Bahnverkehr Erschreckende Zahlen: So viele Züge fielen 2021 in Sachsen-Anhalt aus
In Sachsen-Anhalts Regional- und S-Bahnverkehr spitzt sich die Lage zu: 2021 fiel fast jeder zehnte Zug aus - damit verdoppelte sich die Quote seit 2017. Erstmals liegen detaillierte Statistiken zu den Gründen offen.

Magdeburg/MZ - Die Zahl der Zugausfälle in Sachsen-Anhalts Regional- und S-Bahn-Verkehr hat sich innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt. Das geht aus neuen Daten des Verkehrsministeriums in Magdeburg hervor, die der MZ vorliegen. Demnach fiel 2021 fast jede zehnte Fahrt aus – Passagiere mussten damit in gut 57.000 Fällen auf einen ursprünglich geplanten Zug verzichten. Nicht Teil der Statistik sind Fernverkehrszüge wie IC und ICE.
Die Grünen im Landtag, die die Zahlen per Anfrage offenlegten, machen Infrastrukturmängel für die Ausfälle verantwortlich. „Wir brauchen mehr Geld im System“, sagte Fraktionschefin Cornelia Lüddemann der MZ. Sie kritisierte vor allem kurzfristige Baumaßnahmen und große Personalprobleme als Grund für die Ausfälle.
Ministerium listet Gründe für Zug-Ausfälle auf
Tatsächlich listet die Regierung die Ursachen in seltener Detailtiefe auf. So war 2021 etwa jeder zweite Ausfall mit Baustellen an der Strecke begründet. Deutlich weniger, aber immer noch 15 Prozent, machten Personalengpässe und Krankheitsausfälle bei Verkehrsunternehmen aus.
Fast genauso viele Ausfälle wurden mit „sonstigen“ Ursachen begründet, etwa der Corona-Pandemie. Deutlich weniger ins Gewicht fielen dagegen defekte Fahrzeuge und akute Störfälle an der Trasse, etwa Oberleitungsschäden: Zusammen waren diese zwei Kategorien für knapp sieben Prozent der Ausfälle im Verkehrsnetz verantwortlich.
Lesen Sie auch: Brandbrief an Bahn-Spitze: Verkehrsministerin Hüskens kritisiert „desaströse“ Zustände
Auffällig ist dagegen die starke Zunahme der Personalprobleme. Noch 2017 machten sie 3,5 Prozent der Zugausfälle aus, seither vervierfachten sie sich. Ein wesentlicher Grund sei der Betreiberwechsel im sogenannten Dieselnetz gewesen, so Lüddemann.
Lesen Sie auch: Bahnverkehr in Sachsen-Anhalt: Abellio kündigt erneut Zugausfälle an
Das Eisenbahnunternehmen Abellio hatte 2018 rund 900 Kilometer Schiene übernommen, fast ein Drittel des vom Land bestellten Netzverkehrs. Doch kämpfte Abellio seit Beginn mit Personalproblemen, vor allem Lokführer fehlten. Später folgte ein Insolvenzverfahren – heute steht fest, dass Abellios Vertrag vorzeitig beendet wird. 2024 ist Schluss für das Unternehmen im Dieselnetz.
Zu viele Ausfälle bei der Bahn: Grünen kritisieren schwache Infrastruktur
Angesichts dieser Historie sagt Lüddemann: „Wir brauchen realistische Verkehrsverträge, keine Dumpingverträge.“ Sie kritisierte zudem, dass landesweit zu viele Züge wegen „Ad-hoc-Baustellen“ ausfielen – zuletzt wegen des massenhaften Austauschs womöglich gefährlicher Betonschwellen. „Der Sanierungsstau ist groß“, so die Oppositionspolitikerin. „Baumaßnahmen müssen gebündelt werden, wir brauchen eine planbare Situation.“ Angesicht des bundesweit geplanten 49-Euro-Tickets sagte Lüddemann: „Das alles untermauert die These, dass wir dringend ordentliche Infrastruktur bereitstellen müssen.“
Die Deutsche Bahn (DB) räumte auf MZ-Anfrage ein, „besondere Ereignisse“ wie die Pandemie und das vielgenutzte Neun-Euro-Ticket im Sommer führten auch aktuell „zu punktuellen personellen Engpässen: bei der DB wie auch bei anderen Verkehrsunternehmen“.
Hüskens: Lage im Zugverkehr „desaströs“
Die Bahn steuere mit neuem Personal gegen, darunter 1.500 kurzfristige Einstellungen. Sachsen-Anhalts Nahverkehrsgesellschaft Nasa betonte, dass Ausfälle durch lange geplante Baustellen für Kunden durchaus kalkulierbar seien, es gebe meist Ersatzangebote. Aber: „Wir können mit der Anzahl an Zugausfällen alles andere als zufrieden sein.“ Die Gesellschaft stehe im engen Kontakt mit den Verkehrsunternehmen, um die Lage zu verbessern.
Echte Besserung ist aber nicht in Sicht. Angesichts neuer Ausfallserien wegen schadhafter Betonschwellen und unbesetzter Stellwerke schrieb Landesverkehrsministerin Lydia Hüskens (FDP) am Freitag eine Art Brandbrief an die Bahn-Spitze. Die Lage sei „desaströs“: Statt sich als Problemlöser im Klimawandel zu positionieren produziere die Bahn „leider das Gegenteil“.