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Immer mehr Bedürftige im Land In Sachsen-Anhalt werden die Tafeln überrannt - doch die Regale sind leer

Immer mehr Menschen stehen für Lebensmittel an. Doch die Supermärkte spenden weniger. Einige Tafeln müssen Hilfesuchende abweisen. Warum die Not so groß ist.

Von Lisa Garn 22.04.2022, 13:04
Zu wenig für zu viele: Bei der Tafel in Halle musste Jacqueline Gottschalk einen Aufnahmestopp verhängen.
Zu wenig für zu viele: Bei der Tafel in Halle musste Jacqueline Gottschalk einen Aufnahmestopp verhängen. Foto: Steffen Schellhorn

Halle/MZ - Die Situation der Tafeln in Sachsen-Anhalt spitzt sich immer weiter zu: Die Zahl der Hilfsbedürftigen steigt, aber es gibt zu wenige Lebensmittelspenden. „Wir sind in einer Krisensituation“, sagt Andreas Steppuhn. Laut dem Vorsitzenden der Tafeln in Sachsen-Anhalt ist die Zahl der Kunden um 20 bis 30 Prozent gestiegen. „Vor allem in Halle und Magdeburg ist der Andrang groß, zuletzt durch die starke Nachfrage ukrainischer Flüchtlinge.“ Gleichzeitig kommen weniger Lebensmittel bei den Tafeln an. Steppuhn ruft zu mehr Spenden auf und fordert finanzielle Hilfen der Politik.

Die Lage für die Tafeln ist bundesweit problematisch. Sie werden nicht dauerhaft staatlich gefördert, sondern finanzieren sich fast ausschließlich über Spenden. Die Lebensmittel stammen von Supermärkten und Erzeugern. In Sachsen-Anhalt verteilen etwa 100 Ausgabestellen die Nahrungsmittel, die so auch vor dem Verfall gerettet werden. Einkaufen können Kunden bei den Tafeln, wenn sie Sozialleistungen beziehen. In Sachsen-Anhalt wurden 2021 rund 56.000 Menschen versorgt.

Das trifft uns in einer Situation, in der wir weniger Lebensmittel bekommen.

Andreas Steppuhn, Vorsitzender Tafeln Sachsen-Anhalt

Inzwischen dürften es weit mehr sein, schätzt Steppuhn. Die Nachfrage hatte sich bereits in der Pandemie leicht erhöht. Im Frühjahr kam wegen der starken Preissteigerungen eine große Welle hinzu. „Seit dem Krieg in der Ukraine kommen zusätzlich die Menschen, die geflüchtet sind. Das alles trifft uns in einer Situation, in der wir weniger Lebensmittel bekommen“, so Steppuhn. So würden die Supermärkte härter kalkulieren oder spendeten auf Eigeninitiative für Flüchtlinge, auch Hamsterkäufe der Kunden verknappten das Angebot beispielsweise bei Mehl, Öl und Nudeln.

Inzwischen müssten Bedürftige auch abgewiesen werden, sagt Steppuhn. „Die Regale sind immer öfter auch leer. Da stehen dann noch 100 Menschen vor der Tür, aber es ist nichts mehr da.“ Zum Teil wurden Aufnahmestopps verhängt oder auch Ausgabezeiten verkürzt.

Tafeln in Sachsen-Anhalt: Immer mehr Flüchtlinge kommen

Bei der Tafel in Halle herrscht „Land unter“, sagt Leiterin Jacqueline Gottschalk. „Wir sind eine kleine Tafel und der Andrang wird immer größer.“ Aktuell könnten keine neuen Kunden mehr aufgenommen werden. Kamen an normalen Tagen um die 70 Menschen, so sind es jetzt  rund 110 - nicht eingerechnet die Flüchtlinge aus der Ukraine. Sie sind nicht bei der Tafel registriert, für sie hatte Gottschalk vor drei Wochen ein Zelt als Extra-Ausgabestelle aufstellen lassen. „Es waren zu viele, sie standen auf dem Hof und davor. Unsere anderen Kunden mit Terminen müssen wir aber auch versorgen.“ Die Flüchtlinge kommen an einem festen Tag in der Woche. Es seien etwa 70 Menschen, die Lebensmittel bekämen, sagt Gottschalk.

„Das Schlimme ist, dass wir nicht wissen, woher wir die Lebensmittel nehmen sollen. Die Mengen haben massiv abgenommen. Ich bettele schon um Spenden, wo es nur geht.“ Doch die Spendenaufrufe verpufften nach kurzer Zeit auch wieder. „Ich habe schon Sorge, was in vier Wochen ist. Ich möchte hier niemanden wegschicken müssen.“

Der Landesvorsitzende Steppuhn registriert auch, dass Kommunen Flüchtlinge an die Tafeln verweisen: „Die Sozialämter schicken sie nach der Ankunft gleich zu uns. Die Grundversorgung ist aber nicht unsere Aufgabe, dafür ist der Staat zuständig. Wir sind ein Zusatzangebot und wir müssen entlastet werden.“

Tafeln fordern finanzielle Hilfe der Politik

Die Magdeburger Tafel wurde „innerhalb von drei Wochen regelrecht überrannt“, sagt der Leiter Holger Franke. Etwa 1.600 ukrainische Flüchtlinge wurden neu aufgenommen - zusätzlich zu den schon registrierten rund 5.000 Bedürftigen. „Wir nehmen jeden auf, aber jetzt ist eine Grenze erreicht. Wir haben nicht genug für alle da.“ So mussten die Ausgabetage von zwei auf einen reduziert werden. „Wir leben von der Hand in den Mund, von Woche zu Woche. Ich dachte vor Ostern, dass wir nichts mehr verteilen können. Es ging dann doch weiter, weil wir einen Spendenaufruf gestartet hatten“, so Franke. „Aber irgendwann ist Schluss.“

Tafeln fordern finanzielle Hilfe Zusätzlich haben die Tafeln selbst mit steigenden Betriebskosten zu kämpfen. Die Produkte müssen gekühlt werden, die Fahrtkosten sind höher. Steppuhn fordert finanzielle Hilfe durch Bund und Länder. „Die Arbeit der Tafeln muss besser unterstützt werden. Gleichzeitig brauchen wir höhere Regelsätze: Arme Menschen sind von Preissteigerungen und Inflation stärker betroffen. Dafür ist die Politik zuständig, die Tafeln können nur lindern.“

Mit einer ersten Förderung des Landes rechnen die Tafeln noch in diesem Jahr. Das ist ein Novum, erklärt das Sozialministerium auf MZ-Anfrage. „Beginnend 2022 soll der Landesverband zur Absicherung einer zentralen gekühlten Lagerstätte jährlich mit 30.000 Euro gefördert werden.“ Die Tafel hatte im März in Hohenerxleben (Salzlandkreis) ein neues Logistiklager in Betrieb genommen. Kommentar Seite 6