MZ-Gespräch MZ-Gespräch: Innenminister Stahlknecht über Merkels "Wir schaffen das"

Magdeburg - Braun gebrannt und entspannt sitzt Holger Stahlknecht da. Es läuft gerade für den 53-Jährigen. Im November wird er den Vorsitz der Landes-CDU übernehmen - und im politischen Magdeburg wird er längst als Kronprinz des Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (64) gehandelt.
Über die Sorgen der Menschen in Sachsen-Anhalt, Fehler in der Asylpolitik und ob die Ereignisse in Chemnitz auch in Sachsen-Anhalt passieren könnten - darüber sprachen mit dem Landes-Innenminister für die MZ Hartmut Augustin, Hagen Eichler und Kai Gauselmann.
Herr Stahlknecht, sie waren auf einer Sommertour im Land und haben den Menschen den Puls gefühlt. Was sind denn deren Sorgen und Freuden?
Holger Stahlknecht: Eine normale Familie mit zwei Kindern redet am Frühstückstisch über Arbeit, Schule, Kindergarten, den Urlaub. Ab und zu wird über die Politik geschimpft. Das heißt im Umkehrschluss: Die reden nicht ständig über E-Autos, über Gender und das dritte Geschlecht. Die reden auch nicht jeden Morgen über Asyl – es sei denn, es passiert etwas.
Das bedeutet, CSU und CDU haben also ewig über ein Thema gestritten, das im Alltag der Menschen unwichtig ist?
Stahlknecht: Ich habe den Streit nicht verstanden. Der Streit um die Ankerzentren war nicht nötig. Ich habe auch nicht verstanden, warum wir über eine Sicherung der Grenzen reden müssen, wenn die Flüchtlingsströme gerade gar nicht so hoch sind. Ich hätte darüber geredet, wie wir diejenigen abschieben können, die raus müssen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer leistet da zu wenig?
Stahlknecht: Nicht nur er. Auch die SPD macht sich da einen schlanken Fuß. Herr Maas ist Außenminister, der muss mit den Herkunftsstaaten reden, die ihre Staatsangehörigen nicht zurücknehmen. Das ist die Erwartung, die die Bevölkerung hat.
Sie mussten gerade im Landtag erklären, warum Sie einen unerwünschten Imam aus Bitterfeld nicht abschieben konnten.
Stahlknecht: Ende August ist der Imam, der sich unter anderem im Landkreis Anhalt-Bitterfeld aufgehalten hatte und von den Sicherheitsbehörden als Gefahr für die innere Sicherheit angesehen wurde, abgeschoben worden.
Vor drei Jahren sagte Kanzlerin Merkel den Satz „Wir schaffen das“. Sie haben das Gefühl, dass dafür aus Berlin zu wenig kommt?
Stahlknecht: Der Satz „Wir schaffen das“ war ein guter Satz - in Berlin. Aber umsetzen mussten das Landräte und Bürgermeister. Die waren im September 2015 gewaltig überrumpelt. Wir waren es, die angepackt haben, die Kommunen, die Ehrenamtlichen, die Landesregierung - nicht Berlin. Jetzt erwarte ich von Berlin, dass abgeschoben werden kann. Die müssen jetzt liefern.
Haben Sie als Innenminister Angst, dass auch in Sachsen-Anhalt so etwas passieren könnte wie in Chemnitz?
Stahlknecht: Ich kann das nicht ausschließen. Teile der Bevölkerung bewerten es schärfer, wenn ein Verbrechen von jemandem verübt wird, der hier Schutz gesucht hat. Das muss ich zur Kenntnis nehmen. Da kann ich nicht sagen: Die sind alle rechtsradikal. Ich muss zuhören, erklären und auch Mut machen.
Wie sortieren Sie die Leute ein, die in Chemnitz mit dem rechten Rand marschieren?
Stahlknecht: Es gibt diejenigen, die den Tod eines Mannes instrumentalisieren. Das verurteile ich eindeutig. Selbstjustiz und Pogromstimmung darf es nicht geben. Die emotionalen Beurteilungen der Menschen muss ich aber ernst nehmen. Ich muss deutlich machen, dass jemand für so eine Straftat empfindlich bestraft wird, egal welcher Herkunft er ist.
Wie verhindert man hier, dass sich ein Mob wie in Chemnitz bildet?
Stahlknecht: Wir müssen die bürgerliche Mitte weiter kontinuierlich stärken und jeden verfassungsfeindlichen und extremistischen Bestrebungen entschieden entgegentreten. Wir brauchen in unserer Heimat einen starken Rechtsstaat und keinen Rechtsruck.
Was entgegnen Sie denn Leuten, die sagen, dass es uns in Deutschland ohne die Flüchtlinge besser ginge?
Stahlknecht: Dass das Asylrecht ein hohes Gut ist. Dass wir uns der Realität nicht entziehen können. Mehr als 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Ich sage aber auch, dass sich der Herbst 2015 nicht wiederholen darf .
Die Entscheidung der Bundeskanzlerin, die in Ungarn campierenden Flüchtlinge nach Deutschland zu lassen?
Stahlknecht: Auch wenn ich sage, dass Griechenland und Italien das Dublin-Verfahren de facto aufgekündigt haben, weil sie Flüchtlinge unregistriert durchgewunken haben - die Entscheidung der Bundeskanzlerin hatte eine falsche Signalwirkung.
Sie hätten 2015 die Grenzen geschlossen?
Stahlknecht: Aus meiner Sicht wäre es besser gewesen, wenn im Herbst 2015 sofort eine Strategie zur Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union und zur Durchführung von Kontrollen an den Grenzen entwickelt worden wäre.
In Schönebeck gibt es den Fall von vier Indern, die abgeschoben werden sollen, obwohl sie gut integriert sind und ihr Arbeitgeber sie für unentbehrlich hält. Ist das nicht Unsinn?
Stahlknecht: Abgelehnte Asylbewerber, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und nicht über ihre Identität getäuscht haben, sollen hier bleiben können. Das muss das künftige Einwanderungsgesetz ermöglichen. Wir brauchen dafür aber eine Stichtagsregelung, damit gar nicht erst ein falscher Anreiz gesetzt wird. Das könnte zum Beispiel der 31. Juli 2018 sein.
Können Sie davon auch Ihre Parteifreunde überzeugen?
Stahlknecht: Es gab in der CDU Kräfte, die sich aus einer Ideologie heraus strikt gegen ein Einwanderungsgesetz gestellt haben. Mittlerweile ist aber in der CDU sicherlich die Mehrheit dafür. Über den Spurwechsel von abgelehnten Asylbewerbern müssen wir noch diskutieren. Ich werde bei der Innenministerkonferenz im November dafür werben.
Sie sind bereits die zweite Legislaturperiode Minister unter Reiner Haseloff. Was haben Sie von ihm gelernt?
Stahlknecht: Die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen zu moderieren. Das habe ich mir sehr genau angeguckt. Ich finde auch seinen schönen Satz „Kein Schaden ohne Nutzen“ gut.
Und wann dachten Sie zuletzt: Wenn ich dann auf seinem Stuhl sitze, mache ich dieses oder jenes anders?
Stahlknecht: Das habe ich in letzter Zeit gar nicht gedacht.
Sie wollen im Herbst CDU-Landesvorsitzender werden. Wollen Sie in dem Amt auch gar nichts anders machen?
Stahlknecht: Da habe ich schon klare Vorstellungen. Ich möchte, dass wir uns in kleineren Gremien Gedanken machen, wo Sachsen-Anhalt 2030 stehen soll. Der neu gewählte Landesvorstand soll sich enger mit der Basis verzahnen. Wir müssen zudem erkennbarer werden, auch durch Streit mit anderen Parteien.
Für manchen in Ihrer Partei ist sehr wichtig, dass Politiker in Ostdeutschland auch aus Ostdeutschland stammen. Sie wurden in Hannover geboren – wie kommen Sie damit klar?
Stahlknecht: Das spielt für mich keine Rolle. Ich lebe hier gern, das ist meine Heimat, meine Kinder sind hier geboren. Ich sehe lieber durch die Frontscheibe als in den Rückspiegel.
Wann trauen Sie sich zu sagen, dass Sie auch Ministerpräsident werden wollen?
Stahlknecht: Jetzt kandidiere ich für den Landesvorsitz. Alles, was die Zukunft bringt, werden wir in Ruhe besprechen.
Holger Stahlknecht - Ein Offizier und Staatsanwalt
In den 1990er Jahren kam der gebürtige Hannoveraner Holger Stahlknecht nach Sachsen-Anhalt. Nach dem Jurastudium arbeitete der Oberstleutnant der Reserve als Staatsanwalt für Wirtschaftssachen in Magdeburg.
In die CDU trat der verheiratete zweifache Vater erst 2000 ein. 2002 wurde er bereits Mitglied des Landtages. Seit 2005 ist er Kreisparteichef. In seinem Wohnort in Wellen im Bördekreis war er seit 1999 Bürgermeister, zuletzt bis 2011 Ortsbürgermeister.
Innenminister wurde Stahlknecht 2011. Seine ersten Amtsjahre waren geprägt durch den Sparkurs der damaligen Landesregierung, eine geplante große Strukturreform konnte er nicht durchsetzen. Bereits 2016 gab es einige, die in ihm den Spitzenkandidaten zur Landtagswahl sahen - Stahlknecht unterstützte aber Haseloff. Mit dem Parteivorsitz wird er der neue starke Mann der CDU. Als Konkurrent um die Haseloff-Nachfolge galt Finanzminister André Schröder - bis er durch eine Flugaffäre geschwächt wurde. (mz)