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Neuer Gesetzentwurf der Koalition Verfassungsschutz: Fliegt Sachsen-Anhalts AfD aus dem Kontrollgremium?

Sachsen-Anhalts Verfassungsschutz soll von weniger Abgeordneten kontrolliert werden. So steht es in einem Gesetzentwurf der Koalition. Ausgerechnet die in Teilen rechtsextreme AfD könnte aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium fliegen.

Von Jan Schumann 22.02.2022, 20:00
Fürchtet den Verlust der Geheimdienstkontrolle: Oliver Kirchner (AfD).
Fürchtet den Verlust der Geheimdienstkontrolle: Oliver Kirchner (AfD). Foto: dpa

Magdeburg/MZ - Es gibt nur ganz wenige Abgeordnete, die so tiefe Einblicke in die Geheimdienstarbeit haben: Fünf verschwiegene Mitglieder des Landtags von Sachsen-Anhalt bilden das Parlamentarische Kontrollgremium, sie wachen über den Verfassungsschutz. In diesem kleinen Kreis muss der Geheimdienst seine Arbeit erklären - weil es dabei aber auch um hochbrisante Informationen über Extremisten und verdeckt arbeitende Spione geht, sind die Abgeordneten im Gegenzug gesetzlich zum Schweigen verpflichtet.

Lange unbemerkt plant Sachsen-Anhalts Regierungskoalition nun eine Neuordnung dieser Kontrolle, die politischen Zündstoff birgt: Statt fünf Abgeordneten sollen künftig nur noch vier über die Arbeit des Verfassungsschutzes wachen. Da im Landtag mittlerweile aber sechs Fraktionen sitzen, würde der Geheimdienst für ein Drittel des Parlaments so zur intransparenten Blackbox. Mehr noch: Statt bisher zwei Oppositionsfraktionen muss künftig nur noch eine Oppositionskraft im Kontrollgremium sitzen.

Geregelt ist all das in einem Gesetzentwurf, der Donnerstag erstmals im Landtag besprochen wird. Offiziell soll die „Funktions- und Entscheidungsfähigkeit“ des Kontrollgremiums verbessert werden, heißt es im Entwurf der Regierungsfraktionen CDU, SPD und FDP. In der Praxis heißt all das aber: weniger Kontrolleure.

„Kein Automatismus“ für größte Oppositionspartei

SPD-Innenpolitiker Rüdiger Erben sagt zur Reduzierung: „Es ist ein allgemeiner Grundsatz, das Gremium so klein wie möglich zu halten.“ Die angestrebte Regelung habe es auch schon in der Vergangenheit gegeben. Steht damit nun also der größten Oppositionspartei automatisch der Sitz im Gremium zu? „Diese Regelung haben wir abgeschafft“, sagt Erben auf MZ-Anfrage. Auch CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt betont, es gebe „keinen Automatismus“: Jedes Mitglied müsse sich einzeln im Landtag wählen lassen.

Das heißt also theoretisch: Ausgerechnet die AfD könnte aus dem Kontrollgremium fliegen. Die Partei ist ein Sonderfall. Zum einen ist sie als zweitgrößte Fraktion die Oppositionsführerin, zum anderen ist sie aber selbst im Fokus des Verfassungsschutzes. 2021 hatte der Geheimdienst die Landespartei als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft, die AfD klagt dagegen. Absehbar könnte durchaus der Fall eintreten, dass der Geheimdienst im Kontrollgremium über Erkenntnisse aus einer AfD-Überwachung berichten muss.

AfD fordert einen Platz für jede Fraktion

Schon seit Jahren sehen es Landespolitiker anderer Parteien mit Sorge, dass die in Teilen rechtsextreme AfD im Kontrollgremium sensible, sicherheitsrelevante Informationen abgreifen könnte: Einige Politiker halten die AfD selbst für ein Sicherheitsrisiko. Deshalb halten es Teile des Landtags für wahrscheinlich, dass kein AfD-Vertreter mehr ins Kontrollgremium gewählt wird.

„Wir werden beantragen, dass jede Fraktion einen Platz erhält“, kündigte AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner an. „Ich sehe hier die Einschränkung der Demokratie und immer neue Beschränkungen für die größte Oppositionspartei im Land“, sagte er der MZ.

Auch Grüne kritisieren Reduzierung

Auch die Grünen fürchten, sie könnten als kleinste Fraktion aus dem Kreis der Kontrolleure fliegen. Intern wird das bei der Ökopartei als eine Revanche der CDU betrachtet - aus der gemeinsamen, konfliktreichen Regierungszeit von 2016 bis 2021 gibt es viele Narben. „Die geplante Regelung läuft darauf hinaus, dass sich die Regierung selbst aussucht, wer das Privileg haben soll, sie zu kontrollieren“, kritisiert Innenpolitiker Sebastian Striegel. „Die Reduzierung auf nur noch einen Oppositionssitz tritt die in der Verfassung verbrieften Oppositionsrechte mit Füßen. Die Kontrolle des Verfassungsschutzes ist Aufgabe des gesamten Parlaments.“

Weniger als fünf Verfassungsschutzkontrolleure haben derzeit die wenigsten Bundesländer: Aktuell sind es nur Bremen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und das Saarland.