Fake-ProfileReiner Haseloffs Geisterfans:

Halle (Saale) - In der Hitparade der im Internet erfolgreichsten Landespolitiker steht er ganz oben. Reiner Haseloff erreicht im Ranking der Social-Media-Analyse-Firma Pluramedia 14.000 Punkte. Das sind fast 6.000 mehr als die dahinter rangierenden Matthias Höhn (Linke) und André Poggenburg (AfD). Und mehr als doppelt so viele wie der linke Landtagsvizepräsident Wulf Gallert hat.
„Unser Ministerpräsident auf Platz 1, er hat eben die Zeichen der Zeit erkannt“, jubelte die Junge Union, selbstverständlich auch auf Twitter, dem Kurznachrichtenportal, das Haseloffs Lieblingsspielwiese in der virtuellen Welt ist. Hier, wo nach 140 Zeichen jeder Gedanke fertig erklärt sein muss, meldet sich Haseloff seit sieben Jahren unter dem Motto „Hier twittert der Ministerpräsident persönlich“ etwa zweimal täglich zu Wort. Er berichtet über Spatenstiche und Vertragsunterzeichnungen, zeigt sich mit Bürgern und empfiehlt seinen fast zehntausend sogenannten Followern Lesegeschichten über Weltall, Erde und den letzten Menschen auf dem Mond.
Eine Gefolgschaft aus Geistern
Das Problem dabei ist: Reiner Haseloff predigt einer Gefolgschaft aus Geistern. 49 Prozent der Leser, die der Ministerpräsident mit seinen Botschaften zu erreichen glaubt, sind nach einer Analyse des Portals twitteraudit.com keine echten Menschen. Sondern so genannte Fake-Accounts und Social Bots.
Dabei handelt es sich, so die Magdeburger Staatskanzlei, unter anderem um „realistisch wirkende Accounts mit Profilbild, Posts und Followern, die selbst auch anderen Nutzern folgen“.
Etwa Reiner Haseloff. In dessen Gefolge finden sich Nutzer mit Namen wie „Omarovisky“ oder „Aro“ und „Ottakapi“, die ihre Twitterseiten entweder gar nicht nutzen oder ausschließlich dazu, komplett zusammenhanglose Links und Bilder zu posten. Experten errechnen daraus den „Twitter Follower Quality Score“, der umso besser ist, je mehr echte Follower ein Twitterer hat.
Fake Accounts als Handelsware im digitalen Markt
Twitteraudit entdeckt die falschen, käuflichen oder zum Verkauf stehenden Twitternutzer, indem das Portal die Zusammensetzung der Gefolgschaft eines Nutzers nach deren Nutzungsverhalten, der Vernetzung mit anderen Accounts und der Anzahl der abgesetzten Nachrichten analysiert: Wie oft twittern sie? Was? Wann?
Damit ließen sich künstliche Mitglieder recht zuverlässig erkennen, versichern David Cross und David Caplan, die den kostenfreien Analyse-Service seit 2012 betreiben. Ein anderes sicheres Anzeichen sind sogenannte Egg-Accounts, die nur das Twitter-Standard-Profilbild - ein buntes Ei - benutzen. Solche Accounts folgen in der Regel vielen anderen, haben aber selbst keine große Zahl Follower noch senden sie selbst Tweets ab. Je bekannter ein Account, so haben die beiden Amerikaner über die Jahre festgestellt, „desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass inaktive oder falsche Follower auftauchen“.
Seit dem Jahr 2006 gibt es im Internet die digitale Nachrichtenplattform Twitter. Dort kann sich jeder mit einer E-Mail-Adresse anmelden und ein virtuelles Profil erstellen. Damit lassen sich zumeist öffentlich sichtbare Nachrichten („Tweets“) erstellen, Nachrichten anderer Nutzer weiterverbreiten oder auch kommentieren.
Zudem können auch Bilder oder kurze Videos veröffentlicht werden. Nutzer können die Nachrichten anderer Nutzer verfolgen und auch selbst verfolgt werden.
Ein Merkmal von Twitter ist die geringe Länge der Texte: Sie ist auf maximal 140 Schriftzeichen begrenzt. Deshalb wird der für die Nutzer kostenfreie Dienst auch „Micro-Blog“ genannt, es ist also eine Art öffentlich einsehbares Mini-Tagebuch. Zudem sind alle Nutzer quasi gleichberechtigt. Jeder kann jeden öffentlich anschreiben.
Für viele Organisationen, Unternehmen und Politiker ist Twitter inzwischen zu einem wichtigen Informationskanal geworden. Der neue US-Präsident Donald Trump veröffentlicht beispielsweise mehrmals täglich persönliche Ansichten per Twitter, die derzeit sofort 21,7 Millionen Menschen erreichen.
Twitter finanziert sich über Werbung. Das Unternehmen mit Sitz in San Francisco sammelt allerdings auch viele Nutzerdaten, die theoretisch an Dritte verkauft werden können. (tik)
Denn denen geht es darum, Aktivität vorzuschützen - Fake Accounts, hinter denen kein echter Mensch steht, werden in vielen Fällen angelegt, um später als Bot-Armee verkauft zu werden, also als Handelsware im digitalen Markt zu dienen. Im Netz lassen sich tausend Follower für neun bis 90 Dollar kaufen. Für 9.000 Dollar gibt es eine Million virtueller Gefolgsleute, verbunden mit dem Versprechen, dass die Kraft dieser „High-Quality Fake Followers“, wie sie auf der Plattform Followermarkets genannt werden, jede Botschaft an den Mann oder die Frau bringen wird. Dazu aber müssen die automatisch angelegten Eier-Profile einigermaßen echt wirken. Sie brauchen ein virtuelles Leben, sie brauchen vor allem andere Nutzer, die ihnen folgen. Und - so funktioniert Twitter - die finden sie nur, wenn sie selbst irgendwo Follower werden.
Grüne fordern Gesetz zur Kennzeichnung von „Social Bots“
Software-Roboter und Fake Accounts sind deshalb so programmiert, dass sie sich an Twitterer hängen, die nicht so genau hinschauen, wer ihnen folgt. Wie „@reinerhaseloff“, der Twitterkanal des Ministerpräsidenten. Von seinem iPhone aus interagiert der Landesvater nach einer Analyse des Portals foller.me nur in vier von hundert Fällen mit Followern. Und dann sind es meist sein Zweitaccount „@mp_haseloff“, der Landesanschluss „@sachsenanhalt“ und der Account des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, für das Haseloff ein Faible hat.
Aufgefallen ist dem Ministerpräsidenten und seinen Mitarbeitern bislang nichts am Publikum im Kurznachrichtendienst. „Es gab zwei, drei Mal Auffälligkeiten, indem eine sehr große Anzahl nahezu gleichlautender Bemerkungen auf einen Tweet erfolgten“, beschreibt Haseloffs Sprecher Matthias Schuppe. Das war es.
Dabei ist das Roboterpublikum ein Problem, das nicht nur Reiner Haseloff allein plagt. Zwar ist der Ministerpräsident beim Verhältnis zwischen echten und falschen Mitlesern so unangefochten Spitze im Land, dass er auch ohne seine Geister-Gefolgschaft ganz oben in der Landes-Hitparade bliebe. Doch während die regionale Konkurrenz von SPD, Linken, Grünen und AfD mit ihren Accounts auf Werte von über 90 Prozent echter Mitleser kommt, spielt die bundespolitische Twitter-Elite häufig in Haseloffs Liga der Phantomfans.
So schafft es der Noch-SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel, der sicher annimmt, rund 125.000 Fans mit seinen Twitter-Botschaften zu erreichen, nur auf einen sogenannten Audit Score von 49. Das heißt, hinter 51 Prozent oder knapp 63.000 seiner Follower stehen vermutlich Maschinen oder längst aufgegebene Accounts echter Menschen. Der Linke Gregor Gysi scheitert ebenso an der 50 Prozent-Schwelle - mehr als die Hälfte seiner Follower ist nicht echt.
Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), im Kampf gegen Bots und Fake-Accounts in sozialen Netzwerken äußerst aktiv, versendet seine Meldungen überwiegend an Gespenster. Knapp 61.000 seiner Gefolgsleute sind falsch, nur 51.000 echt. Schlechter steht nur die Linke Sahra Wagenknecht da: Deren 110.000 Anhänger rekrutieren sich laut Twitter Audit zu mehr als drei Vierteln aus Bots und Fantasie-Mitgliedern.
Senden in den leeren Raum
Dagegen wirken die Twitter-Accounts der großen Parteien geradezu seriös. Doch auch sie hängen - abgesehen von der AfD, die 76 Prozent echte Anhänger zählt - allesamt zwischen 45 und 60 Prozent fest. Was von den Parteizentralen gesendet wird, geht überwiegend im leeren Raum verloren. So erreicht @Die_Linke zwar rein theoretisch mehr als 150.000 Menschen über Twitter. Praktisch aber sind nach einer aktuellen Abfrage der MZ bei Twitteraudit etwa 61.000 Follower der Partei nicht wirklich existent.
Ähnlich sieht es bei den anderen großen Parteien aus: Die @CDU hat zwar 165.000 Follower. Doch 48 Prozent davon sind Bots und Fake Accounts. Bei der SPD verkehrt sich das Verhältnis sogar ins Negative: Unter 122.000 echte Leser von @spdde mischen sich 134.000 künstliche. @Die_Grünen, die mit 288.000 Followern die größte Twitter-Gefolgschaft haben, trifft das Fake-Problem am härtesten. Ihren 129 000 echten, also menschlichen Followern stehen mit 158.000 etwa 55 Prozent künstliche gegenüber.
Auf eine Anfrage der MZ zu diesen Roboterarmeen, zu deren Zustandekommen und zu Maßnahmen gegen sie, reagierten SPD, CDU und Linke nicht. Nur die Pressestelle der Grünen teilte mit, man wisse nicht genau, wie viele Fake-Accounts dem eigenen folgten. Twitteraudit sei bekannt, zeige aber nur vier Jahre alte Daten. Die auf den neuesten Stand zu bringen, hätte 3,99 Dollar (3,71 Euro) gekostet. Die Grünen haben sich stattdessen inzwischen mit einer Forderung zu Wort gemeldet, ein Gesetz zur Kennzeichnung von „Social Bots“ zu verabschieden. (mz)