Hauptzollamt Magdeburg In 245 Jahren nur eine einzige Kontrolle: Warum Mindestlohnprüfer Sachsen-Anhalts Höfe meiden
Landwirte beschäftigen oft Saisonkräfte. Ob ein Betrieb in Sachsen-Anhalt korrekt entlohnt, wird aber kaum überprüft. Was der Grund dafür ist.

Magdeburg/MZ - Landwirte in Sachsen-Anhalt werden fast nie auf Verstöße gegen das Mindestlohngesetz kontrolliert. Im vergangenen Jahr gab es in den 2.200 Betrieben lediglich neun Kontrollen. Rechnerisch werden Agrarunternehmen somit nur einmal in 245 Jahren kontrolliert, weitaus seltener als andere Branchen. Das belegen Zahlen des Bundesfinanzministeriums, die der MZ vorliegen. Nach den Daten gefragt hatte der Bundestagsabgeordnete Jan Korte (Linke).
Mindestlohn in der Landwirtschaft: Betriebe in Sachsen-Anhalt werden selten kontrolliert
Ob Beschäftigte ordnungsgemäß angemeldet und nach Mindestlohn bezahlt werden, soll die Finanzkontrolle Schwarzarbeit überprüfen, eine Abteilung des Zolls. Besonders intensiv prüft die Bundesbehörde dabei allem die Gastronomie und das Baugewerbe, bei denen es in Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr 238 beziehungsweise 374 Prüfungen gab. Bei Gastwirten klopft der Zoll damit rechnerisch einmal in 20 Jahren an. Der gleiche Wert gilt für Bauunternehmen.
So bekämpft man Wirtschaftskriminalität nicht, sondern lädt geradezu zum Betrug ein.
Jan Korte (Linke), Bundestagsabgeordneter
Bei den neun Mindestlohn-Kontrollen in der Landwirtschaft stellten die Beamten immerhin vier Ordnungswidrigkeiten fest und leiteten Verfahren ein. Korte sprach von „ernüchternden“ Zahlen. „Es kann statistisch gesehen 245 Jahre dauern, bis sich mal ein Kontrolleur in einen landwirtschaftlichen Betrieb verirrt. Und das, obwohl fast die Hälfte der Kontrollen zu Beanstandungen führt“, kritisierte der Abgeordnete „So bekämpft man Wirtschaftskriminalität nicht, sondern lädt geradezu zum Betrug ein – zum Schaden der vielen ehrlichen Betriebe, die anständige Löhne zahlen.“
Lesen Sie auch: Kommentar zu Mindestlohn-Kontrollen - Es geht um die Schwächsten
Die schon in früheren Jahren niedrige Kontrolldichte auf Höfen wurde zuletzt noch weiter heruntergefahren. In den Jahren 2019 bis 2021 gab es jeweils 25 jährliche Überprüfungen, 2022 dann 15, um im vergangenen Jahr dann auf einen einstelligen Wert zu fallen.
Personalmangel beim Zoll führt zu weniger Kontrollen
Die BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft führt das auch auf fehlendes Personal zurück. „Perspektivisch soll der Zoll auf 15.000 Personen aufgestockt werden, wir sind aber erst bei 9.000“, sagte Olaf Wietschorke, Vorsitzender des auch für Sachsen-Anhalt zuständigen BDZ-Bezirks Hannover.
„Fehlendes Personal ist der Hauptgrund, wenn nicht genug geprüft wird.“ Die Konzentration auf Gastronomie und Baubranche hält er allerdings für sinnvoll. Dort gehe es häufig um hohe Schadenssummen, bei einer Kontrolle könne man oft auf einen Schlag ein oder zwei Dutzend unterbezahlte Beschäftigte feststellen.
Sachsen-Anhalts Bauernverbandspräsident Olaf Feuerborn sagte, bei den vom Zoll auf Höfen festgestellten Ordnungswidrigkeiten könne es sich nur um Lappalien handeln. „Möglicherweise haben einzelne Mitarbeiter ihre Stundenzettel nicht genau ausgefüllt. Dass Betriebe bewusst den Mindestlohn vorenthalten, kann ich mir nicht vorstellen“, sagte Feuerborn. „Jeder Arbeitnehmer, dem etwas nicht passt, wird am nächsten Tag kündigen.“
Jeder dritte Sachsen-Anhalter verdient weniger als Kanzler Scholz für notwendig hält
Der Mindestlohn beträgt derzeit 12,41 Euro und soll am 1. Januar 2025 auf 12,82 Euro steigen. Zuletzt hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) deutlich gemacht, dass er einen Mindestlohn von 15 Euro für notwendig hält. „Natürlich müssen diejenigen, die hart arbeiten und wenig verdienen, bessere Löhne haben“, sagte Scholz im Mai.
Von der Linken im Bundestag abgefragte Daten des Finanzministeriums zeigen, dass in Sachsen-Anhalt Hunderttausende Arbeitnehmer unter jenem von Scholz genannten Mindestlohn-Zielwert liegen. Zum Stichtag im April 2023 gab es im Land 834.000 Beschäftigungsverhältnisse. Davon erhielten 280.000 (34 Prozent) einen Stundenlohn von weniger als 15 Euro. Besonders groß war die Differenz in Betrieben ohne Tarifbindung.