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Putins Krieg gegen die Ukraine Ukrainer und SPD-Mitglied: Warum ein Sozialdemokrat aus Halle mit seiner Partei hadert

Igor Matviyets geht mit der SPD wegen ihrer zögerlichen Haltung zu Waffenlieferungen hart ins Gericht: „Je länger Deutschland zögert bei der Lieferung schwerer Waffen, desto mehr Menschen werden sterben.“

Aktualisiert: 19.04.2022, 20:58
Hadert mit seiner Partei wegen deren zögerlichen Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine: Igor Matviyets
Hadert mit seiner Partei wegen deren zögerlichen Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine: Igor Matviyets Foto: SPD

Halle - Igor Matviyets ist gebürtiger Ukrainer - und Sozialdemokrat. In vielen Beiträgen im Kurznachrichtendienst Twitter geht der Hallenser seit Tagen mit seiner Partei ins Gericht. Thema: der Krieg in der Ukraine und die zögerliche Haltung der SPD zur Lieferung schwerer Waffen. Mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Migration in der Landes-SPD sprach Alexander Schierholz.

Herr Matviyets, ist die SPD noch Ihre Partei?

Igor Matviyets: Definitiv. Ich bin nicht in die SPD eingetreten, weil ich zu 100 Prozent mit allem einverstanden wäre. Es ging mir immer um die Grundwerte.

Gerade hadern Sie sehr mit Ihrer Partei, vor allem mit der Parteiführung, wegen deren Haltung zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Was ist da los in der SPD?

Viele führende Sozialdemokraten verstehen die humanitäre Dimension dieses Krieges nicht. Sie führen abstrakte Debatten darüber, ob Waffen der Ukraine wirklich helfen würden oder ob damit nicht eher Russland provoziert würde. Für mich, der ich persönlich betroffen bin - meine Großmutter lebt in einer umkämpften Stadt im Süden der Ukraine - ist das schmerzhaft. Je länger Deutschland zögert bei der Lieferung schwerer Waffen, desto mehr Menschen werden sterben.

Wie erklären Sie sich dieses Zögern?

Das hat mit dem Zweiten Weltkrieg und der NS-Herrschaft zu tun. Nach den furchtbaren Verbrechen der Nazis, auch in der heutigen Ukraine, hieß es und heißt es bis heute, von Deutschland soll nie wieder Krieg ausgehen. Dieses „Nie wieder“ ist Konsens. Aber es ist ein Fehlschluss, daraus abzuleiten, jetzt einfach gar nichts zu tun. Diesen Luxus können wir uns nicht leisten.

Die Partei war mit Russland lange zu nachsichtig.

Igor Matviyets

Aber ist es angesichts dieser historischen Erfahrungen nicht nachvollziehbar, dass Deutschland besonders gründlich abwägt?

Natürlich muss jede Entscheidung gut abgewogen werden. Ich bin auch nicht dafür, Waffen in Konfliktgebiete zu liefern, von denen man nicht genau weiß, was dort damit eigentlich passiert, ob sie vielleicht gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden. Aber in der Ukraine geht es darum, dass die Menschen dort sich gegen die russischen Angreifer verteidigen können müssen.

Ihr Parteifreund und Bundeskanzler Olaf Scholz würde vermutlich einwenden, Sie sprächen aus ukrainischer Perspektive. Er müsse als Kanzler aber eine weitergehende Perspektive einnehmen.

Ich verlange ja gar nicht, dass Olaf Scholz die ukrainische Perspektive einnimmt. Es genügt, wenn er die Perspektive der USA, der europäischen Partner und der EU-Kommission einnimmt. Die haben sich alle für die Lieferung schwerer Waffen ausgesprochen und handeln auch danach.

Man hatte in Ost wie West die Ukraine viel zu lange nicht auf dem Schirm.

Igor Matviyets

Sie sind nicht der einzige Sozialdemokrat, der wegen des Krieges in der Ukraine gerade mit seiner Partei hadert. Wie nehmen Sie die Stimmung an der Parteibasis in Sachsen-Anhalt wahr?

Es gibt bei vielen mittlerweile das Einsehen, dass die Partei als Ganzes mit Russland lange zu nachsichtig war, obwohl das Land seit Jahren immer wieder Kriege vom Zaun bricht. Auch der Krieg gegen die Ukraine fing ja 2014 schon im Donbass an. Gleichzeitig sehe ich ein großes Engagement für die Ukraine, sei es bei der Organisation von Hilfstransporten oder der Aufnahme von Flüchtlingen. Ich bekomme viele Anfragen aus der Partei, da geht es um Dolmetschen oder um Hilfe bei Behördengängen.

Laut Umfragen sehen Ostdeutsche die Sanktionen gegen Russland besonders kritisch und eine knappe Mehrheit lehnt auch Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Tickt auch der Ost-Sozialdemokrat anders als der West-Sozialdemokrat?

Das halte ich für konstruiert, das ist kein Ost-West- und auch kein SPD-Problem. Man hat in Ost wie West viel zu lange nur Russland gesehen als Nachfolger der Sowjetunion und souveräne Staaten wie die Ukraine, die früher zur Sowjetunion gehört haben, einfach nicht auf dem Schirm gehabt