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Landestrophäenbewertung Jägersprache, schwere Sprache: Was es mit Schnecken, Schläuchen und Stangen auf sich hat

Bei der Landestrophäenbewertung hantieren die Juroren mit allerhand Jägersprache. Sie suchen die prächtigsten Geweihe, Gebisse und Gehörne des Jahres. Dabei zeigt sich auch, wie es dem Wild geht.

Von Julius Lukas Aktualisiert: 06.06.2023, 08:20
Präzisionsarbeit: Die Schläuche, das sind die Hörner des Muffelwilds, werden von Holger Piegert (links) und Steffen Grießbach genau vermessen.
Präzisionsarbeit: Die Schläuche, das sind die Hörner des Muffelwilds, werden von Holger Piegert (links) und Steffen Grießbach genau vermessen. (Foto:Julius Lukas)

Langenweddingen/MZ - Das Maßband windet sich um das geschwungene Horn des toten Muffelwilds. Etwas oberhalb der starren Augen legt Steffen Grießbach das Maßband an. Holger Piegert schaut am anderen Ende ganz genau. „84 Zentimeter“, gibt der Jäger erst zu Protokoll, um sich dann gleich zu korrigieren: „Nein, sind doch 85 Zentimeter“. Präzision muss sein, denn auf die Zentimeter kommt es bei der Landestrophäenbewertung an.

Wer mit dem Begriff „Trophäe“ im Jagdzusammenhang nichts anfangen kann, der sei beruhigt: Den meisten geht es so. Denn Jäger – fachsprachlich Waidmänner genannt – hantieren ständig mit Begriffen, die für Laien kaum verständlich sind. Das merkt man beim Besuch der Landestrophäenbewertung schnell. Hier geht es um Rosen, Perlung und Gewaff, um Schläuche und Schaufeln, um Sprossen und Stangen.

Abschluss des Jagdjahres

Die Veranstaltung, die in Langenweddingen (Börde) stattfindet, ist eine Art Schau der Jahresbesten. Von Juroren werden dabei die Trophäen der Jagdsaison begutachtet und mit Punkten versehen: Geweihe vom Rotwild und Rehbock-Gehörne, Dachs-Gebisse ebenso wie die Zähne vom Wildschweinkeiler, die Gewehre (untere Eckzähne) und Haderer (obere Eckzähne) heißen. „Die Bewertung der Trophäen gehört traditionell zum Abschluss des Jagdjahres dazu“, sagt Carsten Scholz, Präsident des Landesjagdverbands. Obwohl Gold-, Silber- und Bronzemedaillen vergeben werden, sei es aber kein Wettbewerb, so der Köthener. „Es geht vielmehr darum, einen Einblick in die Population zu bekommen.“ Wie die sich entwickle, sei auch anhand der Trophäen zu sehen.

Vermesung eines kapitalen Hirsches: Das Geweih gehört zu einem in Ungarn von einem Jäger aus Sachsen-Anhalt geschossenen Tier.
Vermesung eines kapitalen Hirsches: Das Geweih gehört zu einem in Ungarn von einem Jäger aus Sachsen-Anhalt geschossenen Tier.
(Foto: Julius Lukas)

Ein gutes Beispiel dafür ist das Muffelwild. Dessen kompletter Kopfschmuck, also die beiden geschwungenen Hörner, heißt „Schnecke“, wie Holger Piegert erklärt. „Die beiden Hörner wiederum werden Schläuche genannt“, so der Harzer Kreisjägermeister, der einer der fittesten Juroren des Landes ist.

Wolf macht dem Muffelwild zu schaffen

Piegert legt nun die Stirn in Falten: „Beim Muffelwild gehen die Einsendungen deutlich zurück“. Aus der Altmark, wo es noch vor zehn Jahren einen großen Bestand gab, komme gar nichts mehr. „Der Wolf hat die Population dort eliminiert.“ Das liege auch daran, dass der Räuber in der Heimat der Mufflons nicht vorkomme und sie deswegen keine angeborenen Feindvermeidungsstrategien hätten.

Das werde den vor über 100 Jahren in Sachsen-Anhalt ausgewilderten Schafen mittlerweile auch im Harz zum Verhängnis, meint Wolf Last. „Dort finden sie noch gute Bedingungen, Wolf und Luchs setzen dem Bestand aber zu“, so der Geschäftsführer des Landesjagdverbands. Durch eine Bejagung des Wolfs könnte das geändert werden. „Das ist derzeit aber nicht gewünscht“, meint Last. „Und bis es gewünscht ist, ist es für das Muffelwild zu spät.“

Über 40 Rehbock-Gehörne wurden zur Bewertung eingesendet.
Über 40 Rehbock-Gehörne wurden zur Bewertung eingesendet.
(Foto: Julius Lukas)

Besser als bei den Wildschafen sieht es bei den Rehböcken aus. Mehr als 40 „Kronen“ wurden von Jägern zur Bewertung eingesendet. Eine davon hat Juror Rolf Funk gerade in einen Wasserbehälter versenkt. „Durch die Wasserverdrängung können wir Volumen und Gewicht ermitteln“, sagt der Jäger aus Quedlinburg (Harz). Zur Begutachtung gehöre aber noch viel mehr. Etwa die Länge und Symmetrie der Stangen – so nennt der Jäger die beiden Knochen, die aus dem Schädel des Tiers wachsen und den „Gehörn“ genannten Kopfschmuck bilden. Auch die Wülste, die sich am Ansatz der Stangen befinden – Fachbezeichnung: Rosen – werden bewertet. Sind es Kranzrosen, die „ordentliche Muscheln“ gebildet haben, wie Rolf Funk sagt, dann ist das positiv. Bei Dachrosen, die ältere Tiere ausbilden, kommt es zu Abzügen. „Und schließlich ist da noch die Perlung“, sagt Funk und streicht über ein Gehörn. Was das genau ist, kann der Jäger gar nicht erklären. „Wir bezeichnen das schon immer so und jeder weiß, was gemeint ist.“

Perlung ist die „geriffelte Oberfläche“ von Gehörnen

Steffen Grießbach kann helfen. Der Landesobmann für Schalenwildbewirtschaftung – damit sind Paarhufer wie Rotwild, Mufflon oder Wildschwein gemeint – beschreibt Perlung als „geriffelte Oberflächenstruktur“ von Gehörnen. Auf Rehbockstangen bilden sich im besten Fall feine Perlen, die besonders gern gesehen sind. „Für die Trophäenbewertung gibt es ein internationales Regelwerk“, erklärt Grießbach. Weil alle gleich bewerten, könnten Populationen über Landesgrenzen hinweg besser verglichen werden.

Trotz fester Regeln ist die Bewertung manchmal kompliziert. Das zeigt sich am Rotwild-Tisch. Dort ist gerade ein prächtiges Geweih in der Begutachtung – und in der Diskussion. Es geht um die Frage, wie viele lange Enden die Krone besitzt. Je mehr, desto höher die Punktzahl. Daher wird es grundsätzlich: Wo ist ein Ende zu Ende? Ab wann ist ein Ende ein langes Ende? Am Ende einigt man sich auf zehn lange Enden, was ein herausragender Wert ist.

Jäger Rolf Funk beim Vermessen eines Rehbock-Gehörns im Wasserbad.
Jäger Rolf Funk beim Vermessen eines Rehbock-Gehörns im Wasserbad.
(Foto: Julius Lukas)

Das Geweih erhält auch sonst Höchstpunkte. „Es handelt sich um einen Hirsch, der von einem Jäger aus Sachsen-Anhalt in Ungarn geschossen wurde“, erklärt Juror Mario Rienäcke. Auch solche Trophäen würden, wenn gewünscht, begutachtet. Für geteilte Meinungen jedoch sorgt die Geschichte hinter dem üppigen Kopfschmuck. Es stammt wohl aus einem Gatter, in dem Hirsche hochgezüchtet werden, um den Abschuss dann an finanzstarke Jäger zu verkaufen. Bis zu 15.000 Euro soll solch ein organisiertes Jagdabenteuer kosten. Die meisten Juroren lehnen das zwar ab, aber: „Es ist schön, mal so eine Trophäe live zu sehen.“

Trophäen an der Wand - und am Hals

Mit dem gekauften Abschuss kann sich auch Dietmar Specht nicht so recht anfreunden. Der ehemalige Jagdverbandspräsident ist Gutachter beim Damwild. „Hier kommt es auf die Schaufeln an“, erklärt er. Beim Damwild ist das Geweih an der Spitze zusammengewachsen. Die entstanden Fläche nennt sich Schaufel. Je größer sie ist, desto besser die Wertung. Ab 180 Punkten Gesamtergebnis gibt es beim Damwild Gold. „Mein persönlicher Höchstwert ist 192 Punkte“, erzählt Specht. Die Trophäe hänge bei ihm zu Hause an der Wand. „So einen Hirsch erlegt man nur einmal im Leben.“

An der Wand werden wohl auch die meisten der von den Juroren begutachteten Trophäen landen. Eine andere Idee hat Steffen Grießbach. Aus den Zähnen eines Dachses habe er Schmuck hergestellt. „Den trägt jetzt meine Frau“, sagt Grießbach.