Überfälle in Halle Immer jünger, immer brutaler - Jugendkriminalität in Sachsen-Anhalt verschärft sich
Nach brutalen Überfällen durch Jugendbanden sollen in Halle Polizei und Ordnungsamt häufiger Streifen vor Schulen fahren. Auch in anderen Teilen Sachsen-Anhalts gibt es immer mehr junge Straftäter. Doch der Justiz sind oft die Hände gebunden.

Halle/MZ - Halle zieht Konsequenzen aus einer sich verschärfenden Jugendkriminalität: Nach zahlreichen Überfällen durch Jugendbanden auf Schüler hat die Stadt angekündigt, im Umfeld der betroffenen Schulen verstärkt Streifen von Polizei und Ordnungsamt einzusetzen. Zuvor hatten sich verzweifelte Mütter an die MZ gewandt, nachdem ihre Kinder auf dem Schulweg und öffentlichen Plätzen mitunter brutal überfallen wurden. In Halle hat die Polizei seit März inzwischen 126 Tatverdächtige mit unterschiedlichen Nationalitäten in diesem Zusammenhang ermittelt und einige Haftbefehle erlassen.
Nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) verschärft sich die Jugendkriminalität in vielen Regionen Sachsen-Anhalts. Demnach sank zwar die Zahl der Straftaten im Land in den vergangenen fünf Jahren insgesamt um rund 8.000 Fälle auf etwa 60.000. Gleichzeitig stieg jedoch der Anteil der Minderjährigen unter den Tatverdächtigen. In Magdeburg etwa hat sich die Zahl der Unter-14-Jährigen unter den mutmaßlichen Straftätern im Vergleich zu 2016 auf jährlich 672 mehr als verdoppelt. Auch im Salzlandkreis, Anhalt-Bitterfeld, Saalekreis, Mansfeld-Südharz und Halle wurden mehr Kinder straffällig. „Die Anzahl der Fälle ist zu groß, um diesen Trend nicht zu sehen“, sagte LKA-Sprecher Michael Klocke.
Jugendkriminalität in Sachsen-Anhalt: junge Täter verüben vor allem Rohheitsdelikte
Laut LKA-Statistik fallen die Minderjährigen vor allem durch sogenannte Rohheitsdelikte auf. Jede sechste Körperverletzung wurde demnach von einem Unter-18-Jährigen begangen, bei Raub war jeder fünfte Tatverdächtige minderjährig. Man muss wissen: Bei Kindern und Jugendlichen greift das Jugendstrafrecht. Im Vergleich zu Erwachsenen werden sie vergleichsweise milde bestraft – etwa mit Sozialstunden. Das hält die Teenager offenbar nicht von schweren Straftaten ab.
Für die Jugendlichen sind die Banden häufig wie eine Ersatzfamilie.
Peter Alexander Meißner / Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter
In Halle haben zuletzt am Dienstag drei Kinder im Alter von 12 und 13 Jahren eine 82-jährigen Frau überfallen und ihr die Handtasche entrissen. Seit Monaten terrorisieren zudem Jugendbanden immer wieder die Stadt. Vor dem Landesmuseum überfielen im Frühjahr Gruppen von bis zu 20 Minderjährigen andere Jugendliche. Auch Schlagstöcke kamen dabei zum Einsatz, zwei der Opfer mussten im Krankenhaus behandelt werden. Am Neustädter Bahnhof in Magdeburg raubten drei Jungen Mitte Oktober einem 29-Jährigen mit vorgehaltenem Messer seinen Rucksack. Das Alter der Tatverdächtigen laut Polizei: 14, 15 und 18.
Kriminalist rechnet mit bandenmäßig organisierten Intensivtätern
Die Jugendkriminalität sei ein „Dauerbrenner“ unter Polizisten, bestätigte auch Peter Alexander Meißner, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, der MZ. Eine Bewachung von Schulen wie in Halle hält der ehemaliger Mitarbeiter im Jugendkommissariat allerdings nicht für eine flächendeckende Lösung. „Das verdrängt das Problem bloß.“ Denn Meißner geht angesichts der bislang bekannten Taten nicht von einer allgemeinen Verrohung der Jugend aus, sondern von bandenmäßig organisierten Intensivtätern, die immer wieder zuschlagen. Ihnen sei dabei durchaus bewusst, dass das Jugendstrafrecht sie vor allzu harten Strafen schützt. „Die sind nicht dumm.“
Meißner plädiert daher für eine gezielte Aufarbeitung der Fälle. Wer sind die Täter? Welchen sozialen Hintergrund haben sie? Anschließend brauche es ein gemeinsames Vorgehen von Polizei und Sozialarbeitern. Denn hinter den Straftaten steckten häufig soziale Probleme, so Meißner. „Für die Jugendlichen sind die Banden häufig wie eine Ersatzfamilie.“ Der Beamte zieht daraus folgenden Schluss: „Das kann die Polizei nicht alleine machen.“