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"Wir betreten Neuland" Reiner Haseloff: Fragen an den alten und neuen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt

25.04.2016, 18:53
Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (CDU) sitzt während der Landtagssitzung in Magdeburg neben seinem CDU-Fraktionsvorsitzenden Siegfried Borgwardt. Zuvor wurde der 62 Jahre alte Haseloff für eine zweite Amtszeit gewählt.
Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (CDU) sitzt während der Landtagssitzung in Magdeburg neben seinem CDU-Fraktionsvorsitzenden Siegfried Borgwardt. Zuvor wurde der 62 Jahre alte Haseloff für eine zweite Amtszeit gewählt. dpa-Zentralbild

Magdeburg - Der alte und neue Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt heißt: Reiner Haseloff (CDU). In einer Zitterpartie hat der Landtag den 62-Jährigen erst im zweiten Wahlgang zum Chef der bundesweit ersten Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen gewählt. Über seine Gedanken während der Zitterpartie, den Umgang mit der AfD und einen besonderen Inhalt seiner Brieftasche sprachen mit dem Wittenberger die MZ-Redakteure Jan Schumann und Kai Gauselmann.

Herr Ministerpräsident, man hat Sie schon glücklicher gesehen als nach dem ersten Wahlgang. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Haseloff: Ich bin davon ausgegangen, dass der erste Wahlgang schwierig wird oder es gar nicht klappt. Das hängt damit zusammen, dass in diesen ersten Wahlgang alles hineinprojiziert wird, was in den vergangenen Wochen gelaufen ist zwischen den Partnern und in den Parteien. Da gibt es sozusagen einen Nacharbeitungsbedarf. Der hat sich im ersten Wahlgang artikuliert. So eine Dreierkoalition ist in Deutschland noch nie erprobt worden. Dafür haben wir uns letztlich aber gut auf den Weg gemacht.

Im Jahr 2011 ging es aber glatter, da wurden Sie schon im ersten Wahlgang gewählt.
Haseloff: 2011 waren wir zwei Partner, die sich schon fünf Jahre kannten und eine komfortable Mehrheit hatten. Das war eine ganz andere Situation, überhaupt nicht vergleichbar. Es hätte heute ja noch ganz anders laufen können, die Szenarien waren bekannt. Daher ist es wichtig für das Ansehen Sachsen-Anhalts und der Landespolitik, dass es im zweiten Wahlgang dann geklappt hat.

Sie haben in Ihrer Rede vor dem Landtag Projekte, „die jetzt mal dran sind“, angekündigt. Welche sind das?
Haseloff: Ganz klar die bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen. Die ist unter anderem wichtig, um die Integration der Flüchtlinge voranzutreiben. Außerdem die Einstellung von mehr Lehrern und Polizisten. Zudem wird es um die Integration von Langzeitarbeitslosen gehen. Allein durch das Auslaufen der Bürgerarbeit fehlen und 6 000 Stellen. Und wir arbeiten an ökologischen Strategien - es geht auch um die Arbeitsplätze in den Braunkohleregionen.

Zuletzt gab es heftige Dissonanzen zwischen CDU und Grünen, die Akteure bezichtigten sich gegenseitig der Lüge. Werden Sie künftig mehr moderieren müssen?
Haseloff: Wir werden viel miteinander sprechen, da wir mit unserer knappen Mehrheit haushalten müssen. Die Missverständnisse der vergangenen Tage zeigen: Wir benötigen faire Kompromisse. Wir betreten alle Neuland.

Kenia ist also das unentdeckte Land.
Haseloff: Ich habe schon überlegt, ob wir den kenianischen Botschafter einladen. Aber soweit sind wir noch nicht.

Handlungsbedarf an der rechten Flanke

Im neuen Bündnis kommt Claudia Dalbert als einziger Grünen eine Schlüsselrolle zu. Sie war umstritten, Hunderte Landwirte protestierten gegen sie. Ist das für Sie nun erledigt?
Haseloff: Sie hat kluge Entscheidungen auf der Staatssekretärsebene getroffen. Ein Staatssekretär kommt aus dem Landesumweltamt, einer aus dem Bauernverband. Das wird in der politischen Steuerung sehr gut funktionieren.

Sie haben bei Ihrer Rede gesagt: „Mit Sachsen-Anhalt muss gerechnet werden. Manche werden sich nun wundern.“ Versprechen oder Drohung?
Haseloff: Es gab so viele Vorbehalte, als die neue Koalition stand. Es hieß: Dieses Bündnis hält nie, die werden bald wieder auseinandergehen. Ich sage: Am Beispiel Hessen sieht man, wie solche Koalitionen funktionieren können. Wenn Sie heute mit dem hessischen Ministerpräsidenten reden, spricht er von einer entspannten Koalition.

Sie meinen, in diese Zwangsheirat kann noch Romantik einziehen?
Haseloff: Jedenfalls kann daraus etwas Tragfähiges werden. Mehr kann man in der Politik ja nicht verlangen. Wichtig ist, dass für die Menschen in Sachsen-Anhalt gute Politik gemacht wird. Daran habe ich keinen Zweifel.

Sie haben vor der Wahl gesagt, rechts von der CDU dürfe es keine politische Kraft geben. Mit der AfD ist diese nun da - und geht vermutlich so schnell nicht weg. Muss sich die CDU verändern?
Haseloff: Wir müssen in der Union die Diskussion führen, wie bleiben wir Volkspartei. Es nützt nichts, wenn wir zum Beispiel Wähler der SPD gewinnen, die Mitte aber künftig kaum auf mehr als 50 Prozent kommt. Auf der anderen Seite haben wir 25 Prozent an der rechten Flanke verloren. Dort hat die CDU Handlungsbedarf. Das heißt nicht, dass wir der AfD nach dem Munde reden, sondern wir müssen unsere Hausaufgaben machen, Vertrauen gewinnen und diese Wähler zurückgewinnen. Wir müssen deutlich machen, dass sich Flüchtlingspolitik nicht mit den Parolen der AfD gestalten lässt. Wenn die Integration von Flüchtlingen in geordneten Bahnen läuft, werden sich die Protestwähler wieder an die Volksparteien andocken lassen. Es muss klar sein: Konservative Politik machen wir.

Ein schwieriger Spagat, wenn Sie gleichzeitig versuchen müssen, einen Modus mit Ihren linken Koalitionspartnern zu finden.
Haseloff: Da gibt es im Koalitionsvertrag eine bewusst gefundene Arbeitsteilung. Das Wahlergebnis hat uns zusammengebracht - das heißt für uns, wir müssen nun zusammen stehen. Was uns verbindet, ist gemeinsam das Beste für Sachsen-Anhalt zu erreichen.

Ihr Motto war heute gewissermaßen „Sieg - oder Gabriele“. Hat die Aussicht Sie gelassen gemacht, im schlimmsten Fall mehr Zeit für Ihre Frau zu haben?
Haseloff: Meine Frau ist auch ein politischer Mensch. Wir sind jetzt 44 Jahre zusammen. Ich erinnere mich noch gut an unsere Hochzeitspredigt: Wenn man ein gutes Paar ist, ist man wie ein Körper, man ist wie verwachsen und kann alleine nicht mehr stehen. Sie ist für mich ein wichtiges Korrektiv. Meine größte kritische Begleitung sind nicht Sie, sondern meine Frau! Uns war klar: Wenn es heute nicht geklappt hätte, hätten wir das als klares Zeichen genommen: Es muss auch ein Leben nach der Politik geben.

Hat Sie Ihnen dafür heute wieder vom Abreißkalender eine Tageslosung mitgegeben?
Haseloff (holt einen Zettel aus der Brieftasche): Natürlich: „Bedaure nichts. Wenn es gut ist, ist es wundervoll. Wenn es schlecht ist, ist es Erfahrung.“ Das war heute der passende Spruch.

Und jetzt, machen Sie nach dem ganzen Stress erstmal Urlaub?
Haseloff: Nein. Urlaub hätten wir gemacht, wenn ich nicht gewählt worden wäre. Es wird direkt weitergearbeitet. Ich habe mir aber vorgenommen, in den nächsten Monaten mal zwei, drei Wochenenden länger wegzufahren. Außerdem fahre ich mit meiner Frau auf Konzerte. Am Dienstag sind wir Abends im Tempodrom in Berlin bei The Last Night of Dire Straits. Bryan Adams und Bruce Springsteen hören wir uns in den nächsten Monaten auch noch an. Das ist das Kontrastprogramm zum Politikalltag.  (mz)

Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (CDU) nimmt an der Landtagssitzung in Magdeburg  teil.
Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (CDU) nimmt an der Landtagssitzung in Magdeburg  teil.
dpa-Zentralbild
Reiner Haseloff ist alter und neuer Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt.
Reiner Haseloff ist alter und neuer Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt.
dpa-Zentralbild
Der alte und neue Ministerpräsident Reiner Haseloff.
Der alte und neue Ministerpräsident Reiner Haseloff.
dpa