege hier übrigens bei 50 Prozent. Im Unterschied zur Sprachprüfung, die beliebig oft wiederholt werden kann, ist das bei der Kenntnisprüfung nur zweimal möglich. „Wer also insgesamt dreimal durchgefallen ist, der darf in Deutschland nie wieder eine Approbation beantragen“, sagt Stoevesandt. Weil aber die zuständigen Stellen in den einzelnen Bundesländern oft nichts voneinander wissen, hat der Ärztetag die Bundesärztekammer aufgefordert, einen Datenaustausch zwischen ihnen zu unterstützen, um einen „Approbationstourismus“ zu unterbinden.
Eine Approbation ist das große Ziel der ausländischen Ärzte. Auch das von Marianna Shukatka. Die Frau aus Kiew will danach Fachärztin für Anästhesie werden. So wie ihr Vater. Und dafür organisiert
sie jetzt ihren Umzug von Kiew nach Köthen. Übrigens gemeinsam mit ihrem Mann, einem IT-Spezialisten. „Denn hier finden wir die besten Bedingungen“, betont sie. (mz)
